Ernst Happel - Genie und Grantler. Klaus Dermutz

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eineinhalb Stunden trainiere, könne nicht in der technischen Entwicklung und im Durchsetzungsvermögen mit den Straßenfußballern mithalten, die jeden Tag mehrere Stunden mit dem Ball verbringen und sich von früh an in einer rauen Umgebung zurechtfinden und sich gegen ältere Mitspieler behaupten müssen.

      Der Fußball hat für Happel aber auch noch eine andere Funktion: Er hilft ihm bereits in jungen Jahren, mit der Einsamkeit fertig zu werden, die ihn sein Leben lang begleiten wird.

       »Genies des Fußballrasens«

      In politischer, ökonomischer und kultureller Hinsicht verliert Österreich seit dem Fin de siècle und dem Untergang der Donaumonarchie ständig an Einfluss und Bedeutung. Nur im Fußball genießt Österreich weiterhin hohes internationales Ansehen.

      Vor allem dem aus Böhmen stammenden Hugo Meisl (1881-1937) ist es zu verdanken, dass in Österreich bereits 1924 eine Profiliga eingeführt wird, in der die Wiener Vereine dominieren und fast alle Spieler der Nationalmannschaft stellen. »Herr Hugo«, wie die Spieler Meisl nennen, ist der Wegbereiter der Modernisierung und Internationalisierung des Fußballs und wird zum geliebten und auch geschmähten Bundeskapitän des »Wunderteams«, das um 1930 mit seiner eleganten Spielkunst einige Jahre als die beste kontinentaleuropäische Nationalmannschaft gilt und 1932 Sieger des »International Cups« wird, der zwischen Österreich, Italien, Frankreich, Ungarn, der Tschechoslowakei und der Schweiz im Ligamodus mit Hin- und Rückspielen ausgetragen wird.

      Ende der 1920er Jahre wird der Fußball zum Massenphänomen und zieht auch die Aufmerksamkeit der Schriftsteller auf sich. Wie die Fußballer werden auch andere Sportler mit Elogen bedacht. Im Illustrierten Sportblatt (15.10.1927) wird konstatiert, dass der »Fußballsport marschiert«, und zu den »Kleinigkeiten aus der großen Fußballwelt« gehöre es, dass ein Umdenken stattgefunden habe, nicht mehr die Stars die Bühne, sondern die des grünen Rasens zögen die Zuschauer in ihren Bann: »Noch vor ein paar Jahren galt die Beschäftigung von Fußball für einen Literaten noch als degradierend. Die verrohte Jugend, die verflachte Zeit, das geistlose, inhaltsleere Pöbelspiel – das war das Urteil! Unter hoher und höchster Literatur tat man es nicht, und kein Schriftsteller hätte sich – selbst, wenn es ihn interessiert hätte – bei einem Fußballspiel sehen lassen. Heute ist das anders geworden. Bei den großen Kämpfen bemerkt man unter anderen nicht bloß die prominenten Schauspieler, nein, auch bildende Künstler, Gelehrte und Schriftsteller.«

      Im Zusammenhang dieses Wertewandels wird noch darauf hingewiesen, Alfred Polgar, »Wiener Meister feinsten geistsprühenden Stils«, habe den Meisterschwimmer Arne Borg sogar mit einem Essay gewürdigt. Auch wenn manche Schriftsteller noch nicht ein Offside von einem Corner unterscheiden könnten, sei dies »kein so großes Malheur«, »wir finden in der Tatsache, dass Literaten über Fußball schreiben, ein gutes, wichtiges Zeichen der Zeit«: »Wir sehen daraus, dass die Literaten eingesehen haben, dass es kein so absolutes Unglück bedeutet, wenn sich die Jugend zum großen Teil vom Theater abgewandt, dem Sport ergeben hat. Vielleicht ist auch zum großen Teil das Theater dran schuld, dass die Jugend nicht so zu fesseln vermochte und versandet ist. ›Welches Theaterstück‹, so schreibt Polgar ungefähr, ›vermag so zu erregen, so zu packen, wie die Sekunden, die Arne Borg über 100 m nicht gebraucht hat?‹ Wie gesagt, vielleicht ist das Theater selbst dran schuld.«

      Kein Geringerer als der Romancier Robert Musil beschreibt 1930 in seinem Jahrhundertwerk Der Mann ohne Eigenschaften den Paradigmenwechsel in der öffentlichen Wahrnehmung der Sportler und zieht vier Jahre nach Polgars Feuilleton ein erstes Fazit: »Es hatte damals schon die Zeit begonnen, wo man von den Genies des Fußballrasens oder des Boxrings zu sprechen anhub, aber auf mindestens zehn geniale Entdecker, Tenöre oder Schriftsteller entfiel in den Zeitungsberichten noch nicht mehr als höchstens ein genialer Centrehalf oder großer Taktiker des Tennissports. (…) Das hat wohl gewiss zeitlich seine Berechtigung, denn es ist noch gar nicht lange her, dass man sich unter einem bewunderungswürdigen männlichen Geist ein Wesen vorgestellt hat, dessen Mut sittlicher Mut, dessen Kraft die Kraft einer Überzeugung, dessen Festigkeit die des Herzens und der Tugend gewesen ist, das Schnelligkeit für etwas Knabenhaftes, Finten für etwas Unerlaubtes, Beweglichkeit und Schwung für etwas der Würde Zuwiderlaufendes gehalten hat. Zum Schluss ist dieses Wesen allerdings nicht mehr lebendig, sondern nur noch in den Lehrkörpern von Gymnasien und in allerhand schriftlichen Äußerungen vorgekommen, und das Leben musste sich ein neues Bild der Männlichkeit suchen.«11

