Innenansichten. Dietrich Korsch

Innenansichten - Dietrich Korsch


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glaube ich. Der Kirche weht der Wind ins Gesicht. (.) Berechtigt und nicht berechtigt teilweise. Wo sie noch als Institution ernst genommen wird, wird sie als Verein unter Vereinen wahrgenommen. Bei kirchenleitenden Personen, die das nicht wahrnehmen, diagnostiziert er narzisstische Störungen. Sie bauen Potemkinsche Dörfer wie in der DDR. Sein Anspruch steht dazu im Kontrast: Ich kann Menschen so nehmen wie sie sind. Ähm, wo ich glaube, gerade bei Kirche ist das oft nicht so einfach. A. nimmt kirchliche Programmformeln wie »Wachsen gegen den Trend« überaus kritisch in den Blick.

      Es hat den Anschein, als setzten sich die Motive, die A. aufgrund seiner persönlichen intellektuellen Entwicklung in Distanz zum Pfarrberuf bringen, in seiner Diagnose der Lage der Kirche und des Pfarrberufs generell fort, sodass bei ihm subjektive Motive und objektive Diagnosen bruchlos ineinander laufen. Von Religion, deren Bedeutung er schwinden sieht, spricht er dabei ohne nähere Differenzierung.

       1.6 Das Bild vom Pfarrberuf

      Auf die Frage nach der Zukunft des Pfarrberufs äußert sich A. im Zusammenhang mit seinen Ausführungen zur Vermittlung zwischen Naturwissenschaften und Hermeneutik: Ich glaube der Pfarrer heute muss im guten Sinne des Wortes ein guter Zeitgenosse sein. Und zwar verankert im Weltwissen und zwar das auf dem höchsten Niveau des Weltwissens, ob er das selber intellektuell abbilden kann, ist zweitrangig dabei. Aber er muss sich bemühen auf dem Niveau, wo/ auf dem heute gedacht wird, auf dem/ äh die Wissenschaften, auf die es für ihn mit ankommt, mitzudenken. Zu der dafür erforderlichen Bildung bleibe zu wenig Zeit.

      Veränderungen des Berufsbildes spiegeln sich für A. in dem Verlust der Vertrauenswürdigkeit im Vergleich zu anderen Berufen. Die jungen Theologen, die er kennt, können an dieser Entwicklung nichts ändern: die kommen von der Uni, wo ich das Gefühl habe, die haben etwas Pfarrherrliches im Hintergrund und glauben, sie könnten eine Art Pfarrer sein, wie es nicht mal mehr in den fünfziger Jahren möglich war. Er beobachtet bei ihnen eine dogmatische Enge und zugleich eine liturgische Orthodoxie, wo ich richtig Angst habe manchmal davor. Und die auf die Schnauze fallen werden.

      A. konzediert, dass seine strengen Ansprüche an die Gestaltung des Pfarramts im Regelfall kaum zu erfüllen sind. Er sieht durchaus die religiöse Dimension des Pfarrberufs (ohne sie so zu bezeichnen), muss aber auch diese Dimension letztlich psychologisieren: Ihnen werden manchmal quasi priesterliche Funktionen zugeschrieben und manche müssen wir glaube ich auch annehmen. Ich glaube, es macht für die Menschen einen Unterschied, ob der Pfarrer segnet und ob er sich/ wie er sich zum Segnen verhält. […] Da wird einem was zugeschrieben und mit Übertragung und Gegenübertragung läuft das auch.

      Entscheidender als die Wahrnehmung priesterlicher Funktionen scheint für ihn indessen zu sein, über die engführenden Kompetenzen auf Gottesdienst und die Kasualien und so weiter hinaus sich im politischen, sozialen und kulturellen Umfeld der Gemeinde zu bewegen. Auch in diesem Sinne müsse der Pfarrer Zeitgenosse im guten Sinn sein und sich verankern können an dem Ort, an dem er ist.

       1.7 Religionskompetenz

      Schon die in den Eingangssequenzen des Interviews erkennbare Zurückhaltung gegenüber explizit religiösen Aspekten seiner Biographie und seines Studieninteresses als auch die Charakterisierung der mit dem Studium verbundenen Ernüchterung lässt bei A. eine geringe Ausprägung dessen erkennen, was man »Sinn und Geschmack« für Religion nennen kann, noch weniger eine Berufsmotivation aus einem starken persönlichen Glauben. Es zeigt sich in dem von A. beschriebenen Berufsprofil, dass er seine Arbeit auf eine Weise gestaltet, bei der der für den Pfarrberuf im Zentrum stehende Umgang mit Religion – der eigenen wie der in der Gemeinde begegnenden Religion der Leute – eine eher geringe, im Extremfall so gut wie keine Rolle spielt. Das scheint nicht zuletzt am ungeklärten Verhältnis zu liegen, mit dem er seine Ansprüche auf Wissen und Gewissheit verbindet.

