Ernst Happel - Genie und Grantler. Klaus Dermutz

Ernst Happel - Genie und Grantler - Klaus Dermutz


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auch vom faschistischen Italien mit Geld und Waffen versorgt.

      1931 führt die Weltwirtschaftskrise zum Zusammenbruch der Österreichischen Creditanstalt. Das Bankdesaster verschlimmert die soziale Lage vieler Österreicher/innen und ermöglicht einen immer stärker werdenden Einfluss rechtsradikaler Kräfte. Die Konflikte schaukeln sich in den 1930er Jahren immer stärker auf.

      Das Burgtheater, die Identität stiftende Institution Wiens, bringt am 22. April 1933 das Stück Hundert Tage von Benito Mussolini und Giovacchino Forzano zur Aufführung und »Geld ins Land«, wie die Wiener Sonn- und Montags-Zeitung (2.5.1933) mit der Überschrift »›Hundert Tage‹ und die österreichische Industrie. Große italienische Aufträge an verschiedene österreichische Industrieunternehmen« berichtet: »Die Herzlichkeit der österreichisch-italienischen Beziehungen trägt auch wirtschaftlich Früchte. In der letzten Zeit flossen namhafte Bestellungen aus Italien bei verschiedenen österreichischen Firmen ein. Dieser Ordereinlauf hat sich seit der glanzvollen Aufführung von Mussolinis Napoleon-Drama erheblich gesteigert, und man führt in eingeweihten Kreisen diese Tatsache auf persönliche Initiative des Duce zurück. Namentlich die völlig reorganisierten Krupp-Werke mit einem derzeitigen Arbeiterstand von 1.100 Mann sind voll beschäftigt, vornehmlich dank italienischer Aufträge. So ereignet sich die selten zu beobachtende Tatsache, dass ein gut gebrachtes Drama im Staatstheater ein anderes Drama, das Drama in den industriellen Elendsorten Österreichs zu mildern vermag.«

      Mussolini verzichtet auf die Tantiemen, die ihm durch die Burgtheateraufführungen zugeflossen wären, zugunsten arbeitsloser Wiener Schauspieler. Der Duce lädt Werner Krauß, den Darsteller des Napoleon, nach Rom ein und empfängt den Mimen, der als einziger Passagier in einer Sondermaschine reist, am 5. Mai – am Todestag und in der Todesstunde von Napoleon.

      Die Bedeutung der Hundert Tage, so das Wiener Morgenblatt (24.3.1933), liege darin, »dass sie zu den politischen Verhältnissen unserer Zeit eine so lebendige Beziehung herstellen, die niemand zu verkennen vermag«. Mussolinis Stück klinge »wie eine temperamentvolle Verteidigungsrede für die Diktatur, für das alleinige Entscheidungsrecht des großen Mannes, dem in bedrängendsten Zeiten niemand in den Arm fallen sollte, das zu tun, was dem Vaterland frommt. Dass Napoleon zu nobel war, von dieser Diktatur rückhaltlos Gebrauch zu machen, wird nicht nur ihm, es wird auch dem französischen Volk zum tragischen Verhängnis. Dies, offenkundig nur dies ist der letzte und in hohem Maße aktuelle Sinn eines historischen Schauspiels, dessen Autor Mussolini heißt und das im Burgtheater (mit außerordentlicher Besetzung: Werner Krauß als Napoleon) mit gebührender Achtung und Aufmerksamkeit aufgenommen wurde.« Mussolinis Stück wird am Burgtheater vom 22. April 1933 bis zum 18. April 1937 insgesamt 53-mal gespielt.

      Die Anhänger der österreichischen Nationalmannschaft sind von Mussolinis Fußballern nicht so betört wie das Burgtheater-Publikum und die Kritiker. Als es am 24. März 1935, knapp zwei Jahre nach der Premiere der Hundert Tage, zu einem Fußballländerspiel zwischen Österreich und Italien kommt, entlädt sich – nach einem Bericht der Brünner Arbeiterzeitung (31.3.1935) – der Unmut: »Als die Italiener vor Beginn des Spieles das Spielfeld betraten und sich mit dem Faschistengruß am Mittelkreis des Spielfeldes aufstellten, brach im Stadion tosendes Pfuigeschrei los. Die Demonstrationen nahmen auch kein Ende, als das Spiel begann; das Publikum benützte jede Gelegenheit, den Faschisten seine Antipathie zu zeigen. In der ersten Spielhälfte gab es ein ununterbrochenes Gejohle und Gepfeife gegen die Italiener. (…) Solange ein Italiener auf dem Spielfeld zu sehen war, hielt die Demonstration an. Während des Spieles versuchten wiederholt die Anhänger der Italiener ihre Landsleute durch Sprechchöre aufzumuntern, wurden aber sofort durch Gegenreaktionen – Pfeifkonzerte usw. – niedergeschrien.« Weltmeister Italien unterliegt Österreich mit 0:2.

       Geburtsname Ernst Nechiba

      Zu diesem Zeitpunkt ist Ernst Happel neun Jahre alt und lebt bei seiner Großmutter. Trotz intensiver Recherchen konnte der Autor im Wiener Geburtsregister keinen Eintrag des begnadeten Fußballers und Star-Trainers ausfindig machen.

