Ernst Happel - Genie und Grantler. Klaus Dermutz

Ernst Happel - Genie und Grantler - Klaus Dermutz


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in die Quere trat, / ein fremd und furchtbar überlegner, / vor dem’s nicht Regel gab noch Rat. / Von einem einz’gen, harten Tritte / fand sich der Spieler Sindelar / verstoßen aus des Planes Mitte, / weil das die neue Ordnung war. / (…) Er war gewohnt zu kombinieren, / und kombinierte manchen Tag. / Sein Überblick ließ ihn erspüren, / dass seine Chance im Gashahn lag.«29

      Ungefähr 15.000 Menschen folgen Sindelar am Sonntag, dem 28. Januar, auf seinem letzten Weg. Seine Mutter wird von Max Reiterer und Rudo Wszolek gestützt. Den Begräbniszug führen die Nazis an, auf ihren Kränzen sind Schleifen mit dem Hakenkreuz angebracht. Der SA-Brigardenführer Kozich, der SS-Sturmbannführer Rinner und der HJler Otto Naglic erheben am Grab auf dem Wiener Zentralfriedhof die rechte Hand zum »Deutschen Gruß«.

      Seit Sindelars Tod reißen die Debatten über das Ende dieses begnadeten Fußballers nicht ab. In seiner 2005 erschienenen Studie Massen, Mentalitäten, Männlichkeit. Fußballkulturen in Wien vertritt Matthias Marschik die These, eine Rauchvergiftung sei aufgrund eines schadhaften Ofens die Ursache für Sindelars Tod und der seiner Partnerin gewesen, »aber die Gerüchte über Mord, Selbstmord und Doppelselbstmord sind bis heute nicht verstummt, und unmittelbar nach dem Ereignis setzte die Mythologisierung des fußballerischen ›Wienertums‹ ein. In der Folge wurde jedes Spiel zwischen Wien und dem ›Altreich‹ bis weit in die Kriegsjahre hinein zu einer hitzigen Auseinandersetzung um die fußballerische Vorherrschaft und zu einer Manifestation wienerischen Aufbegehrens. Gerade das Wiener Publikum wurde immer weiter radikalisiert, und es kam ständig zu Raufhändel und antipreußischen Ausschreitungen, die nicht selten in vandalistischen Akten endeten. Eine sportliche Versöhnung zwischen Admira und Schalke sollte im November 1940 im Wiener Stadion zur Deeskalation beitragen, doch nachdem der Schiedsrichter zwei reguläre Admira-Treffer aberkannte, erhob sich der ›Volkszorn‹. Tobende Anhänger verprügelten die Schalker Spieler, zertrümmerten die Fensterscheiben des Mannschaftsbusses, zerstachen die Reifen des Wagens von Gauleiter Schirach und lieferten sich stundenlange Schlägereien mit der Polizei. (…) Dies führte dazu, dass nun auch die im ›Altreich‹ gastierenden Teams verbal und auch tätlich angegriffen wurden (…).«30

       Happels Abneigung

      Als ich Happel im Oktober 1991 zum NS-Regime befrage, spricht er in sich gekehrt über diese Zeit: »Wie der Hitler da kommen ist, war ich 13 Jahre, wir haben in einem Zinshaus gewohnt, in der Vorstadt, in dem Haus waren 50 Parteien, von der Monarchie noch her, meine Großmutter ist eine Tschechin gewesen, von den 50 Parteien waren 25 Parteien Tschechen, auf jeder Etage hast du eine Wasserleitung draußen gehabt und vier Klos. Wenn die zwei Großmütter bei der Wasserleitung standen sind, haben sie nicht Deutsch gesprochen, sondern Tschechisch. Und dann kommt die bestimmte Diktatur von Hitler, in einer gewissen Perfektion, die Großmutter hat selber sieben Kinder gehabt, vier Mädchen und drei Buben, und der Älteste war ein Super-Nazi, die ganze Familie hat eine Angst gehabt vor dem Mann, der ist überall einmarschiert, u. a. in der Tschechei, da können wir nicht zufrieden sein. Wie der Krieg begonnen hat, der Überfall, dann hat der Hitler Russland angegriffen, der Nichtangriffspakt, hat man alles gewusst, in Wien war die Einstellung so, du kannst mit dem Regime nicht einverstanden sein, aber du kannst nichts machen. Ich bin Ledergalantrist gewesen, das war mein Beruf, du bist da gekommen in die Lehrwerkstätte, wo zwölf solche Jungens waren, da hast du einen Meister gehabt, und du hast müssen, wenn’st reinkommst, Heil Hitler sagen, du gehst zu deinem Arbeitsplatz und nimmst die Schürze, dreimal davor wieder Heil Hitler, ich war auf das nicht eingestellt, ich bin auch nicht interessiert gewesen an der Hitler-Jugend, aber ich habe gewöhnlich hingehen müssen, weil sonst hätte ich nicht bei Rapid Wien in der Jugendmannschaft spielen können, das war eine Verpflichtung, ich habe kein Interesse gehabt, dass ich dreimal da hingehe und dass ich singe die Lieder. Ich war nicht für das Regime, aber was hast machen wollen, du kannst nichts machen, dann war die Lehrzeit, dann bist du Geselle gewesen, dann bist du gleich im Arbeitsdienst, statt neun Monate war ich drei Monate beim Arbeitsdienst, das war damals schon im Jahr 42/43, dann waren in Russland schon die Rückmärsche durch den strengen Winter im 41er Jahr, der Mann wollte die ganze Welt beherrschen.«

      Happel wehrt sich gegen den Drill, der durch das NS-Regime seine Jugend bestimmt. Er will bereits in jungen Jahren ein freier Mensch sein, sich niemandem unterordnen müssen. Dies zeigen auch die Erinnerungen seines Mannschaftskameraden Alfred Körner, der mit seinem um zwei Jahre älteren Bruder Robert zur gleichen Zeit wie Happel zu Rapid kam. Mit den Körner-Brüdern war Happel in tiefer Freundschaft verbunden, sie waren exzellente Spieler der berühmten Rapid-Mannschaft in den 1940er und 1950er Jahren. Körner II war knapp drei Monate jünger als Happel.

