Innenansichten. Dietrich Korsch
die Kämpfe habe ich einfach nach innen ähm/nach innen äh geführt. So habe sie wegen einer Essstörung eine lange Therapie gemacht um mit meinem Leben klar zu kommen, bevor sie Pfarrerin wurde. Die Brüche in ihrem Leben, insbesondere auch mit gescheiterten Beziehungen, habe sie theologisch reflektiert und daraus seien auch Folgerungen für ihr Pfarramt erwachsen. Ich gewinne Kraft für mein Leben aus meinem Beruf, nicht aus meiner Beziehung.
Als besonders prägend für ihr Berufsverständnis benennt Doris Degen mehrere Personen: neben ihrem spätbarthianischen Lehrer in der Systematischen Theologie, die Pfarrerin in einem kleinen Dorf, eine Religionspädagogin, die literarisch und politisch wirkende Theologin Dorothee Sölle sowie eine theologische Ausbilderin für Psychodrama, bei der sie viel gelernt habe. So sei sie eine praktisch arbeitende Theologin durch das Psychodrama geworden.
4.4 Berufs- bzw. Professionsverständnis
Die Pfarrerin Doris Degen verweist in ihrer berufsbiographischen Konstruktion mit Nachdruck und in stimmigen Wiederholungen auf zwei bedeutsame Stränge ihrer theologischen und persönlichen Entwicklung, die ihr Verständnis vom Pfarrerin-Sein prägen. Das ist zum einen eine gesellschaftlich-politische Orientierung und konkrete Handlungsgestalt. Und zum anderen hat sie ein subjektivpsychoanalytisches Motiv als das adoptierte Kind, das von seinen Eltern weggegeben wurde. Beide Stränge haben für sie zum Beruf der Pfarrerin geführt.
Im Pfarrberuf kann sie diese beiden Motivstränge als wechselseitig übersetzungspflichtig und übersetzungsfähig zusammenführen. So will sie in der Kirche dafür sorgen, dass alle Menschen sich als gewollt und willkommen empfinden können. Konkret verfolgt sie dieses Anliegen, indem sie den Kirchenraum offenhält für individuelle Zugänge und dadurch, dass sie für Flüchtlinge ein Kirchenasyl derart organisiert, dass es auch Kirchenjuristen überzeugt, und zudem über viele Jahre ein einmal wöchentlich stattfindendes gemeinsames Mittagessen für alle ausrichtet, einschließlich der Obdachlosen. 50 Leute jeden Freitag unterm Abendmahlsfenster in der Stadtkirche. Also äh da bin ich richtig stolz drauf. Mit derartigen Projekten kann sie die Verknüpfung von individuell-existentieller Bedeutsamkeit mit einem öffentlichen Anspruch von Theologie stimmig fortführen und trifft auf Zustimmung und Anerkennung in der Kirchengemeinde.
Da Frau Degen in einem städtischen Teampfarramt tätig ist, kann sie die projektbezogenen Stärken ihrer Arbeit realisieren. Außerdem erzählt sie begeistert von ihrer Konfirmandenarbeit, von der Seelsorge und vom Religionsunterricht als Schulpfarrerin; dagegen bleibt die Gestaltung von Gottesdiensten, Predigten und Kasualien unerwähnt. Frau Degen schätzt die kooperative Arbeit in einem Team, bei dem sich die Beteiligten in ihren jeweiligen Schwerpunktbereichen frei bewegen und wechselseitig anerkennen. Sie sieht in der Teamarbeit die Zukunft des Pfarrberufs, auch in ländlichen Regionen.
Das Professionsverständnis ihres Pfarrerin-Seins zeigt sich besonders an folgendem Verhalten: Als sie zusammen mit einem Kollegen Kontakt zur örtlichen Moschee aufnimmt, verweist sie der Imam an die Frauengruppe, was sie und ihren Kollegen als Mangel an professioneller Anerkennung geradezu empört. Aber nach einem längeren Aufenthalt in Indien ändert sie diese Haltung und beginnt, sich für die muslimische Frauengruppe zu interessieren. Es ist der Beginn einer regelmäßigen interreligiösen Kooperation: Das ist durch Indien entstanden, dass ich von diesem hohen Ross runtergekommen bin und gedacht habe, ich müsste erst eine Anerkennung bekommen, bevor ich mich in die Niederungen begebe. Inzwischen hat sie so viel Souveränität gewonnen, dass sie Konflikte zwischen einem Muslim und einem Christen schlichten kann. Und sie wird von muslimischen Frauen seelsorgerlich in Anspruch genommen, die lieber zu mir kommen als zum Imam. Sie hilft ihnen dabei, ihre Anliegen mit Bezug auf den Koran zu begründen.
