Innenansichten. Dietrich Korsch
anderen wird für ihn die entscheidende Entdeckung im Studium: Luther. Einerseits sagt Herr Falck, dass er – was heute eher selten geschieht – die pietistische Frömmigkeit sehr schätzt. Er sehe aber auch die möglichen Engführungen einer gesetzlich verstandenen pietistischen Frömmigkeit. Und eben im Blick darauf habe ich von dem [Luther] doch auch für meinen eigenen Glauben [etwas] gehabt. Die von Luther ausgehende Warnung vor der – bzw. die Befreiung von der – Gefahr einer gesetzlich praktizierten pietistischen Frömmigkeit ist das, was er als das für ihn existenziell wichtige theologische Thema benennt. Demgegenüber gehört z. B. die Spannung zwischen Dialektischer Theologie und Kulturprotestantismus nicht zu den Themen, die ihn sonderlich interessiert haben. Dagegen engagiert er sich schon früh im Studium in der, wie es damals noch hieß, Pfarrergebetsbruderschaft und er hat das dort stattfindende intensive Auseinandersetzen für seine Persönlichkeitsbildung als unglaublich bereichernd empfunden. Damit wird nicht nur theologisch-positionell, sondern auch im Blick auf sein Involviertsein als theologisch fragende Person anschaulich, was Herr Falck im Studium an der Theologie … je länger je mehr schätzen und lieben gelernt hat: In Gestalt der Lutherischen Denkpositionen verhalf sie ihm dazu, seine Neigung zu einer von persönlicher Frömmigkeit getragenen Lebenshaltung und Lebenspraxis theologisch-kritisch zu reflektieren und zu gestalten. Für die setzt er – nicht ohne erläuternd-differenzierende Kommentierung – den Fachterminus Pietismus ein. Diese Praxis war möglicherweise in ihm bereits in der CVJM-Zeit geweckt worden; oder sie wurde, weil schon vorher irgendwie vorhanden, dort implizit oder explizit befriedigt.
6.4 Das Vikariat
Herr Falck macht nach dem 14. Semester sein Erstes Examen. Gern nimmt er das Angebot eines Hochschullehrers an, der ihm eine halbe Mitarbeiterstelle mit Promotionsmöglichkeit ermöglicht. Drei Jahre später erfolgt die Promotion und es fügt sich, dass Herr Falck das Vikariat relativ zeitnah anfügen kann. Ausführungen zur seinen Vikariatserfahrungen erfolgen nicht. Das seinerzeit übliche Assessment-Verfahren erlebt Herr Falck als erhebliche Kränkung.
6.5 Aus dem Alltag seiner Pfarramtspraxis – Indikatoren für seine »Religionskompetenz« als Professionszentrum
Beim Angebot von Gottesdiensten ist Herr Falck vergleichsweise hoch aktiv, denn ich habe nicht selten in acht Tagen acht bis zehn Gottesdienste. Dazu gehört auch jeweils monatlich an einem Dienstag ein 6.00-Uhr-Gottesdienst mit Abendmahl … das ist mir wichtig, denn es sind bis zu zehn Leute da, … die mitten im Leben stehen und die das als wunderbaren Einstieg für ihren Tag nehmen. Angesichts des zahlenmäßig begrenzten Zuspruchs interpretiert er seine Bemühung als Realisierung des Prinzips des Apostel Paulus, auf vielerlei Weise einige zu gewinnen.
Nach seiner Einschätzung gibt es in seinem Pfarrgebiet eine Unzahl von Milieus, weil hier eine gute Industrie ist. Herr Falck versucht auf diese Pluralitätslage von Lebensstilen ästhetisch angemessen dadurch zu reagieren, dass er den Schwerpunkt seiner Gottesdienstangebote auf den Typus Thomasmesse setzt. Mit deren Einführung hat er hier gleich angefangen, nachdem er sie bereits während seines Vikariats kennen und schätzen gelernt hatte. Nach seinem Urteil erreichen wir mit der Thomasmesse Milieus, die wir sonst nicht erreichen. Auf die Frage nach einer möglichen freikirchlichen Konkurrenz und nach dem Verhältnis zur Freikirche wie auch zu den katholischen Geschwistern findet Franz Falck die sehr freundlich-fromme, in der Sache unspezifisch bleibende Formulierung, es sei ein ganz gutes, versöhntes Miteinander.
Bei seiner sich bewusst religionspädagogisch verstehenden und mit der Bibliolog-Methode operierenden Konfi-Arbeit ist Herrn Falcks Ausgangsperspektive, dass die Konfi-Arbeit doch die eine einzige Stelle ist, wo in der Gesellschaft wirklich mal alle beieinander sind. Dabei sieht er sie nicht als so etwas wie freizeitfüllende Jugendarbeit, denn das, was ich von denen erwarte, das sie können sollen, ist schon nicht ganz ohne. Für sein Angebot schwebt ihm methodisches Feuerwerk vor, um allein über die Methode zu zeigen, der Gegenstand ist so faszinierend, da könnt ihr euch gar nicht ausklinken.
