Innenansichten. Dietrich Korsch

Innenansichten - Dietrich Korsch


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Pfarramts von ihm tatsächlich theologisch so bearbeitet wurde und wird, dass sich sein Herkunftsbezug weitet, zugleich aber in einer bestimmten theologischen Dezidiertheit wirksam bleibt. Eben das nimmt er für sich in Anspruch. Das wäre gleichsam die Bedingung für eine Art von ›religionskritischer‹ Religionskompetenz. Seine Fundamentalunterscheidung zwischen Glaube und Religion lässt aber, bei aller geäußerten Akzeptanz der eher volkskirchlichen ›Normalreligiosität‹, vermuten, dass es ihm vor allem um die Stabilisierung der Kerngemeinde geht, die er gegen innerkirchliche bzw. innertheologische Kritik vehement in Schutz nimmt.

      Denkbar, aber nicht sicher ist, dass Ernst Eisenbach die Konflikte mit Kollegen betont, weil er hierbei explizierbare Differenzen in der Professionsauffassung thematisieren kann, ohne sich selbst in Frage stellen zu müssen. Ebenso denkbar, aber nicht sicher ist, dass er Konflikte mit anderen Frömmigkeitsstilen und volkskirchlich-religiösen Haltungen in seiner Gemeinde abblendet, weil damit sein Selbstbild als Pfarrer in Frage gestellt sein könnte.

      Ähnliches ist zu der Selbsteinschätzung zu bedenken, mit der sich E. (schon im Rückblick auf seine Jugendzeit) als verkopfter Mensch bezeichnet. Wie schlägt er Brücken zwischen seinem intellektuellen theologischen Anspruch und der Alltagssprache der Menschen? Er nimmt für sich in Anspruch, dass ihm das durch Klarheit und Elementarizität gelingt. Es fällt ihm nicht leicht, sich mit einer Kirche zu arrangieren, gegen deren vorherrschende Praxis er Vorbehalte hat. Ihm scheint eine Art Kompromiss zwischen der Beibehaltung landeskirchlicher Grundstrukturen und der einfachen, unmittelbaren und bibelorientierten Praxis vorzuschweben, wie er sie im US-amerikanischen Freikirchentum erkennt. Das wäre ein Balanceakt auf schmalem Grat. Zwar schließt E. volkskirchliche Zugehörigkeits- und Observanzmuster ausdrücklich nicht aus. Er lehnt aber deren Einschätzung mittels jener religionstheoretischen Konzepte ab, die die für ihn unaufgebbare Unterscheidung zwischen Glaube und Religion unterlaufen. Sofern er, was nicht klar erkennbar wird, damit seine persönlichen Glaubenskriterien zum religionskritischen Standard macht, würde er der Religion seiner randständigeren Gemeindeglieder nicht gerecht werden können. Hier deutet sich ein vom ihm gar nicht geleugnetes, sondern theologisch gerechtfertigtes Defizit an Religionskompetenz an.

      Die Dominanz kognitiver Zugänge zu theologischen Themen und zum Glauben, die in seiner Erinnerung für seine Jugend- und Studienzeit charakteristisch gewesen ist, scheint er auch im Pfarrberuf durchgehalten zu haben. Diese Dominanz steht in einem gewissen Gegensatz zu pietistischer Frömmigkeit. Ob Ernst Eisenbach im Interview einen Blick auf eine eigene pietistische Frömmigkeitspraxis auch in seinem individuellen und familiären Lebenskontext aus Diskretionsgründen vermeidet, oder ob in dieser Abblendung seine Intellektualität durchschlägt, ist nicht sicher zu sagen. Die Rezeption theologischer Religionskritik würde es ihm aber ermöglichen, hierin keinen Mangel zu sehen. Bei Ernst Eisenbach zeigt sich dezidierte Frömmigkeit in verbalsprachlicher Deutlichkeit, und insofern hält sich das von ihm schon in seiner Jugend so stark betonte Interesse an Sprache und ihrer Wirksamkeit auch in seiner pastoralen Praxis durch.

       6. »FEUER GEFANGEN, WAS KIRCHE ANGEHT« DIE FRÖMMIGKEITSFUNDIERTE BEREITSCHAFT, RELIGIÖS DEN MENSCHEN IN IHRER EIGENEN SYMBOLIK ZU BEGEGNEN

       Andreas Feige/Interview: Bernhard Dressler

       Also in die Wiege gelegt worden ist mir das NICHT. Ich komme aus einem Handwerkshaus.

       Und habe dann aber so in der Konfirmationszeit Feuer gefangen, was Kirche angeht.

       6.1 Persönliche Situation

      Franz Falck ist zum Zeitpunkt des Interviews 48 Jahre alt. Er ist verheiratet und kinderlos. Seine Pfarrstelle liegt in einem dörflichen Gebiet, in dem agrarische Strukturen mit ländlicher Industrie durchmischt sind.

