Innenansichten. Dietrich Korsch
Pfarrers Courant darin, vor allem Teams aufzubauen, Leute zu motivieren, Gaben freizusetzen, dass es passiert. Sein Vorgänger habe gesagt: »Hier ist der Pfarrer nicht der Hirte, der die Gemeinde im Blick hat, sondern eher der Ranger, der seine Angestellten im Blick hat und die Angestellten sind für die Gemeinde da«.
3.4 Religionskompetenz bei Pfarrer Christian Courant
Ausweislich seiner von ihm angebotenen Antworten auf die Frage nach seinem Pfarrer-Geworden-Sein lautet sein Konzept von Kirche: Weil ich glaube, die Zukunft der Kirche kann nur existieren, wenn sie von Ehrenamtlichen getragen wird. Und deshalb müsse im Blick auf kirchliche Konzeptarbeit gelten: Und dann glaube ich, sollten die Leute eben geschult werden, die Pfarrer, in Ausbildung von Ehrenamtlichen. Wie gewinne ich Ehrenamtliche? Wie, ähm, motiviere ich Ehrenamtliche? Wie begleite ich Ehrenamtliche? Entsprechend ist nachvollziehbar, wovon er beeindruckt ist: Nicht nur von äußerst aufwendig inszenierten Konfirmations-Gottesdiensten, sondern auch überall dort, wo ich sehe, wow, so viele bringen sich ein, mit strahlenden Augen, mit ihren Talenten, ihren Begabungen, Fähigkeiten und dann kommt was raus, was zwei, drei Leute alleine NIE hätten so gut schaffen können.
Bei der Fülle seiner Erzähl-Punkte zu den Aktivitäten und Events (z. B. einem Pop-Konzert der bundesweit prominenten Kelly-Family) fragt sich: In welchem Verhältnis steht in dem aktionsorientierten Habitus von Herrn Courant der von ihm selber so formulierte Komplex Theologie treiben zu dem, was er als die Kernkompetenzen des Pfarrer-Seins definiert: Seelsorge, Gottesdienst, Kasualien, solche Dinge? Anders formuliert: Was prägt die Religionskompetenz des Pfarrers Christian Courant als dem »head of the team«? Welche Perspektiven, welche Inhalte, welche Verhaltensperspektiven gilt es in den Modus der Gegenwartskommunikation der Menschen des 21. Jahrhunderts zu transferieren? Hierzu lässt sich Pfr. Courant nicht explizit aus. Zumindest zur Kennzeichnung sowohl des innergemeindlichen Interaktionsstils wie auch seiner privaten praxis pietatis gibt er da sehr vorsichtig zu erkennen: Also wir sind eine, ich sage mal sehr fromme Gemeinde. Für viele zu fromm, für andere zu wenig fromm. Aber wir beten viel. Egal, ob das Bauausschuss ist oder Gottesdienstvorbereitung, beten wir, machen auch in der Regel eine Andacht, die ich oder jemand anderes macht, also da ist schon viel geistliches Leben. Aber ich pflege das natürlich auch daheim. Also mit meiner Familie. In so einfachen Ritualen wie Tischgebet oder abends, wenn ich meine beiden Kinder ins Bett bringe, mit Liedern und Singen, aber auch für mich. Ich lese gerne auch in der Bibel und so, zum Auftanken. Ich glaube, dauerhaft kann man nicht GEBEN, wenn man nicht selber irgendwie davon erfüllt ist.
Zusammenfassend: Es fällt die Zurückhaltung von Christian Courant dort auf, wo es Gelegenheit gibt, von der Perspektive »Kirche als Botschaft« inhaltlich überzuwechseln zur »Botschaft der Kirche«, zumal er selber enthusiastisch dieses sehr Missionarische, nach außen Gehende, Einladende, in den Formen der Menschen affirmiert. In diesem Gespräch kann der Eindruck entstehen, als würde es seiner Auffassung nach für die Botschaft der Kirche allererst wichtig sein, wenn bzw. dass überhaupt die Kirche als wichtiges soziales Element im heutigen, in der Sozialdimension stark fragmentierten Alltags-Leben wahrgenommen wird bzw. werden kann – eben »Kirche als Botschaft«: zum Mitmachen und sozialkommunikativen Zeitvertreib, als Ort einer Art (Pop-)Kultur des Verhaltens zum Unverfügbaren, d. h. zum Nachdenken und zugleich zur Expression von Gefühlen über Singen, Orgelhören, im Takt von Rockbands wippen, zum Mitsprechen oder -murmeln von Gebeten bei Trauerfeiern, am Sonntag oder vor Bauausschusssitzungen.