Als besondere Schwierigkeit benennt sie ihre Erfahrungen mit dem System Schule, innerhalb dessen sie für den Religionsunterricht einen Freiraum jenseits der schulischen Regeln und Erwartungen suchte. Ähnlich beurteilt sie das System Kirche mit der entsprechenden Kirchenleitung, von der sie sich bei innovativen Vorhaben nicht unterstützt, mitunter auch abgewiesen fühlt. Das mindert zwar ihre Freude an ihrem Beruf. Jedoch kann sie die persönliche Zurückweisung als ein systemisches Problem der Kirchenleitung interpretieren, wodurch es eher zum Schaden der Institution gereicht als dass es ihre berufliche Motivation beeinträchtigt. So sieht sie sich selbst als eine Anarchistin, die sich über Regeln, Erwartungen, Grenzen hinwegsetzt oder zumindest permanent prüft, was innerhalb der Grenzen möglich ist. Das tut sie auch auf die Gefahr hin, anzuecken oder zurückgewiesen zu werden.
Ihr Bild von Kirche zeigt eine eschatologische Offenheit für Menschen unterschiedlicher sozialer und religiöser Orientierung. Eins der schönen Bilder äh oder eins f/ein/ ein ganz tragfähiges Bild für mich ist diese eschatologische Vorstellung: Sie werden kommen von Süden und Norden, Osten und Westen und zu Tisch sitzen im Reich Gottes. In ihrer Funktion als Mitglied eines Kirchenparlaments sieht sie sich als Wächterin und Mahnerin, die sich immer dann zu Wort meldet, wenn Menschen ausgegrenzt werden oder wenn etwas Wichtiges in der öffentlichen Präsenz von Kirche verloren zu gehen droht.
5. PIETISTISCHE FRÖMMIGKEIT UND LUTHERISCHE POSITIONALITÄT IM VOLKSKIRCHLICHEN UMFELD
PFARRER ERNST EISENBACH
Bernhard Dressler/Interview: Andreas Feige
Und DAS nun aber, das wurde mir eben im Studium hilf/ heilsam deutlich, das auszutarieren ähm durch die äh/ den Gedanken der Externität. Ich habe mich nicht selber, ich verdanke mich nicht mir selber, ich verdanke nicht den Glauben meiner Entscheidung oder sowas, sondern ich bin ähm gehalten und ich muss mir auch nicht dauernd den Puls fühlen, wie gut bin ich denn heute im Glauben oder so, sondern ich äh/ ich bin befreit und kann von daher mich äh mit einem gewissen Abstand neu angucken. (.) Suche dich nur in Christus und nicht in dir selbst, dann wirst du dich auf ewig in ihm finden.
Ja, also mein Evangeliumsverständnis bringt mich schon in Richtung eines sehr persönlichen Glaubens und da ist die Pluralität eigentlich schon immer da gewesen, auch vor der Postmoderne schon. Sie wird jetzt sichtbarer, aber jeder Mensch hat ja sein persönlich geführtes Leben, jeder Mensch hat seine Zweifel, seine Anfragen, seine Einflüsse durch verschiedene religiöse Erfahrungen. Und die Frage ist immer: Irgendwann komme ich von der Religion zum Glauben, also da bin ich ganz bei Barth geblieben. Religion und Glauben sind zwei fundamental unterschiedliche Kategorien.
5.1 Persönliche Situation
Ernst Eisenbach ist Anfang 40, verheiratet. Er hat zwei Kinder. Er wohnt und arbeitet in einer Kleinstadt im Umfeld eines großstädtischen Ballungsraums.
5.2 Religiöse Sozialisation und das Interesse am Theologiestudium
Ernst Eisenbach ist im Milieu des neueren Pietismus aufgewachsen. Sein Vater war in einem technischen Beruf tätig und hat sich nach seiner Bekehrung zum Laienprediger ausbilden lassen. Seine religiöse Sozialisation sieht er durch eine Mischung aus Intellektualität und Frömmigkeit charakterisiert. Der Bücherschrank seines Vaters ist in seiner Erinnerung ein stark präsentes Symbol dafür. Als Jugendlicher interessiert er sich für Bibel- und Gottesfragen, vor allem Gottesbeweise und für das Verhältnis Glaube und Wissenschaft. E. will zunächst Journalist werden, weil ihn Sprache und ihre Wirkmacht besonders interessieren. Theologie studiert er anfangs als eine Art Grundlagenstudium für den Journalistenberuf. Das Pfarramt spielt als Berufsziel zunächst keine Rolle. Er zweifelt zunächst, die von ihm dafür für nötig gehaltene kommunikative Alltagstauglichkeit zu besitzen. Erst nach seinem Studium hat er seine Pfarrberufstauglichkeit durch relativ viele Gemeindepraktika getestet.
5.3 Prägungen und wichtige Thematiken im Studium und der Weg ins Pfarramt
Im Studium dominiert ein fachliches Interesse. E. bezeichnet sich als Überzeugungstäter und klassischen Geisteswissenschaftler, der nicht groß taktisch studiert hat, sondern nur seinen inhaltlichen Interessen gefolgt ist. Der Pfarrberuf wird von