Innenansichten. Dietrich Korsch
Die Initiation und Moderation von Neuem wird nicht gefordert, eher ist sie mit der ›Abwicklung‹ von Vergangenem beschäftigt, wie im Fall des Verkaufs einer Kirche an eine andere Religionsgemeinschaft. Es sind nicht fehlende Kompetenzen und Überforderungsängste, die Frau Berger vor Neuem und dem damit verbundenen Risiko des Scheiterns zurückhaltend sein lassen, innerhalb ihres vertrauten Milieus ist es auch die Doppelbelastung von Familie und Beruf und die realistische Einschätzung der begrenzten zeitlichen Ressourcen. Das zwingt sie zu Kompromissen und verhindert die nachhaltige Umsetzung ihrer früheren und immer noch latent existierenden Ideale.
Es war der Respekt vor dem großen Amt, das sie zögern ließ, den Pfarrberuf in der Tradition ihrer Großväter einfach weiterzuführen. Traditionen will sie nicht unreflektiert übernehmen, sondern mit eigenen Überzeugungen und unter der Perspektive der heutigen Anforderungen gestalten. Diese Leerstelle konnte sie mit den Idealen, die sie in England mit der interkulturellen und interreligiösen Arbeit kennengelernt hatte, ausfüllen. Es bleibt jedoch bei den Idealen, die sie in der täglichen Arbeit nicht umsetzt und die sich dort nicht bewähren müssen. Frau Berger ist nie so lange in einer Gemeinde tätig, dass dieser Fall nachhaltig eintreten könnte.
2.5 Kern des Professionsprofils – Religionskompetenz
Kritisch betrachtet Frau Berger den Wandel des Gottesdienstes hin zu einem religiösen Event. Bei den Kasualien steht nach ihren Beobachtungen nicht mehr das Religiöse als rituelle Begleitung des Übergangs im Mittelpunkt einer Feier, sondern die ›Gefeierten‹ selbst mit ihren individuellen Wünschen und Vorstellungen. Diese sind aber weniger authentisch, sondern werden vielmehr von vorherrschenden Trends in den Medien beherrscht. Als wirklich SCHWACHSINNIG findet sie das Ritual bei Hochzeiten, dass die Braut vom Vater da rein geführt wird. Das ist für sie aus geschlechtergerechter Sicht […] Blödsinn und inhaltlich sinnlos, weil aus Hollywoodfilmen übernommen, jedoch zwischenzeitlich bei fast jeder Hochzeit gewünscht.
In der kirchlich-religiösen Praxis, etwa bei Kasualien und Gottesdiensten, geht es ihr nicht primär um die Befindlichkeiten der Teilnehmenden, der Steigerung von Wohlbefinden, Emotionalität und individueller Herausgehobenheit, sondern um eine religiöse ›Sachhaltigkeit‹, die dem jeweiligen Anlass angemessen zu sein hat. Als Beispiel nennt sie das Politische, insbesondere das Thema Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung, das man vor dem derzeit vorherrschenden Trend zur Emotionalität nicht aus dem Blick verlieren darf. Doch auch diese theologisch aufgeladene Perspektive bleibt ein Ideal, das sie in der pastoralen Praxis nicht umzusetzen in der Lage ist. Bei Predigten ist sie zurückhaltend in Bezug auf tagespolitische Kommentare und Stellungnahmen. Sie möchte sich zwar trauen, das MUTIGER zu sagen, aber dabei auch niemand auf die Füße treten. Sie fordert von sich selbst mehr Mut zum (politischen) Bekenntnis, ist praktisch aber auf Konsens und damit auch auf eine gewisse Risikovermeidung ausgerichtet. Das deutet sie als ein Frauenproblem, es scheint aber eher ihrer habituellen Disposition und dem Verhaftetsein in ihrem Milieu geschuldet.
Aus professionslogischer Perspektive geht es Beate Berger um eine Trias aus religiöser Sachhaltigkeit mit Bezug zum Individuum und dessen Lebenslagen sowie der eigenen gelebten Spiritualität. In der Gestaltung der eigenen Gottesdienste scheint ihr das nicht zufriedenstellend zu gelingen. Das findet sie eher im gelegentlichen Besuch von für sie interessanten Gottesdiensten und der gottesdienstlichen Feier in der Gemeinschaft mit Menschen, die sie kennt. Also, miteinander Gottesdienst zu feiern UND GERNE eben auch tatsächlich ähm (.) in der/ in Gemeinschaft mit Menschen, die ich kenne. Also, insofern gehe ich gerne hier in meine Ortsgemeinde, weil ich da auch dann immer Freunde und Bekannte treffe.
