Innenansichten. Dietrich Korsch
Horizont. Wahrscheinlich hat dabei eine Rolle gespielt, dass im evangelikalen Milieu gegenüber dem protestantischen Volkskirchentum zunächst Vorbehalte bestanden. Allerdings hat E. im Studium wissenschaftliche Fragestellungen nicht für illegitim gehalten. Er sieht darin keinen Bruch mit seinem frommen Herkunftsmilieu.
Praktische Theologie steht im Studium nicht im Vordergrund. Es dominieren die aus seiner Jugend mitgebrachten Themen, konzentriert auf hermeneutische Perspektiven. Das Verhältnis von Glaube und Wissenschaft bleibt bis zum Abschluss des Studiums dessen roter Faden. Besonders prägend wird sein Doktorvater, ein systematischer Theologe, der als konservativer Lutheraner und als ein profilierter Kritiker des liberalen Kulturprotestantismus gilt, und der ein sprachtheoretisches, durchaus aufklärungskritisches, aber intellektuell anspruchsvolles dogmatisches Interesse mit Fragen des Gemeindebezugs verbindet. Im Thema seiner Dissertation bearbeitet E. systematische und praktisch-theologische Fragen mit einem interdisziplinären, Theologie und Sozialwissenschaft verbindenden Anspruch.
Herr Eisenbach verordnet sich aufgrund seiner Selbstzweifel selbst über das obligatorische Maß hinaus Praktika in verschiedenen Gemeinden, um seine Eignung für den Pfarrberuf ernsthaft zu prüfen. Er überwindet dabei Zweifel an seiner kommunikativen Alltagstauglichkeit und wird überdies zu einer Berufsperspektive ermutigt, bei der er seine kritische Haltung gegenüber einem zu lauen, unverbindlichen volkskirchlichen Christentum bewahren kann. Theologische Einfachheit und Klarheit werden von E. als Kriterien guter Praxis unterschwellig gegen pastoraltheologische Theorieansätze in Stellung gebracht, die alles in die Randgebiete ausdifferenzieren.
5.4 Bleibende Prägungen durch den Pietismus?
Herr Eisenbach hat in seiner Biografie nie irgendwie einen großen Bruch erlebt, sondern mehr eine Vertiefung und eine Erweiterung, eine Ausdifferenzierung. Es ist ihm wichtig, dass man, auch wenn man aus pietistischen Kreisen kommt, ein intellektuell anspruchsvolles Theologiestudium absolvieren kann. Seine eigene Lernfähigkeit korrespondiert in seiner Perspektive mit der zuweilen verkannten Offenheit seines religiösen Herkunftsmilieus. Er sieht sich im Theologiestudium seinem pietistischen Herkunftsmilieu durchaus nicht entfremdet. Manche seiner Äußerungen sind zugleich als Ausdruck einer pietistischen Frömmigkeit und als implizite Kritik an den Bigotterien frommer Milieus zu verstehen. Seine dezidierte Frömmigkeit erachtet er nicht als weltfremd, sondern mit dem Interesse für gesellschaftliche und kulturelle Zeitdiagnosen vereinbar, und zwar so, dass sein Glaube explizit mit dem Interesse an der ›Welt‹ verbunden bleibt.
E. kritisiert die Selbstverunklarung von Kirche, wie er sie bei Kollegen zu beobachten meint. Dabei verbindet er seine Vorstellung einer erkennbaren Frömmigkeit und eines expliziten Glaubens mit der Bereitschaft, zu einer Minderheitensituation zu stehen. Zugleich stellt er in diesem Zusammenhang einen Bezug zu seinen kommunikativen Begrenzungen her (er spricht von Gaben, die ich möglicherweise in der Form nicht habe, wo Menschen anders rangehen), die in diesem Lichte weniger als Defizite erscheinen, sondern als Begleiterscheinungen der Bemühung, den Glauben explizit zu kommunizieren. Theologiestudierenden empfiehlt er, theologische Reflexion mit einer ausgeprägteren Frömmigkeitspraxis zu verbinden. Zugleich sollten die Curricula stärker auf jene Kerngebiete konzentriert werden, die nach E.s Ansicht einer expliziteren Glaubenshaltung bei der Gestaltung des Pfarrberufs dienen würden: Ich würde sehr stark eine engere Begleitung auch im spirituellen Bereich empfehlen.
5.5 Der Kern des pastoralen Professionskonzepts von Ernst Eisenbach
E. ist mit seiner Mischung aus unangepasster Frömmigkeit und theologischem Kritikbedürfnis keinen leichten Weg gegangen. Die Verpflichtung zu einem scharfen theologischen Urteil, zu dem er sich befähigt und berufen fühlt, kontrastiert nur scheinbar mit seiner Klage über ein zu abgehobenes, theorielastiges Studium. Als promovierter Theologe, der sich selbst gern als Systematiker versteht, verbindet er dieses Selbstverständnis mit einer Kritik an zu viel Scholastik im Studium, weil damit gerade das behindert werde, was erst die Stärke einer systematisch-theologischen Urteilsbildung befördere, nämlich Erdung und Verwurzelung neben der Profilierung einer vor allem an Luther geschulten eigenen konfessionellen Positionalität.
