Ernst Happel - Genie und Grantler. Klaus Dermutz

Ernst Happel - Genie und Grantler - Klaus Dermutz


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Johann Skocek und Wolfgang Weisgram hat das in London verlorene Match nichts von seiner Magie verloren, es ist für die beiden Autoren die »einzige österreichische Niederlage, die als Sieg in die Geschichte eingegangen ist«.16

       Die tschechischen Wurzeln des Wiener Fußballs

      Liest man heute die Analysen zur Spielweise des »Wunderteams«, kommt einem die Philosophie des FC Barcelona in den Sinn. »Die Wiener Schule«, so Andreas und Wolfgang Hafer, »war also charakterisiert durch perfekte Ballbeherrschung, schnelles Kurzpassspiel und eine Spielweise ohne Körpereinsatz.«17 Die beiden Autoren, Enkelkinder des legendären Bundeskapitäns, der es liebte, im Stadion mit Gehstock und Melone aufzutreten, betonen in ihrer Darstellung der Wiener Fußballkultur, dass viele Wiener Spitzenfußballer tschechische Wurzeln hatten, »auch wenn sie in Wien aufgewachsen waren; hier sei nur an Spieler wie Sindelar, Sesta und Smistik erinnert. Der Wiener Fußball war auch ein Immigrantensport. Für die tschechischstämmigen Jugendlichen in den Arbeitervierteln, sozial wie ethnisch deklassiert, bot sich mit dem Fußball eine doppelte Aufstiegschance: soziale Anerkennung und ethnische Integration. (…) Eine weitere Überlegung gilt der Rolle des Judentums in Wien vor 1938; sein Einfluss auf die Alltagskultur Wiens kann gar nicht überschätzt werden. Hierzu gehörte die Kaffeehauskultur ebenso wie die Freude am intellektuellen Diskurs, die Bereitschaft zum Experimentieren und eine allgegenwärtige wache Intelligenz. Und noch ein letzter Faktor, der auch und gerade im Wiener Fußball nicht ohne Wirkung geblieben sein kann: Wien war die Stadt der Musik. Immer wieder wird dem Wiener Fußball eine zauberhafte Beschwingtheit attestiert, und nicht zufällig nennt der schwedische Sportjournalist Tore Nilsson seine Darstellung über das Wunderteam ›laget som spelade fotboll i valstakt‹ übersetzt also: Die Mannschaft, die im Walzertakt spielte. (…) Und die Franzosen sprachen von ›Künstlern des runden Leders‹ und verglichen den österreichischen Fußball sogar mit der Musik Mozarts.«18

      In dieses Bild fügt sich, dass Meisl gern mit einem Dirigentenstab dargestellt wird und in Kaffeehäusern die Pressevertreter wissen lässt, was er von ihnen hält: Sie seien »Schmieranskis«. Meisl nimmt die Huldigungen der Journalisten aber auch gern an, gilt er doch als Ersatzkaiser, der in einem Ringcafé täglich vor Journalisten Hof hält.

       Sindelar, das erste Fußballgenie

      Matthias Sindelar, der prominenteste Spieler im »Wunderteam«, avanciert in den 1930er Jahren nicht nur zum Star der Medien, er wird auch als Werbeträger für unterschiedlichste Produkte eingesetzt. »Sindelar, der beste Spieler der Welt, ist glücklicher Besitzer der wertvollen Alpina-Gruen-Pentagon-Uhr«, »Sindelar, der Caruso des Fußballsports trägt den eleganten Ceschka-Hut!«, »Sindelar: Wenn jedes Bummerl so sitzen möchte wie der Rekord-Anzug…« und »Der Mantel, der Wien begeistern wird: ›Sindelar-Ulster‹, ein Wurf unserer Werkstätte, treffsicher wie Sindelars Schuß!«, lauten die Werbeslogans.19

      Im österreichischen Wunderteam spielt neben dem Genie Sindelar noch ein anderer Wiener Tscheche: Josef »Pepi« Bican. Dieser stets zu Späßen aufgelegte Stürmer wächst in derselben Straße wie Sindelar in Wien-Favoriten auf, Bicans Vater war nach Wien gekommen, um Arbeit zu finden. Bican, 1913 in Wien geboren, schafft bereits mit 17 Jahren den Sprung in die 1. Mannschaft von Rapid. Wenn er gute Laune hat, lässt er in einem Taxi seinen Hut und Mantel zum Stadion bringen und folgt selbst im zweiten Taxi. Bican ist ein Wanderer zwischen Österreich und Tschechien, seine Ferien verbringt er in dem Dorf Sedlice, in dem seine Großeltern in Armut leben. Roman Horak hat in einer Rede zu Bicans 95. Geburtstag am 28. November 1998 vor 100 Tschechen und Österreichern auf dem Prager Vyšehrader Friedhof die Verdienste dieses Ausnahmekönners gewürdigt, der als aktiver Fußballer in einem Atemzug mit Matthias Sindelar genannt wurde. Für Horak ist Bican eine Brücken bildende Figur zwischen zwei unterschiedlichen Welten, der von Rapid Wien und Slavia Prag: »Wie nur wenige Fußballer – der Wunderteamspieler Karl Sesta ist noch so ein Beispiel – hat Josef Bican für die österreichische und die tschechische Nationalmannschaft gespielt: in 19 Länderspielen trug er das österreichische Trikot, in 14 das tschechische. 1934, bei der unglücklichen Weltmeisterschaftsendrunde in Italien, spielte er neben Sindelar im österreichischen Nationalteam, ab 1938 in der Mannschaft der Tschechoslowakei. Zwischen Prag und Wien – so könnte man Bicans Weg beschreiben. Als Fußballer steht er nicht zuletzt in der Reihe der großen Migranten, die dem Wiener Fußball ihren Stempel aufdrückten. Es ist wohl kein Zufall, dass die beiden ersten Schlüsselfiguren des Wiener Donaufußballs – Josef Uridil und Matthias Sindelar – tschechischen Hintergrund hatten. Man kann ihnen durchaus Pepi Bican, den ich hier nicht für Wien vereinnahmen will, an die Seite stellen.«20

