Die brennende Giraffe. Achim Goldenstein

Die brennende Giraffe - Achim Goldenstein


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es jetzt. Und so geschah es damals.

      Vor gut vier Jahren war sie ihm zum ersten Mal begegnet. Anlass war ein Termin auf beruflicher Ebene. Es war Elisas siebenundzwanzigster Geburtstag, und eigentlich wollte sie früh Feierabend machen, doch aufgrund einer Erkrankung ihres Vorgesetzten musste sie einspringen und einen Beratungstermin übernehmen. Der Geburtstag war in ihren Augen ohnehin gelaufen. Hatte ihr damaliger Freund, der den bescheuerten Spitznamen »Biff« trug, wie sie sich amüsiert erinnerte, doch dem Besuch eines Eishockeyspiels einem romantischen Abendessen zu ihren Ehren den Vorzug erteilt. Überdies sollte es für ihren Freund die letzte Gelegenheit gewesen sein, Elisa hintanzustellen. Keine sieben Tage später gab sie Biff den Laufpass.

      Schon die Begrüßung, als er damals um mehrere Minuten zu früh in der Bürotür stand und Elisa ihn überhaupt nicht bemerkt hatte, war aufregend. Als sie sein Räuspern und seine angenehm brummige Stimme vernahm und mit dem Kopf hochschnellte, traf sie sein durchdringender Blick. Sie erfuhr, dass er als Handelsvertreter die Republik bereiste. Elisa entging nicht, dass er weder rechts noch links einen Ring am Finger trug. Das Consultinggespräch war vom ersten Satz an durchzogen von kesser Süffisanz. Elisa selbst war es, die im Verlauf der Unterredung alle Regeln der Proxemik über Bord warf und eine angemessene Gesprächsdistanz vermissen ließ. Es war ihr Job, ihn hinsichtlich finanzieller Belange zu beraten. Er war Mandant des Hauses, und auf der Agenda stand der Plan, seine Vermögensbildung zu optimieren. Nicht geplant war, dass sie sich auf raffinierte Weise umgarnen ließ und noch am selben Abend ein nicht unerheblicher Teil seines Salärs für ein fürstliches gemeinsames Dinner Verwendung fand. Zwei Tage später verabredeten sie sich zu einem Ausflug. Sie saß damals wie heute auf dem Beifahrersitz seines Autos, und er fuhr mit ihr auf die Plattform der ehemaligen Bohrinsel. Dort blickte sie hinaus auf die Meeresbucht, die Hände auf die Lehne einer der Bänke gestützt. Noch bevor sie sich das erste Mal küssten, fuhr er ihr unter ihren Rock und befingerte ihre Mitte. Sie zerfloss vor Geilheit und ließ ihn gewähren. Wären damals nicht die Handwerker angefahren gekommen, um ausgerechnet hier ihre Mittagspause zu überziehen, hätte sie sich an Ort und Stelle vögeln lassen. Er wäre ihr erster und einziger Mann gewesen, mit dem sie es getrieben hätte, noch bevor sie seine Lippen auf den ihren spürte. Drei Jahre lang traf sich Elisa in unregelmäßigen Abständen mit ihm. Er war der perfekte Liebhaber. Er war unabhängig, hatte seine eigenen vier Wände, war leidenschaftlich und befriedigte sie, brachte sie zum Lachen, war charmant und rückte ihr nicht zu sehr auf die Pelle. Er stellte keine Fragen, und Elisa hatte niemals das Gefühl, sich rechtfertigen zu müssen. Unterhaltungen mit ihm gestalteten sich geistreich, und er stellte keinerlei Ansprüche. Doch all diese Annehmlichkeiten formten Elisas Ambitionen. Sie vermochte es heute nicht mehr, den Zeitpunkt genauer zu bestimmen, doch eines Tages war ihr der perfekte Liebhaber nicht genug. Sie strebte nach der perfekten Beziehung, und die scheiterte an seiner Rastlosigkeit. Elisa schrieb ihm einen Brief. Das war vor einem Jahr. Ganz altmodisch auf schwerem, satiniertem Papier. Bogen um Bogen, die sie begann und dann zerknüllte, wanderten unter Tränen in den Papierkorb. Als sie schließlich fertig war, fanden sich ganze zwei Absätze auf dem Papier. Sie hörte und las danach nicht wieder von ihm – bis sie vor ein paar Tagen die Nachricht auf ihrem Schreibtisch gefunden hatte.

      Jetzt sitzt sie wieder an seiner Seite. Es ist noch dasselbe Fahrzeug. Und es ist derselbe Raum, es ist dieselbe Zeit. Elisa wird sich zum ersten Mal bewusst, dass sie zurückgekehrt ist in die begehrliche, surreale Welt, aus der sie einst ausbrach, um anschließend wochenlang zu leiden. Sie ist zurückgekehrt in die Seifenblase, die sie einst zerplatzen ließ.

      Durch die finstere und nebelige Nacht und durch menschenleere Straßen erreichen sie nach einer Viertelstunde den Zubringer zur Autobahn. Er wählt die westwärts führende Fahrtrichtung. Sie fragt nicht, wohin die Reise führen wird. Und auch er begründet die Wahl der eingeschlagenen Route mit keinem Wort. Zu den Klängen von J. J. Cale driftet der Wagen mit einer gemäßigten, den Sichtverhältnissen Rechnung tragender Geschwindigkeit über den Asphalt. »After midnight, we‘re gonna let it all hang out«.