      Im von Harry Windisch herausgegebenen Happel-Erinnerungsbuch hat Alfred Körner die schwierige Lage der Nachwuchsspieler von Rapid während der NS-Zeit folgendermaßen dargestellt: »Mit der NS-Politik gab es damals immer wieder Probleme, von denen vor allem unser Freund Happel betroffen war. Als HJ-Bann-507-Jugendspieler mussten wir gelegentlich auch an Heimabenden teilnehmen, wobei der zuständige HJ-Führer in der damals üblichen zackigen Form: ›Ein Lied‹ kommandierte. Happel wollte aber nicht singen und hat so lange getratscht und gemeutert, bis er schließlich rausgeschmissen wurde. Das hatte natürlich Folgen, denn wir Jugendspieler brauchten damals immer wieder einen Stempel von der NS-Partei in unseren Spielerpässen, um an der Meisterschaft teilnehmen zu können. Dem Ernstl wurde der Stempel nach diesem Zwischenfall verweigert, und so musste unser Trainer Nitsch einen Canossagang in das damalige Parteilokal in der Diesterweggasse antreten, um mit Hilfe von Interventionen die Sache wieder auszubügeln. Ein anderes Mal hatten wir wieder Probleme mit den damals für Jugendspieler obligaten HJ-Uniformen. Wir mussten im Zuge der sogenannten Gau-Meisterschaften 1939 mit der Rapid-Jugend gegen eine Stadtauswahl von Graz in Wiener Neustadt antreten. Wir gewannen zwar mit 2:1, verloren aber auf dem grünen – oder vielmehr braunen – Tisch mit 0:3, weil wir im Gegensatz zu den Grazern nicht in den vorschriftsmäßigen HJ-Uniformen erschienen waren.«31

       Rapid besiegt Schalke

      Der »Anschluss« bedeutet, dass Österreichs Spitzenteams nun um die deutsche Fußballmeisterschaft mitspielen. Mit dem vom »Wunderteam« inspirierten Scheiberlspiel setzt sich Rapid gegen das kraftraubende Spiel der deutschen Mannschaften immer wieder durch. In der Saison 1940/41 bezwingt Rapid den Dresdner SC im Halbfinale der nun »großdeutschen« Meisterschaft in Beuthen mit 2:1. Happel und Alfred Körner sind bei dem Spiel »Ballschanis« (Balljungen). Zwei Jahre später stehen sie selbst in der 1. Mannschaft.

      Im Finale trifft Rapid im Berliner Olympiastadion auf Schalke 04. Den »Knappen« winkt im Falle eines Sieges der Titel-Hattrick. Wenige Stunden vor dem Anpfiff am 22. Juni 1941 fällt die Wehrmacht in die Sowjetunion ein. Im Berliner Olympiastadion, in dem Adolf Hitler fünf Jahre zuvor die Olympischen Spiele 1936 eröffnete, werden Informationsblätter verteilt, wie Hardy Grüne in seinem Buch Glaube, Liebe, Schalke festhält, auf denen von einer »Meisterschaft wie im Frieden« und einem »friedlichen Alltag« die Rede ist.32

      95.000 Zuschauer sind trotz einer Temperatur von 40 Grad ins Stadion gekommen, die meisten wollen Schalke 04 wie in den beiden vergangenen Jahren triumphieren sehen, als am 18. Juni 1939 Admira mit 9:0 vom Platz gefegt und ein Jahr später am 21. Juli 1940 der Dresdner SC mit 1:0 besiegt wurde. Schalke ist auch dieses Mal Favorit, doch Rapid Wien mit Franz »Bimbo« Binder war aus einem anderen Holz geschnitzt als zwei Jahre davor die Admira. Binder kündigt vor dem Spiel an: »Wir werden Wiens Fußballehre wiederherstellen.«33

      In ihrer Analyse der sportlichen und politischen Ereignisse an jenem heißen Sommertag schreiben Wolfgang Maderthaner und Roman Horak, dass es bis kurz vor Spielbeginn nicht klar war, »ob das Berliner Endspiel um die deutsche Meisterschaft überhaupt würde stattfinden können. In der Stadt herrschte eine gewisse Unruhe und eine seltsam aufgeregte Stimmung, allerorten boten Zeitungsverkäufer lautstark diverse Extrablätter zum Einmarsch in die Sowjetunion an. Da Flugangriffe der Roten Armee befürchtet wurden, hatten die Machthaber rund um das Olympiastadion und auf dessen obersten Rängen Flakbatterien aufziehen lassen.«34

      Alles sieht so gut für die Mannschaft aus dem Ruhrgebiet aus. Die Schalker gehen bereits vor der Pause mit 2:0 in Führung. Als Hinz in der 58. Minute auf 3:0 erhöht, scheint das Finale entschieden zu sein.


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