Demgegenüber empfindet er die Kasualgespräche und deren Vorbereitungen als heute sehr viel anstrengender, sehr viel zeitaufwendiger. So fallen ggf. für Trauungen mit Menschen aus kirchenfernen Familien drei Traugespräche an, davon eines mit mindestens zwei Stunden; zuzüglich der Zeit für den Austausch von 20 mails. Sein dafür nicht verweigerter Aufwand ist getragen von dem Versuch, mit einer bestimmten Symbolik den Menschen nahe zu kommen, dass es nicht meine Symbolik ist, sondern deren Symbolik.
Die sich in ihrer Identität als gleichsam lutherisch kontrolliert pietistisch verstehende Person Franz Falck ist im Blick auf die traditionelle Ästhetik des Kirchlichen offen bzw. ausgesprochen anpassungswillig. Zumindest gilt das im Blick auf seine Konfis: Und auch DA versucht man immer wieder jedes Jahr was Besonderes zu bieten. Wo es mal gelungen war, war im Jahr 2007 zu sagen: »Konfirmand 007 – mit der Lizenz zum Glauben«. Und dann hat der Organist die James-Bond-Melodie auf die Orgel gebracht. Das war Sahne, ja. DAS sind so die Highlights.
Im Blick auf spezielle Zielgruppen-Arbeit berichtet der Pfarrer Falck offen auch von vergeblichen Versuchen. Eine Zeit lang hatte er, weil mir z. B. die Theologie ein großes Anliegen ist, noch die Hoffnung gehabt, ich könnte damit irgendwelche hinterm Ofen hervorlocken mit Glaubenskursen. Einer lief mit knapp zehn Leuten ganz gut, der nächste hatte nur zwei Leute. Dezidiert positiv sieht er ein anderes Feld seiner (kirchen-)gemeindeöffentlichen Tätigkeit: Mit dem Männerstammtisch gehe ich in eine Kneipe. Das ist mir wichtig. Dass eben nicht alles im Gemeindehaus stattfindet unterm Kreuz. Als Mann unter Männern zu sein, das ist in so einer Kirche auch noch eine spannende Erfahrung. Von daher sind das schon auch Anliegen.
6.6 Zum Professionsprofil von Pfarrer Falck
Herr Falck erscheint als ein vom Typus des liebevoll-nüchternen, sozialkommunikativ begabten Motivators und Organisators vielfältiger Gemeindeaktivitäten geprägter Mensch. Er unterscheidet sich im Blick auf seine Praxis prägnant vom Typ eines den Modus von Erweckungspredigten bevorzugenden Amtsinhabers, der seiner leidenschaftlichen Liebe zur Gegenwart unserer Kirche in eben dieser Attitüde Ausdruck zu verleihen versuchen würde. Vielmehr zeigen seine Selbstbeschreibungen Indizien eines religions- und religiositätsästhetisch offenen Pfarrer-Habitus. Der ist zwar vermutlich auch von einem – allerdings auf die eigene Person begrenzt bleibenden – dezidierten Bemühen um eine fromme Lebensgestaltung geprägt. Aber von seiner amtlichen Pfarrer-Position aus versucht er, die Mitglieder seiner Gemeinde (etwa im Konfirmandenunterricht, in den Thomasmessen, bei Kasualien oder im Konfirmationsgottesdienst) in je ihren eigenen Symbolwelten aufzusuchen und anzusprechen. Welche theologische Argumentatorik und Semantik und welcher deutende Bezug zu dem heute dominierenden, tendenziell zumindest szientistisch geprägten Welt- und Lebensverständnis dabei von ihm realisiert wird, kann aus seinen berufsbiographischen Selbstauslegungen natürlich nicht geschlossen werden. Aber eine große Differenz zwischen kommunikativ und perspektivisch zugewandtem Wollen einerseits und sprachlich wie theologisch abgehoben-frommem Predigen andererseits würde wohl den Praxistest am Männerstammtisch in der Kneipe langfristig kaum überstehen.
Sein Eingebundensein in den immer noch überwiegend fraglos vorhandenen Rahmen institutionell-staatskirchenrechtlich abgesicherter Regelungen und Ausdruckstraditionen erlaubt ihm, professionspraktisch zu unterscheiden: Zwischen seiner individuellen Verankertheit in einem zwar an einer Art kontrolliertem Pietismus orientierten, aber wohl eher nur im privaten Raum Ausdruck findenden Frömmigkeitsverhalten auf der einen Seite; und andererseits den vielfältigen, nach den Symboliken der Leute fragenden Aktivitäten, z. B. in Gestalt der Thomasmessen oder eben auch für eine kleine Abendmahls-Gottesdienstgemeinde morgens früh um 6.00 Uhr. Die tragen dazu bei, dass er von Vielen als kommunikativ zugänglich erlebbar sein dürfte. Beide Elemente persönlich miteinander zu vereinbaren, aber berufspraktisch nicht zu vermengen, macht seinen Professions-Habitus aus.
Insgesamt scheint Herr Falck dem Typus von Pfarramtspraxis zu entsprechen, der sorgfältig und sehr arbeitsaktiv den gegebenen Kirchengemeindebestand pflegt. Dabei kann er für seine Person auf jene Selbstreflexionsfähigkeiten