      In vielen Porträts über ihn ist zu lesen, dass er das Kind von Karoline und Franz Happel sei. Im belgischen Dokumentarfilm Ernst Happel: Altijd in de aanval (Immer im Angriff, 2009) von Lieven de Wispelaere, Steven van de Perre und Jan Antonissen wird eine andere Herkunftsgeschichte erzählt. Happel hieß zunächst Ernst Nechiba, seine Mutter Karoline brachte ihren Sohn ledig zur Welt und heiratete ein Jahr nach der Geburt ihres Kindes den Wirt Franz Happel, der das Kind als Stiefsohn annahm. Seinen leiblichen Vater hat Ernst Happel nie gesehen.

      Franz Happel betätigt sich als Gewichtheber, nimmt sich nicht viel Zeit für den heranwachsenden Sohn. Der großgewachsene Stiefvater betreibt im 9. Gemeindebezirk ein Wirtshaus, spricht dem Alkohol zu, flüchtet aus einem deprimierenden Alltag in ausgedehnte Sauftouren, kommt bisweilen drei Tage nicht nach Hause. Auch Mutter Karoline führt ein Wirtshaus. Ein Familienleben existiert nicht. Die Ehe zwischen der Mutter und dem Stiefvater hält nicht lange, Happel sieht sich als Opfer der Scheidung, ist enttäuscht von den Eltern und auch böse auf sie. Happels Großmutter nimmt den Vierjährigen in ihre Obhut, er wächst bei ihr in der Huglgasse 3 im 15. Bezirk auf. Zwar hat der junge Happel das Gefühl, von den Eltern abgeschoben worden zu sein, doch er empfindet Zuneigung zur Großmutter. Sie betreibt einen Stand am Meiselmarkt, den er in den Krisenjahren oft aufsucht, um seinen Hunger zu stillen.

      Die Huglgasse wie auch der Meiselmarkt sind, so der Politologe Georg Spitaler, Kerngebiet von Rapid, »einige Funktionäre der Zwischenkriegszeit hatten dort in der Nähe ihre Betriebe, z. B. Präsident Johann Holub und Fahrradobmann Karl Kochmann«.10

      Tatsächlich hat es Happel von der Huglgasse aus nicht weit bis zur »Pfarrwiese«, dem 1911 erbauten Stadion von Rapid. Der Verein ist 1898 von Ottakringern Arbeitern unter dem Namen »Erster Wiener Arbeiter Fußball-Club« gegründet worden. Im Neuen Wiener Abendblatt (5.5.1898) wird der Klub zum ersten Mal erwähnt: »Der 1. Wiener Arbeiter Fußball-Club, welcher es sich zur Aufgabe gemacht hat, den in Wien so beliebt gewordenen Fußballsport auch unter den sportfreundlichen Kollegen der arbeitenden Klasse einzuführen, ladet hiermit alle ernstlich sportgesinnten Arbeiter ein, dem Club, der bereits über eine Anzahl guter und geschulter Spieler verfügt, beizutreten.« Die Einschreibgebühr beträgt eine Krone, der Wochenbeitrag zehn Heller.

      Am 8. Januar 1899 wird auf der Generalversammlung des Arbeiter FC die Namensänderung zu »Rapid« beschlossen. Auf einem Teil des früheren Exerzierfeldes der k.u.k. Armee wird auf der Schmelz neben der Radetzky-Kaserne gespielt. Die ursprünglichen Vereinsfarben Blau-Rot werden sechs Jahre später in Grün-Weiß geändert. Die berühmte »Pfarrwiese« wurde 1911 für 4.000 Besucher erbaut, Anfang der 1920er Jahre wird das Fassungsvermögen auf 20.000 Zuschauer vergrößert. Der Sportklub Rapid ist seit der ersten österreichischen Meisterschaft 1911/12 immer erstklassig. Als Happel im Jahr 1938 zu Rapid kommt, ist der Verein bereits zwölfmal Meister geworden.

       Straßenfußballer

      Für Rapid-Stürmer Alfred Körner war der junge Happel »ein eigenartiger Bua, der hätt’ den Kitt vom Fenster g’fressn, bevor er g’sagt hätt: I hab’ an Hunger.« (Sport Magazin, 1.3.1991) Nicht nur in materieller Hinsicht durchlebt Happel eine harte Kindheit. Im Alter von mehr als 60 Jahren sagt Happel, er habe nie Liebe gekriegt. Es bleibt ihm nicht viel anderes übrig, als sich allein durchs Leben zu schlagen. So wird für den Einzelgänger das Leben früh zu einem Spiel, das er gewinnen muss.

      Happel weiß, dass er auf sich allein gestellt ist. Von der Familie ist keine Unterstützung zu erwarten. Der Fußball ist für ihn mit der Hoffnung verknüpft, der engen und entbehrungsreichen Welt seiner Herkunft zu entkommen und ein selbstbestimmtes Leben führen zu können. Der Fußball hilft ihm, belastende familiäre und finanzielle Verhältnisse hinter sich zu lassen.

      Als kleiner Bub bekommt Happel von seinem Onkel zu Weihnachten ein Trikot von Rapid Wien und grün-weiße Stutzen geschenkt. Das Dress von Rapid ist freilich nicht seine erste Wahl. Am besten gefällt ihm in der Kindheit das weiße Trikot der Admira. Happel ist glühender Admira-Fan. Er bewundert die Admira-Stars Peter Platzer, Toni Schall und Adolf Vogl. Nach der Schule erledigt er schnell die Hausaufgaben, wirft den Schulranzen in die Ecke


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