      *

      Der kühle Seewind hat ihr zugesetzt. Abgeschlagen und müde lässt Maylène ein Bad einlaufen. Das Amouage-Duschöl, von dem sie aus einer schweren Glasflasche beimischt, trägt den Namen Dia. Es ist eines der wenigen Luxusgüter, die sich Maylène regelmäßig gönnt, um das Leben eine Nuance lebenswerter zu gestalten. Der kostbare Badezusatz wirft kleine, blumig riechende Bläschen von dem in die Wanne sprudelnden Heißwasser. Bald schon ist die Wasseroberfläche von einem dichten weißen Schaumteppich überzogen. Die Tür zum Bad verriegelt Maylène aus Gewohnheit. Es fällt ihr schwer, die Gewissheit zu akzeptieren, dass sie seit gut einem Jahr das Haus allein bewohnt und ihr Onkel nicht zurückkehren wird. Auf dem gemauerten und mit Marmormosaik gefliesten Waschtisch hat sie drei schlanke olivgrüne Kerzen entfacht. Sie schlüpft aus ihren Kleidern. Zuletzt streift sie ihren weißen Slip, der mit einer feinen elastischen Spitze besetzt ist, ab und lässt ihn über ihre Beine zu Boden sinken. Maylène hat ein Faible für altmodische aber gleichwohl verführerische Wäsche. Vorausgesetzt, diese bringt ihre Figur angemessen zur Geltung und erzielt eine in hohem Maße aufreizende Wirkung. Unter einem Vorwand hatte sie Antoine so lange bekniet, bis er schließlich entnervt ihrem Ansinnen nachgab und einen großen, messinggerahmten Wandspiegel installierte. Maylène wollte den Spiegel einzig, um Reiz und optische Ausstrahlung sorgfältig überprüfen zu können.

      Dass das Badewasser ein paar Grad zu heiß ist, spürt Maylène, als sie in die Wanne steigt. Sie hockt sich trotzdem nieder, und das heiße Nass umschließt beißend ihren Po. Die angewinkelten Beine streckt sie nacheinander langsam im Wasser aus, bevor sie sich an den emaillierten Wannenrand zurücklehnt und auch ihr Oberkörper ins Badewasser eintaucht. Sie erschrickt, als der Wind durch das auf Spalt gestellte Fenster des kleinen Badezimmers weht und den hellblau und rot gestreiften Vorhang gespenstisch aufbläht wie ein gespanntes Segel. Mit den Händen erzeugt sie kleine Wellenbewegungen in der Wanne. So werden auch die noch aus dem Badeschaum ragenden, trockenen Hautpartien vom heißen Wasser benetzt.

      Nach einer weiteren Minute verschmilzt ihr Leib mit dem heißen Bad, und Maylène greift ihr Weinglas vom Wannenrand. Sie trinkt mehrere kleine Schlucke des vortrefflichen Weines, einen reichen und kräftigen Château Monbousquet. Besonders gefällt ihr seine balsamische Note. Das Glas stellt sie zurück und tauscht es gegen einen rosafarbenen Einwegrasierer, den sie zuvor aus einer transparenten Plastikfolie befreit hat. Sie betastet den stoppeligen Bereich rund um ihre Scham und kommt schnell zu dem Entschluss, dass sich diese Körperregion weich und glatt deutlich besser anfühlt. Ebenso selbstdiszipliniert wie eitel ist sich Maylène des Abhilfeschaffens dieser Feststellung schuldig. Einen Liebhaber hatte sie schon seit Monaten nicht.

      Sie hebt ihr Becken, setzt die Doppelklingen des Rasierers an und zieht sie gegen den Strich zunächst ein ums andere Mal über ihren Venushügel, dann über die Innenseite ihrer Schenkel. Sie spart keinen Quadratzentimeter ihres Intimbereiches aus. Jedes noch so feine Härchen wird sorgsam und akribisch entfernt. Das heiße Wasser hat die Stoppeln aufgeweicht, und die dünnen, scharfen Klingen gleiten geschmeidig über die Haut. Es ziept und pikt kein bisschen. Als sie abschließend ihr Ergebnis mit den Fingern abtastet und überprüft, ist sie mit ihrem Werk überaus zufrieden. Maylène nimmt das Badeöl, gibt eine walnussgroße Portion in die Hand, hebt abermals ihr Becken und verteilt die schäumende und wohlriechende Substanz rhythmisch und ausdauernd über ihren Unterleib. Als sich bald schon das duftende Öl mit ihrem Saft vermischt, hat Maylène die Augen längst geschlossen. Das eingespielte Duett aus Zeige- und Mittelfinger zupft und reibt an ihrer Klitoris. Ihr Puls erhöht die Schlagzahl kontinuierlich und erreicht seinen Zenit, als Maylène einen kleinen, spitzen Schrei ausstößt.

      Für diesen Augenblick öffnet Filou die Augen und stellt die Ohren auf. Er liegt satt und dösend in seiner Hundehütte, einem geräumigen, von Antoine gezimmerten Verschlag, hinter dem Haus. Maylène hat den Hund nach der Rückkehr vom Strand mit Wasser und Trockenfutter versorgt. Nach dem Fressen hat sich Filou seiner Gewohnheit entsprechend mit dem Hinterteil in den Verschlag gelegt, während Brust und Kopf unter freiem Himmel dösen. Als Kind hatte sich Maylène einen eigenen Vierbeiner als Gefährten gewünscht. Ihre Eltern erfüllten ihr diesen Wunsch jedoch nicht. Weder tat dies ihr Vater, ein Deutsch-Franzose, der bei einem Tauchunfall das Leben ließ, noch bevor Maylène


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