Der Blick auf seine gemeindlichen Erfahrungen ist nicht frei vom Ambivalenzen, die er freilich mit einem gewissen frommen Tonfall resümiert: Kein Tag ist wie der andere und ich riskiere mich jeden Tag neu und ich empfange mich jeden Tag neu, also es gab Phasen, wo ich dachte, das hast du ganz gut im Griff, und dann kommt garantiert irgendwas, was einem den Boden unter den Füßen weghaut. Auch im Pfarrberuf begleitet ihn die Sorge, nicht unbedingt alltagstauglich zu sein, und eine gewisse Lebensfremdheit könne ihn im Umgang mit Menschen behindern. Er macht das daran fest, dass ihm eine einfache, unangestrengte Kommunikation, von ihm etwas abwertend als small talk bezeichnet, nach wie vor schwer fällt. Es besorgt ihn, er könne wahrgenommen werden als jemand, der über etwas redet, das keinen interessiert und damit den Leuten vielleicht auf die Nerven zu gehen. Möglicherweise ist es gerade die von E. durchaus selbstbewusst für sich in Anspruch genommene gedankliche Differenziertheit, die den sprachlichen Ausdruck im direkten Kontakt mit Menschen behindert.
Unumwunden bezieht sich E. auf als konservativ geltende Gemeindeaufbaukonzepte, freilich mit dem besonderen Akzent, den Klagen über eine Kirchenkrise gelassener und nicht mit organisationstheoretischen Konzepten allein zu begegnen: Wir sind es ja nicht die, die Kirche erhalten könnten, das ist ja nochmal eine andere geistliche Dimension, die auch drin ist. Ähm wir sind nicht die Kirchenmanager, und trotzdem kann man ja Dinge besser oder schlechter machen. E. reklamiert für sich einen differenzierten Blick auf ekklesiologische Fragen, der durchaus auch kirchentheoretische Konzepte des protestantischen Mainstreams einbezieht. Eine gewisse theologisch-ekklesiologische Strenge mischt sich dabei mit einer klerikalkritischen Offenheit.
Vor dem Hintergrund der in der Praktischen Theologie von Dietrich Rössler vertretenen Differenzierung dieser drei Felder, das persönliche Christentum, das kirchliche Christentum, das kulturelle oder gesellschaftliche Christentum, möchte E. die Engführung vermeiden, dass die Kirchlichkeit das ganze Christsein wäre. In gewisser Spannung dazu steht indes seine – durchaus polemische – Wendung gegen so eine Verachtung der Kirche […] auch in der Theologie, auch in der praktischen Theologie. Er macht diese Kritik beispielhaft fest an der Verachtung der Kerngemeinde: Das sind, seit den siebziger Jahren, wenn man da in die Untersuchungen guckt, sind das die Kleinbürger, die Zurückgebliebenen, die sozial Schwachen, die alten Frauen, die irgendwie vom Pfarrer betreut werden wollen. Es ist natürlich so, dass unsere Kirche milieuverengt ist und bestimmte Milieus häufiger auftauchen als andere. Aber ich möchte versuchen, im Kern auch dieses Potential zur Frucht und zum Wachstum zu erkennen.
In seiner Gemeinde sieht E. das ganze Spektrum unterschiedlicher Kirchenzugehörigkeitsformen vertreten. In seinem Berufskonzept ist der Versuch erkennbar, die Art entschiedenen Christentums, wie sie in den landeskirchlichen Gemeinschaften vertreten wird, ohne exkludierende Nebenwirkung mit der volkskirchlichen Normalität zu verbinden. Hinsichtlich seiner dienstlichen Arbeitsweise charakterisiert er sich als jemand, der eine gewisse Offenheit in Organisations- und Leitungsfragen pflegt, um die Freude des Evangeliums nicht durch zu detaillierte Leitungsvorgaben zu beeinträchtigen.
E. formuliert Desiderate bezüglich der Gestaltung seiner pastoralen Praxis, die er nicht vollmundig als eingelöst behauptet. Es ist aber nicht erkennbar, auf welche Reaktionen seine pfarramtlichen Gestaltungsmaximen insgesamt stoßen. Konflikte werden von ihm vor allem in seinem Verhältnis zu Kollegen aufgedeckt. Möglicherweise blendet er Konflikte zu jenen Mitgliedern seiner Gemeinde ab, denen seine Sprache zu abgehoben fromm und seine Theologie zu wenig anschlussfähig an ihre volkskirchlich-konventionelle Religiosität erscheinen könnte. Fraglich ist, wie weit es unter den Bedingungen religionspluraler Gegenwart überhaupt möglich ist, den Pfarrberuf mit der von ihm unter Berufung auf Karl Barth vertretenen expliziten Ablehnung von Religion als Unglaube zu gestalten, ohne sich damit von der Mehrheit der Gemeindeglieder zu isolieren. Immerhin lässt E. zumindest seinen Anspruch erkennen, auch gegenüber jenen Menschen kommunikationsfähig zu bleiben, die sich an seiner dezidierten Frömmigkeit reiben könnten. Es muss offen bleiben,