       Moderner Fußball

      Hugo Meisl setzt um, wovon Musil schreibt. Er kreiert »Genies des Fußballrasens«, avanciert zum Erfinder des modernen Fußballs und schafft mit weitblickender Kompetenz das »Wunderteam«, das am Beginn der 1930er Jahre als Inbegriff eines attraktiven und intelligenten Fußballs gilt.

      Den Auftakt bildet der 5:0-Sieg gegen Schottland am 16. Mai 1931 in Wien. Die Schotten werden gemeinhin als Lehrmeister des kontinentaleuropäischen Spiels angesehen. Der Kantersieg gegen sie ist nicht nur die »Geburtsstunde des Wunderteams«, sondern auch eines von Rundfunkkommentator Schmieger »gesungenen wunderbaren Ohrwurms: ›Schall zu Vogl, Vogl zu Schall – Tor!‹«12 Zischek erzielte zwei Treffer, Sindelar, Schall und Vogl je einen.

      In den Jahren des »Wunderteams« ist das Österreich dem deutschen Nachbarn auf dem Fußballfeld klar überlegen. Der Führung des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) ist der Wiener Fußball ein Dorn im Auge, weil hier Profis vor den Ball treten. Für den DFB-Vorsitzenden Felix Linnemann ist nach Rudolf Oswalds Studie »Fußball-Volksgemeinschaft« der Profifußball »ein untrügliches Zeichen des Niederganges eines Volkes«. Schon Symptome, die auf einen »Übergangsprozeß (…) zum Berufssport« hinweisen, seien »mit allen Kräften (…) zu bekämpfen« und Fußballer, so Linnemann 1928, die aus »anderen Gründen als sportlichen, moralischen oder beruflichen Gründen (…) Vereinswechsel« vorhaben, seien »verächtlich und aus allen Organisationen für Leibesübungen auszuschließen«.13

      Auf einer Vorstandssitzung in Hannover im Februar 1925 verabschiedet der DFB sogar ein Verbot von Spielen gegen ausländische Profimannschaften, das sich vornehmlich gegen die mitteleuropäischen Länder Österreich, Tschechoslowakei und Ungarn richtet und erst im Februar 1930 aufgehoben wird. Zwischenzeitlich hat das Verbot dazu geführt, die Leistungsstärke des deutschen Fußballs spürbar zu schwächen. 1931 kassiert die von Otto Nerz trainierte deutsche Nationalelf gegen Österreich zwei derbe Niederlagen. In Berlin siegt das »Wunderteam« mit 6:0, in Wien mit 5:0.

      Die internationale Bewunderung des »Wunderteams« wird neben dem 5:0 gegen die Schotten aber vor allem durch eine Niederlage geschürt. Über das »Jahrhundertspiel« gegen England am 7. Dezember 1932 in London schreiben Andreas und Wolfgang Hafer in ihrer Hugo-Meisl-Biografie: »Das klein und unbedeutend gewordene Österreich, das nach dem Ersten Weltkrieg so wenig eigene Identität empfand, dass es sich am liebsten an Deutschland angeschlossen hätte, mehr und mehr durch wirtschaftliche Krisen und politische Konfrontationen zerrissen, fand zu sich selbst durch den Sport: Die Erfolge des Wunderteams ließen bei den Österreichern plötzlich einen zuvor unbekannten Nationalstolz erblühen, der mit dem legendären Spiel gegen England Ende 1932 fast hysterische Züge annahm: Tausende von Österreichern reisten, teilweise sogar zu Fuß, dekoriert mit einer rot-weiß-roten Kokarde, nach London, die Abreise der österreichischen Mannschaft wurde zum Massenspektakel, das Spiel selbst wurde öffentlich per Lautsprecher übertragen, Fabriken und Geschäfte ließen während des Matches die Arbeit ruhen, sogar das Parlament unterbrach während des Spiels seine Sitzung. Zwar wurde das Spiel mit 3:4 verloren, die Wiener feierten die Niederlage wie einen Sieg, Spiel und Team wurden sofort zum Mythos, und als die Mannschaft heimkehrte, war ganz Wien aus dem Häuschen.«14

      Das Sport-Tagblatt hat Max Johann Leuthe nach London geschickt. Der Sonderberichterstatter lässt die Fußballinteressierten in Österreich wissen, was er von der W-Formation hält, mit der die Engländer zum Sieg gekommen sind: »Die Engländer mussten froh sein, dass sie in der letzten Viertelstunde von den Österreichern nicht völlig über den Haufen gerannt wurden. Was unsere Stürmer in diesen Kampfphasen zeigten, war ausreichend, die Ansichten über die W-Formation zu demontieren (…). Die W-Formation ist Punkteschinderei in Reinkultur.


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