David Alaba. Felix Haselsteiner
und vollkommen unromantisch als „GTSV“ abgekürzt wird. Die Österreich fand im Jahr 2012 ein Kinderfoto, das Alaba mit Schultüte zeigt. Papa George Alaba lobt in der Bildunterschrift den braven Schüler David, der seine Aufgaben immer erledigt habe. Zitat Alaba Senior: „Wie, weiß ich zwar nicht, aber die Lehrerinnen haben ihn immer geliebt.“ Heute ziert ein Ausschnitt des Artikels den Internetauftritt der Schule, genauso wie Aufnahmen des erwachsenen Alaba, auf denen er auf der „großen Wiese“, wie sie im Viertel genannt wird, mit einigen Kindern Fußball spielt.
Die Bilder entstanden bei einem Dreh zur Adidas-Serie „Hometowns“, in der Alaba 2012 zum ersten und bisher einzigen Mal ein Kamerateam mit nach Aspern nahm. Dass Fußballer ihre Herkunft zu Promozwecken nutzen, ist gemeinhin bekannt. Cristiano Ronaldo lässt sich auf seiner touristischen Heimatinsel Madeira Statuen schmieden, Franck Ribéry rechtfertigt sein Bad-Boy-Image mit seiner Herkunft aus einem Arbeiterviertel im nordfranzösischen Boulognesur-Mer. Aspern gibt keine besondere Geschichte her, es ist kein Arbeiterviertel und erst recht kein Touristenzentrum. Nein, David Alaba stammt schlichtweg aus einem unscheinbaren, aber lieblichen Vorstadtviertel. In der Donaustadt sagen sich zwar nicht Fuchs und Hase gute Nacht, doch merkt man gerade in den Abendstunden, dass das Bermudadreieck, Wiens Partyviertel, ganze elf Kilometer entfernt ist.
Dennoch sollte man sich von den Straßennamen nicht täuschen lassen: Aspern ist keineswegs von „Gassen“ und „Wegen“ geprägt. Was kleinstädtisch, fast schon bäuerlich anmutet, ist in ganz Wien so: Straßen, die es verdient hätten, mindestens als solche bezeichnet zu werden, bekommen lediglich das Anhängsel „Gasse“. Ob die Nomenklatur aus Faulheit oder Traditionsbewusstsein erhalten wird, sei dahingestellt. Auch in der Kindheit von David Alaba gab es keinen echten Straßenbezug: Er war zuhause in der Sandefjordgasse, ging zur Schule im Hammerfestweg und spielte irgendwann auf dem Fußballplatz im Biberhaufenweg.
Das Gelände mit der Hausnummer 18 ist von einem zwei Meter hohen Metallzaun umgeben, der auf den ersten Blick etwas arg abschottend wirkt. Guckt man durch den Zaun hindurch, sieht man viel Grün: Mehrere große Bäume stehen entlang des einzigen Fußballfelds aus sattem Kunstrasen. Dem Rasen um das Feld herum ist jedoch anzumerken, dass der Wiener Sommer auch mediterrane Temperaturen mit sich bringen kann. Am nördlichen Eingang prangt ein Schild mit der Aufschrift „Sportplatz. Kantine. SV Aspern“. Daneben sind das Vereinslogo mit dem berühmten Asperner Löwen sowie ein Gösser-Schild angebracht. Neben dem klassischen Bieremblem – einem Siegel mit verschnörkeltem Band mit der Aufschrift „Gut. Besser. Gösser“ – wirkt das SVLogo fast schon modern. Der recht genau gezeichnete Löwe zeigt aggressiv seine Zähne und macht einen eher bedrohlichen Eindruck. Für Bayern-Fans bricht damit kurzzeitig eine Welt zusammen: David Alaba war tatsächlich mal ein Löwe, zum Glück allerdings kein Giesinger, sondern einer aus dem 22. Bezirk.
Das Gelände des SV Aspern ist übrigens einer dieser Orte in Wien, die man auch riechen kann. Die Dönerbuden am Schwedenplatz, die Würstlstände am Stephansdom, die Zuckerwatte am Prater – wenn man in der österreichischen Hauptstadt die Nasenflügel öffnet, strömt einem meistens der Geruch von etwas Essbarem entgegen. Am Biberhaufenweg riecht es hingegen nach Fußball, genauer gesagt: nach Kunstrasen. Das schwarze Gummigranulat verströmt besonders in der Hitze einen unverkennbaren, leicht stechenden Duft. So wie Kinder der 1970er, 1980er und 1990er Jahre immer den Geruch von saftigem Gras mit Fußball verbinden, sind es für die (Vor-)Stadtkinder der 2000er die neugebauten Kunstrasenfelder, die Erinnerungen an Jugendtage am grünen Feld hervorrufen.
Dass David Alaba irgendwann den Sprung vom staubigen Platz hinter der Sandefjordgasse auf das wenige hundert Meter entfernte Gelände des SV schaffen würde, war mit Sicherheit zu erwarten. Dass er auf dem Weg von seiner Wohnung, vorbei an der Schule und der Hauswand, auf der er später einmal verewigt werden sollte, im wahrsten Sinne des Wortes nur die ersten Schritte am Beginn einer ereignisreichen Karriere zurücklegte, hatte jedoch keiner kommen sehen. Fest steht, dass man in Aspern an Alaba denkt. Neben dem Graffiti ist das FC-Bayern-Trikot mit der Nummer 27 im dunkelgrün gestrichenen Klubheim des SV Aspern eine Art Heiligtum. David Alaba kommt aus der Donaustadt, er wird im Wikipedia-Artikel des Stadtteils unter anderem neben dem Jazzmusiker Fatty George und dem Rallyefahrer Rudi Stohl in der Rubrik „Persönlichkeiten“ aufgeführt.