      Zur WM 1934 im faschistischen Italien fährt ein »Wunderteam«, das seinen Zenit bereits überschritten hat. Die Österreicher treffen im Semifinale auf den Gastgeber. Sie sind gewarnt. Ivan Eklind, der schwedische Schiedsrichter, hatte mit Benito Mussolini diniert. Eklind gibt ein irreguläres Tor und ebnet damit den Italienern den Weg ins Finale. Über 60 Jahre nach der Endrunde in Italien erinnert Bican sich an den skandalösen Schiedsrichter: »Als eine Flanke von Karl Zischek kam, konnte der alleine auf das italienische Tor laufen. Da hat der Schiedsrichter, der gerade dort stand, den Ball absichtlich weggeköpft. Unglaublich!«21 Sindelar wird im Strafraum von den Beinen geholt, doch der Pfiff des Schiedsrichters bleibt aus. Für Hugo Meisl ist klar, dass seiner Mannschaft durch ein irreguläres Tor der Einzug ins Finale verwehrt worden war. Eklind wird seine »Leistung« honoriert, er darf auch das Endspiel pfeifen. Und wieder pfeift er für Italien, lässt äußerst grobe Fouls ungeahndet, doch erst in der Verlängerung verliert die Tschechoslowakei das Finale der 2. Fußball-Weltmeisterschaft.

      Stars wie Sindelar und Bican beobachtet der junge Happel genau und erprobt ihre Tricks mit einem alten Tennisball oder einem »Fetzenlaberl« auf der Straße und in den Parks. Er wächst in dem Selbstverständnis auf, dass der Wiener Fußball der beste Europas ist. Er verfolgt bereits als Kind die Ergebnisse der nationalen und internationalen Spiele, er ist von jungen Jahren an in einem vertrauten Kontakt mit dem Spitzenfußball.

       Ersatzvater Nitsch

      Als Happel 1970 mit Feyenoord als Trainer die Bühne des internationalen Fußballs betritt, ist es für ihn eine Selbstverständlichkeit, mit seiner Mannschaft zu den besten Teams Europas zu gehören. Eine reiche Tradition stärkt ihm den Rücken. Happel tritt stets souverän auf, bei ihm hat man nie den Eindruck, dass er sich emporgearbeitet hat. Er knüpft gleichsam en passant an die Leistungen des »Wunderteams« an. Seine Vorbilder haben ihm Woche für Woche ein lebendiges Beispiel dafür gegeben, dass Fußball mit Eleganz und Einfallsreichtum zu tun hat, mit Kabinettstückerln und heiter-sarkastischen Kommentaren. Der Spielwitz findet bei Happel nach dem Match seine Fortsetzung in einer originellen Sprache. Die Sprache ist für ihn nichts Vorgegebenes, in das man sich einzufinden habe, die Sprache muss mit Esprit erfunden werden, und auch hier ist er ein Zauberer, der mit Pointen wie mit Bällen jongliert. Es geht immer darum, den Gegner und die Journalisten zu überlisten, sie in die Fallen zu locken und selbst ins Schwarze zu treffen. Man kann sich bei Happel gut vorstellen, dass er sich über eine treffsichere Replik ebenso sehr freut wie als Spieler über einen perfekten 40-Meter-Pass, der die gegnerische Verteidigung aufschneidet. Happel kennt die Materie, er bewegt sich leichtfüßig, zur Schmach für die Gegner kommt noch sein Wiener Schmäh als krönender Abschluss hinzu.

      Sein eigenes großes fußballerisches Talent wird entdeckt, als er zwölf Jahre alt ist. Bei einem Probetraining im Sommer 1938 fällt er Leopold Nitsch, Rapids Jugendtrainer, auf und wird als erster von ungefähr 100 Buben ausgewählt. Nur sechs Nachwuchsspieler werden aufgenommen, darunter sind auch die beiden Körner-Brüder Alfred und Robert.

      Zu diesem Zeitpunkt hat Happel schon eine Menge Erfahrung als Straßenfußballer, mehr als acht Jahre hat er bereits sich dem Fußball gewidmet, bevor er in die Jugendmannschaft von Rapid geholt wird. In Nitsch findet er einen Ersatzvater, der an ihn glaubt und ihn fördert. Happel hat wahrscheinlich öfter die Schule gewechselt. Denn anders ist es für den Kulturwissenschaftler Gerhard Urbanek nicht zu erklären, dass in dessen »Schulbeschreibungsbogen der Hauptschule Afritschgasse in Wien-Donaustadt in Kagran vermerkt war, dass die spätere Fußballikone in Turnen immer nur die Note 4 hatte. Er hatte stets ›den Turnunterricht


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