      Die von ihm als eine starke Strömung der 70er Jahre diagnostizierten Möglichkeiten, innerhalb des Pfarramts den von ihm für ungeklärt gehaltenen Status theologischen Wissens zu kaschieren durch ethische Predigten, versagt er sich als eine Ausflucht, die ich eine Zeitlang nutzen konnte, aber die nicht gereicht hat für mich innerlich. A. begibt sich auf eine Wanderschaft nicht im Sinne von äußerem Wechsel, sondern von innerem Wechsel und Suchen. Glaubensgewissheiten, wie er sie im Studium vergeblich anstrebte, gewinnt er auf diesem Wege nicht. Aber er findet in einer bestimmten Art von Kontemplationspraxis eine Art von Gewissheit in einer Form, die ich nicht gedacht hätte und zwar nicht im fundamentalistischen Lager, und nicht die einfachen Antworten suchend, sondern über den Weg der Kontemplation. A. beschreibt ausführlich die vom ihm besuchten Kontemplationskurse als Lernweg mit kognitiven und therapeutischen Dimensionen. Er entscheidet sich bewusst gegen einen östlichen Weg und gegen Esoterisches und verbindet Mystik mit Naturwissenschaft. So fügen sich bei ihm doch noch (aus theologischer Perspektive wird man sagen müssen: auf recht erstaunliche Weise) Wissen und Gewissheit zusammen, nämlich auf dem Weg der Naturalisierung von Bewusstseinsphänomenen. Physik, vor allem Quantenphysik, ist für ihn neben den Neurowissenschaften die moderne Leitwissenschaft, die ihm auch psychische und religiöse Phänomene erklärt. Er nimmt für sich in Anspruch, auf diese Weise eben genau nicht das zu tun, was er im kirchlichen Bereich beobachtet, nämlich Sachen zu behaupten, wo jeder weiß, das ist Schwachsinn, was du sagst, jedenfalls auf wissenschaftlicher Ebene. Und dann sagen, naja Glaubensebene ist was ganz anderes. Über den Weg einer Dogmenkritik versucht A. den Bogen von naturwissenschaftlichen und durch Kontemplationsübungen gewonnenen Einsichten zu einer Theologie zu schlagen, die sich nicht mehr in dogmatischen Topoi ausdrücken lässt, aber dennoch eine Ebene erreicht, zu der Menschen mit ihren Erfahrungen, die sie machen, Zugang haben, und nicht etwas bloß zu behaupten. Dogmen sind demgegenüber für ihn obsolete Sachverhaltsbehauptungen und nicht Deutungen religiöser Erfahrungen. A. nimmt für sich in Anspruch, dass seine Dogmenkritik und seine Erfahrungen mit Kontemplationspraktiken auch Auswirkungen auf seine Gottesdienstgestaltung haben. Firlefänzchen (die typischen Familiengottesdienste der siebziger, achtziger Jahre. Wir fassen uns alle an und sind alle fröhlich) lehnt er ab. Zu der Art von Reformern, die durch die Integration bestimmter Geselligkeitsformen die Gottesdienste auflockern wollen, rechnet A. sich nicht. Andererseits lässt er Vorbehalte gegen strenge liturgische Formen erkennen. Zum ersten (und einzigen) Mal im Interview äußert sich A. zur Frage einer explizit religiösen Praxis in seinem Berufsfeld beim Thema der durch seine Kontemplationserfahrungen angeregten Integration von Stillemomenten in seinen Gottesdiensten. Unabhängig davon, ob seine Selbstcharakterisierung zutrifft, dafür eine besondere Begabung zu haben (das ist keine Unbescheidenheit, sondern das ist eine Gabe von mir, da stehe ich auch zu), ist bemerkenswert, dass er dort von Gott spricht, wo er den Menschen im Gottesdienst durch Phasen der Stille Räume für ihre eigenen Gedanken und Gefühle geben zu können hofft und sie nicht mit Worten traktiert: Egal, ob ich nun in der Stille einen klareren Gedanken fassen konnte und ihn vor dich stellen, oder ob alles wild in mir hin und her ging. Und du, mein Gott, weißt wie es um mich bestellt ist. Du siehst in mein Herz. Religion im emphatischen Sinne kommt in seiner pfarramtlichen Praxis dort vor, wo sie nicht ausdrücklich thematisch wird. Nachvollziehbar ist, dass er die Fruchtbarkeit der Stillemomente als Auswirkungen der Kontemplation auffasst. Unklar bleibt, warum er darin zugleich auch ein Resultat seiner Beschäftigung mit Wissenschaft sieht. A. rechnet es auch seinen Erfahrungen mit naturwissenschaftlichen Themen zu, dass er davon abrückt, seinen Konfirmanden das Glaubensbekenntnis nahezubringen. Diese Erfahrungen lassen ihn letztlich auch den Begriff Glauben vermeiden, weil das eine zu ungenaue Chiffre sei. Mit dem Vorbehalt gegen Theologie als leerem Dogmatismus korrespondiert ein abwesendes Gottesbild.

      Sein Blick in die Zukunft der Religion ist skeptisch: Ich halte auch diese Renaissance von Religion für einen Irrtum, der ist, ist nicht wirklich da. Es geht ihm vielmehr darum, dass wir uns bemühen, Christen zu werden. Wenn ich das Wort schon benutze, ich benutze es eigentlich nicht. Sondern ein wahrer Mensch zu werden. Das ist Nachfolge für mich. Menschwerdung ist Nachfolge und die ist nie abgeschlossen. A. fasst Begriffe wie ›Glauben‹ oder ›Christen‹ mit spitzen Fingern an, weil er sie für missverständlich


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