Doch gleichzeitig ist David Alaba nicht omnipräsent. Fährt man in Österreich übers Land, begegnet man an Ortseinfahrten Schildern wie „Annaberg – Heimat von Marcel Hirscher“ oder „Fieberbrunn grüßt seinen Medaillengewinner Manuel Feller“. In Aspern huldigt man seinem Star nicht, vielleicht huldigt man hier aber auch gar niemandem. Die Bewohner, egal ob sie in der Trafik ihre Lottoscheine ausfüllen oder vormittags unter vergilbten Sonnenschirmen ihr Bier trinken, machen einen bodenständigen Eindruck. Die Asperner Wohnblocks laden nicht zum Träumen ein, sie sind keine mystische Geburtsstätte eines Jahrhundertfußballers. Selbst am Gelände des SV Aspern weht nicht der Spirit Alabas über das Feld, der junge Fußballer zu Weltstars werden lässt.
Nein, in Aspern zeigt sich schlichtweg das Idealbild einer freundlichen, praktischen Vorstadt mit vielen Grünflächen und mittlerweile guter öffentlicher Anbindung. Und wenn man dem größten Fußballexport Transdanubiens irgendwann doch ein Denkmal setzen wollte, könnte man einen Weg oder eine Gasse, vielleicht ja sogar eine Straße nach ihm benennen. Oder man könnte vom Trainingsgelände der Asperner Löwen ein paar Minuten den Biberhaufenweg entlanggehen und auf den Asperner Heldenplatz stoßen, wo der Löwe von Aspern aus Sandstein auf seiner Empore liegt. Er erinnert an Napoleons Niederlage 1809 gegen die österreichischen Truppen unter Erzherzog Carl und an die in der Schlacht gefallenen Soldaten. Auch wenn die Löwenfigur in Überlebensgröße geschaffen wurde, füllt sie den Heldenplatz bei Weitem nicht aus. Es wäre also noch ein wenig Raum für ein zweites Denkmal.
KAPITEL 2
Einmal Löwe, immer Löwe
Seit 2017 sind Löwen in der Allianz Arena endgültig unbeliebt. Mit dem Auszug des TSV 1860 München ist die Heimat des FC Bayern nun raubtierfrei, wenn man den freundlich dreinblickenden, etwas dicklichen Bären Berni, das Maskottchen des Vereins, einmal außen vor lässt. Weder bei den Fans des FCB noch im Verein sind Löwen gern gesehen. Ein stadtbekannter Münchner Fangesang handelt davon, dass Löwen in den Zoo gehören – und sonst nirgendwohin. Doch es gibt eine Ausnahme: Auf der linken Abwehrseite verteidigt beim deutschen Rekordmeister seit einigen Jahren ein echter Löwe, allerdings zum Glück keiner vom TSV. David Alaba ist ein Löwe vom Biberhaufenweg.
Dass Alaba sich so nennen darf, hat er einem abendlichen Ausflug mit seinem Vater zu verdanken. Es war im Winter 2001, und Alaba, fleißiger Organisator von Fußballmatches auf dem kleinen Ascheplatz hinter dem Haus, sollte irgendwann doch lernen, auf Rasen und in einer echten Mannschaft zu kicken. Da kam der SV Aspern, auf dessen Vereinsemblem ein stolzer Löwe prangt, gerade recht. Nur wenige Gehminuten entfernt liegt der Trainingsplatz, dessen Flutlichtanlage abends immer so hell leuchtet, dass er den Nachwuchs geradezu magisch anlockt. George Alaba marschierte an jenem Abend höflich auf den Trainer des SV zu und fragte, ob der neunjährige David mal ein Probetraining machen dürfe. Emanuel Dahner, der früher einmal als Müllmann im Viertel gearbeitet hatte und nun den Nachwuchs der Asperner Löwen trainierte, lud den schüchternen David ein, direkt mitzumachen. Alaba war so euphorisch, dass er sich gleich eine Zerrung zuzog.
Doch das hielt den kleinen David nicht lange davon ab, sich von nun an ganz und gar seinem Hobby Fußball zu widmen. Mehrmals pro Woche trainierte er mit seinen Mannschaftskollegen, zu denen auch Emanuel Dahner junior zählte, der einer seiner besten Freunde wurde. Seine Trainer aus der Zeit beim SV Aspern berichten von beeindruckenden Statistiken: Alaba soll in einer Saison 90 Tore geschossen haben. Immer wieder heißt es, dass Alaba raubkatzenartig schnell war, schneller und besser als alle anderen. Bei Turnieren wurde er zum besten Spieler gewählt. Wenn seine Mannschaft in Rückstand geriet, drehte Alaba teilweise alleine das Spiel. Aber nicht nur auf dem Platz stach er hervor: Bei einer Weihnachtsfeier legte sein Vater als DJ auf, und David zeigte, dass er nicht nur kicken, sondern auch tanzen kann. Aus dem Abend wurde schließlich sogar noch eine Karaokeshow.
Wirklich viel zu verdanken hat Alaba beim SV Aspern vor allem Dahner. Denn im Gegensatz zu vielen anderen Jugendtrainern, die ihre Schützlinge gerne