Innenansichten. Dietrich Korsch
PFARRERIN ZITA ZUMBROCK
III. VERGLEICH DER FALLANALYSEN UNTER AUSGEWÄHLTEN ASPEKTEN DER RELIGIONSKOMPETENZ
2. Personale Präsenz im Pfarramt. Professionstheoretische Überlegungen und Beobachtungen
3. Beruf: Religion. Zwischen Religionsbürokratie und Verkündigung
4. Geschlechterverhältnisse – Transformationen und Reproduktionen im Pfarrberuf
IV. ZUR ANSCHAUUNG: VIER PORTRAITS VON PFARRERN UND PFARRERINNEN. LANGFASSUNGEN DER FALLANALYSEN
PFARRERIN IRENE IMHOF
2. Vom Reden über gesellschaftliche Verhältnisse zum Reden über und mit Menschen
PFARRER QUINN QUEST
4. »Gut mit Menschen in Kontakt stehen und als Kirche mitten im Ort sein.«
RELIGION UND BIOGRAPHIE IM PFARRAMT
Bernhard Dressler/Andreas Feige
1. AUSGANGSLAGE UND FORSCHUNGSHYPOTHESE
1.1 »Religionskompetenz« als Erwartung an den Pfarrberuf
Die niedersächsische Studie zur »Religion bei ReligionslehrerInnen« (FEIGE u. a. 2000)1 konnte bei der Auswertung der berufsbiographischen Interviews als einen wesentlichen Befund das für die beruflichen Selbstkonzepte der Religionslehrkräfte bedeutsame Spannungsverhältnis zwischen »gelebter« und »gelehrter« Religion konstatieren: Von den Lehrenden wird unterschieden zwischen den je eigenen religiösen Vorstellungen und Vollzugsformen einerseits und der Thematisierung und Darstellung von Religion im Unterricht andererseits. Dabei bleiben beide Aspekte stets aufeinander bezogen, denn die individuelle Religion der Lehrkräfte ist für die Unterrichtsgestaltung eine unverzichtbare Ressource. Aber die Religion der Schülerinnen und Schüler wird davon unabhängig wahrgenommen und respektiert. So sollen ihnen autonome Aneignungsmöglichkeiten eröffnet werden, die nicht durch die Religion der Lehrkräfte normiert werden. Das heißt: Es gibt als eine dritte Größe die »professionelle Lehrgestalt« von Religion. Sie schiebt sich vermittelnd zwischen die »gelebte Religion« der Lernenden und die »gelebte Religion« der Lehrenden. So werden in den Kommunikationsverhältnissen zwischen den Lehrenden und Lernenden Kurzschlüsse ebenso vermieden wie hermeneutische Überdehnungen. Gründet also eine Didaktik auf diesem Spannungsverhältnis, so kann sie differenzierte Denkräume öffnen und Entscheidungsoptionen anbieten, also Bildungsprozesse initiieren, die zu religiöser Urteilsbildung befähigen.
Vergleichbare Einblicke in das Verhältnis von individueller Religiosität und professioneller Gestaltung religiöser Kommunikation im Pfarrberuf sind bisher noch ein Desiderat. Wir vermuten nun, dass die Professionsaufgabe des Pfarrberufs von der Bewältigung eines ähnlichen Spannungsverhältnisses geprägt ist, wie es für religiöse Bildungsprozesse in der Schule festgestellt werden konnte: Es geht dann um die Unterscheidung und den Wechselbezug zwischen der von den Menschen »gelebten« und der vom Pfarrer »verkündigten« Religion.2 Das Erkennen und die Gestaltung dieses moderngesellschaftlich geprägten Spannungsverhältnisses verstehen wir als »Religionskompetenz«. Sie erscheint uns als die Schlüsselkategorie für eine gegenwartsaktuelle Professionstheorie des Pfarrberufs.
Die Überlegungen beziehen sich zugleich darauf, dass für die neuzeitliche Herausbildung der Praktischen Theologie als Fachdisziplin und Professionstheorie die Diagnose und Bearbeitung des Spannungsverhältnisses zwischen Religion und Theologie konstitutiv ist (AHLERS 1980, DREHSEN 1988, MEYER-BLANCK 2007). Die professionelle Kompetenz von Theologen kann seither verstanden werden als die Fähigkeit, dieses Spannungsverhältnis lebendig zu halten, es also weder zur einen noch zur anderen Seite aufzulösen. Besonders im Blick auf den Pfarrberuf stellt sich damit die Frage nach der »Religionsfähigkeit« der Volkskirche (DREHSEN 1994).
Was ist näherhin zur Lage der Religion in der Gesellschaft zu sagen, die die Betonung der »Religionskompetenz« erforderlich macht?
Entgegen den bis in die 1990er Jahre vorherrschenden Säkularisierungsprognosen kann ein Bedarf an Religion und die Hervorbringung neuer Formen von Religiosität auch für die (spät-)modernen Lebensverhältnisse der Gegenwart diagnostiziert werden. Allerdings wird die »gelebte Religion« in ihren individualisierten wie zugleich pluralisierten Formen immer weniger durch die kirchliche Tradition des Christentums bestimmt. Kirchlich normierte Religion wird, wenn überhaupt, nur noch vermittelt durch eine Vielzahl von Ritual-Formaten, Erzählfiguren und Wertvorstellungen wirksam, in denen sich mehr oder weniger deutlich christentumsgeschichtlich tradierte Motive niederschlagen und spiegeln. Zugleich gilt auch dies: Mussten früher die Menschen erst davon überzeugt werden, dass individuelle Deutungen und Ausgestaltungen religiöser Vorstellungen und ritueller Praxen nicht nur erlaubt, sondern angemessen sind, so scheinen gegenwärtig die religiösen Ausdrucks- und Handlungsgestalten, die überindividuelle Geltung beanspruchen, unter den Verdacht mangelnder Authentizität zu geraten. Die »Postbürgerlichkeit des modernen Lebens« entzieht sich »den Konsistenzzumutungen konfessioneller Praxis unmerklich, aber deutlich.« (NASSEHI 2009, 188)
Gleichwohl: Der Religions-Bedarf ist davon nicht grundsätzlich berührt. Er zeigt sich in den sog. »kleinen Transzendenzen« (LUCKMANN) des Alltags ebenso wie in den großen gesellschaftlichen Inszenierungen von Freude und Trauer. In dieser Situation werden religiöse Institutionen und Zugehörigkeitsformen keineswegs überflüssig. Aber ihre Funktion und ihre Aufgabenbestimmung verändern sich: Einerseits kann die individualisierte implizite Religion der meisten Menschen immer weniger kirchlich normativ geformt werden. Andererseits aber mangelt es ihr an einer reproduzierbaren und kollektiv stabilen Formqualität. Vor allem fehlt es an Reflexionsgestalten, die den Konflikt zwischen den wissenschaftlich und technisch geprägten Teilsystemen und den persönlichen Lebensformen kognitiv wie emotional bearbeitbar – und damit auch: aushaltbar – machen. Hierauf reagiert die Kirche, reagieren die Pfarrerinnen und Pfarrer mit dem Angebot von Kommunikationsformen expliziter Religion, d. h.