3. BOTSCHAFT DER KIRCHE – ODER KIRCHE ALS BOTSCHAFT?
PFARRER CHRISTIAN COURANT
Andreas Feige/Interview: Dietlind Fischer
So kann doch Kirche nicht sein! Das ist so eine wichtige Botschaft und dann so! (Courants Urteil als jugendlicher Mitarbeiter landeskirchlicher Jugendarbeit)
Die Aufgabe von uns ist, vor allem Teams aufzubauen, Leute zu motivieren, Gaben freizusetzen, dass es passiert, die Arbeit.
3.1 Persönliche Situation
Der Pfarrer Christian Courant ist 38 Jahre alt, verheiratet, hat zwei Kinder im Alter von 3 und 5 Jahren und wohnt neben dem Gemeindehaus. Er hat in seiner Gemeinde schon als Jugendlicher aktiv Jugendarbeit mitgestaltet. Die Gemeinde in einer mittelgroßen Stadt zeichnet sich durch ein reichhaltiges Repertoire öffentlicher, musikalischer, sozialer und kreativer Veranstaltungen und Projekte aus, gestaltet von haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeitern.
3.2 Grundlegende Pfade im Berufszugang
3.2.1 Religiöse Sozialisation
Sofort eingangs des Gesprächs sagt Herr Courant, der in einem christlichen Elternhaus aufgewachsen ist, dass die von ihm als signifikant bezeichnete Sozialisationsprägung landeskirchlich erfolgt sei. Diese zumindest sprachlich eher ungewöhnliche Kennzeichnung findet eine plausible Erklärung: Zum einen hat er, nach den üblichen Kontaktstationen Kindergottesdienst, Jungschar und Konfirmandengruppe, jahrelang unter dem förderlich-fürsorglichen Patronat eines tollen Jugendgruppenleiters intensiv übergemeindliche Kinder- und Jugendarbeit auf Dekanatsebene gemacht, z. T. auch schon früh in Verantwortungsfunktion. Zugleich stehen die dort gemachten Erfahrungen zu denen in seiner Heimatgemeinde in emotional und kognitiv großer Distanz. Diese erlebt er insbesondere in seiner Jugendzeit als sehr groß: Die Amtsträger und aktiven Mitglieder dieser Gemeinde erscheinen ihm in ihrer Andersartigkeit im Vergleich zum normalen Querschnitt der Gesellschaft wie von einem anderen Planeten. Ohne dass er dazu eine nähere Beschreibung liefert, verkörpern sie nach seiner Auffassung das Gegenteil dessen, worauf sich sein Grundinteresse an Kirche richtet; und deswegen lautet seine Kritik: So kann doch Kirche nicht sein! Das ist so eine wichtige Botschaft und dann so! Das Gegenmodell hat er, emotional geborgen, auf der Ebene der übergemeindlichen Kinder- und Jugendarbeit erlebt. Diese agierte klientelorientiert-persönlich und vermutlich auch sozialstrukturell breiter und forderte von ihm immer ein Zugehen auf andere. Dieses Präsenzprofil ließ ihn seine Arbeit ganzheitlich als »Kirche-Sein« erfahren und zwar in zwei Dimensionen: als Botschaft der Kirche und Kirche als Botschaft.
Nach dem Abitur macht er freiwillig Zivildienst in einem Altenheim. Er prüft sich, ob seine Idee, evtl. Theologie zu studieren, tragfähig ist. Auch in dieser Zeit ist er trotzdem immer in die Kirche gegangen, aber hatte irgendwie die Sehnsucht, das muss doch auch anders sein! Und dann hat ein Freund von mir mal gesagt: »Dann geh doch selber den Weg. Dann kannst du es sicherlich anders machen und deine Vorstellungen auch umwandeln.« Und das war dann so der Schlüssel.
Für die Befriedigung seines Grundinteresses an Kirche und weil die von ihm landeskirchlich betriebene Kinder- und Jugendarbeit natürlich wesentlich auf dem biblischen Weltdeutungsfundus aufruht, ist das Studium der Theologie zwingend; besonders dann, wenn man diesem tragenden Grund tiefergehend auf die Spur kommen will. Gerade wenn eine »Kirche« so nicht sein darf, wie er sie in seiner Heimatgemeinde erlebt hat, muss man das theologisch begründen können. Und für eine Veränderung muss man auch in die entsprechende Position gelangen: Und dann habe ich Theologie studiert und fand das ganz toll. Ein tolles Studium.
3.2.2 Das Studium
Wie im Fach Theologie üblich, steuert Herr Courant mehrere Studienorte an. Über inhaltlich gewonnene Eindrücke verliert er kein Wort. Dazwischen liegt ein Studienjahr an der Hebräischen Universität in Jerusalem. Das fand er, angeregt durch schon vorausgegangene Besuche in Israel und inhaltlich wegen des interreligiösen Dialogs und der Verknüpfung von Politik und Religion, auch für mich als Theologen spannender als die zeitgleiche Möglichkeit, in Dublin zu studieren. Statt auf bestimmte Studieneindrücke einzugehen findet er es für seine Selbstverortung in diesem Gespräch bedeutsamer, zu erwähnen,