       6.2 Grundlegende Pfade im Berufszugang

      Wäre es nach den Eltern gegangen, hätte ihr Sohn Franz später ihren Handwerksbetrieb weitergeführt – also das getan, was sie ihm als Erbe ›in die Wiege‹ haben legen können. Der Lebensweg von Franz Falck verläuft anders; nicht zuletzt deswegen, weil er aktiv und mit viel Eigenaufwand schon sehr früh in die Steuerungs- und Entscheidungsprozesse in seinem Lebensablauf eingegriffen hat.

      In seiner Erinnerung war es so in der Konfirmationszeit, dass er Feuer gefangen hat, was Kirche angeht. Damit verwendet Herr Falck zwei sich scheinbar eher nicht harmonisch ergänzende Sprachfiguren: Dem sehr ausdrucksstarkdeutlichen Feuer gefangen stellt er die inhaltlich eher verschwommene Sprachfigur des was Kirche angeht zur Seite. Der später im Gespräch nachgelieferte Kontext macht allerdings nachvollziehbar, warum er zu einer Ausdrucksfassung greift, die ein weites Feld signalisiert.

      Seine erste Konkretion liegt in der Schilderung der in dieser Konfirmationszeit begonnenen Mitgliedschaft im CVJM. Dort wird er sehr früh mit in die Führungsverantwortung gegenüber den Jungscharlern genommen: Und habe dann gemerkt, das passt zu mir, das mache ich gerne. Und umgekehrt sind die Jungscharler, die kleineren, dann gerne mit mir auch zusammen. Damit kann er das Gefühl erfahren, in einem Sozialkontext beheimatet zu sein – im CVJM im engeren und in der Kirchengemeinde im weiteren Sinne. Diese Beheimatung und das zusätzliche In-die-Verantwortung-genommen-sein ist nicht etwa nur ein Nebenprodukt. Es macht vielmehr den sowohl inhaltlich(-religiös) begründeten als auch rituell (im Gottesdienst) anschaulich-konkret in den Mittelpunkt gestellten Sinn aus. Es scheint, dass sich beim jungen Falck dafür so etwas wie ein bejahendes und bejahtes Gefühl – in Unterscheidung zu einem bloß kognitiv elaborierten Bewusstsein – entwickelt hat, das ihn sich für den Bereich Kirche auch lebensplanmäßig interessieren ließ.

      Diese Deutung gründet darauf, dass bereits in der Zeit, in der die Entscheidung anstand, welche dritte Fremdsprache es im Gymnasium sein sollte, sich Franz Falck mit Blick auf ein mögliches Theologiestudium für »Griechisch« entscheidet, ohne bisher als zweite Fremdsprache Latein gehabt zu haben. Unter diesen erschwerten Bedingungen ist eine solche Entscheidung absehbar mit der Aussicht auf hohe Anstrengungen verbunden. Die können, was sein Elternhaus angeht, nicht z. B. durch ein Milieu akademisch gebildeter Altsprachler unterstützt werden. Sie müssen vielmehr in einem häuslichen Kontext stattfinden, der von handwerklicher Arbeit und täglichen wirtschaftlichen Entscheidungen geprägt ist. Diese mit hoher Ich-Stärke arbeitsaufwendig und erfolgreich zum Abschluss geführte Entscheidung von Franz Falck wird in beiden Formulierungen erfasst: im Feuer gefangen ebenso wie im was Kirche angeht. Im Wort Kirche dürfte dann auch das Wort »Glaube« umfasst sein.

      Die Wahl der Formulierung was Kirche angeht bekommt durch eine zweite Konkretion eine weitere Bedeutung: Seinen Religionsunterricht qualifiziert Franz Falck – anders als Viele, die sich auf den Weg ins Pfarramt machen – ausdrücklich nicht als Motivationsquelle für ein Theologiestudium. Denn der RU habe nicht jene Menge Fragen behandelt, von denen er sagt, dass sie bei ihm vorhanden gewesen seien und die er gern geklärt bekommen hätte. Offenkundig gab es in seiner Wahrnehmung Differenzen zwischen dieser Menge nicht behandelter Fragen und seinem empirisch qua CVJM gewonnenen und sehr geschätzten Erfahrungsbild von Kirche. Gleichwohl – oder vielleicht auch gerade deswegen – bleibt es dabei: Also das Pfarramt war so immer mein Ding, wo ich dachte, da passe ich hin.

       6.3 Das Studium

      In dieser Lebensphase hat er die Leidenschaft für die Theologie bekommen und hat zugleich eine leidenschaftliche Liebe zur Geschichte und zur Gegenwart unserer Kirche entwickelt. Kierkegaard und Bonhoeffer sind nicht nur wichtige theologische Orientierungsfiguren, sondern sie begleiten ihn durch sein Leben: Von Bonhoeffer hat er nicht nur sämtliche Werke im Regal stehen, sondern er greift auch immer wieder darauf zurück, immer wieder. Charakteristisch für das, was ihn existenziell bewegt, ist die Verknüpfung besonders von zwei im Studium gewonnenen Einsichten. Zum einen war es die Auseinandersetzung mit evangelischer Beichte. Das war die Entdeckung im Studium, dass es so etwas gibt, und das selber für mich zu entdecken und dann


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