Sicher ist, dass ihn hochgradig das Merkmal »Dienstleistungsprofessionalität« auszeichnet. Und deshalb ist anzunehmen, dass bei Herrn Courant in seiner Position als landeskirchlich beamteter Pfarrer mit rituell-liturgischen Amtshandlungspflichten und -rechten ein wesentlicher Teil seiner Dienstleistungen von religionskultureller Kontinuität, Inszenierungssorgfalt und von Deutungsversuchen in den Formen der Menschen geprägt sein dürfte – denn nach ihnen wird auch in einer eventverwöhnten Gemeinde Bedarf bestehen. Und sie würden ggf. wohl auch energisch eingefordert werden, wenn sie nicht ebenfalls im Angebot wären.
4. KIRCHE ALS ORT ESCHATOLOGISCHER OFFENHEIT FÜR MENSCHEN UNTERSCHIEDLICHER SOZIALER UND RELIGIÖSER ORIENTIERUNG
PFARRERIN DORIS DEGEN
Dietlind Fischer/Interview: Bernhard Dressler
Ich bin weggegeben worden als ähm (.) Neugeborene und ähm ich denke, dass diese Suche danach, wer ist mein Vater, äh auch Gott eingeschlossen hat.
Und dass ich Pfarrerin bin und wie ich Pfarrerin bin, das hat im Wesentlichen damit zu tun, dass ich Willkommenskultur produziere als Pfarrerin. […] Ich will, dass Menschen willkommen sind. Und weil ich davon überzeugt bin, dass Gott uns willkommen heißt. Und das mache ich, das ist mein pfarramtliches Handeln und also da ist für mich gelebte und gepredigte oder verkündete oder äh oder produzierte Theologie absolut eins.
4.1 Persönliche Situation
Doris Degen, 55 Jahre alt, ist Pfarrerin in einem großstädtischen Teampfarramt. Ihre Schwerpunkte liegen auf sozialdiakonischen Aufgaben und Projekten, auf Konfirmandenarbeit und Religionsunterricht. Darüber hinaus wirkt sie mit in einem landeskirchlichen Gremium. Sie ist in zweiter Ehe verheiratet und hat einen erwachsenen Sohn.
4.2 Religiöse Sozialisation
Aufgewachsen als adoptiertes Kind bei Eltern, die sich einer landeskirchlichen Sondergemeinde angeschlossen hatten, erlebt Doris Degen gemeinsam mit den Eltern intellektuell anspruchsvolle und sie begeisternde Sonntagsgottesdienste. Sie erinnert sich an frühkindliche tendenziell religiöse Szenen, in denen ihre Mutter das Lied »Guten Abend, gute Nacht« mit ihr gesungen und ihrer Frage nachgegangen ist, ob Gott wirklich wolle, dass es am nächsten Tag aufgeweckt würde. Später tragen besonders gute Schulleistungen ihr ein Stipendium der Studienstiftung des Deutschen Volkes ein. Sie erwägt, Jura oder Psychologie zu studieren, um die Menschen besser zu verstehen und vor allem mich selbst. Aber dann studiert sie Theologie, weil sie von einem tollen Pfarrer in der Konfi-Zeit einen besonders starken Impuls zum geistigen, (.) ähm politisch verantwortlichen, intellektuellen Leben bekommen hat, den sie als unglaublichen Gewinn und mehr/Mehrwert erlebte.
4.3 Studium und Vikariat
Das Theologiestudium ermöglicht Doris Degen, in der Tradition von Karl Barth die Theologie als dogmatische Wissenschaft und als Gesellschaftspolitik zusammensehen zu können. Sie ist aufmerksam und empfänglich für Ansätze einer »öffentlichen Theologie«, wie sie sie im Studium erlebt. Das ermöglicht ihr, ein zunächst besonders psychoanalytisch motiviertes Interesse an der Theologie nicht auf einen nur an individuelle Hörende gerichteten Anspruch religiöser Kommunikation zu reduzieren, sondern kontinuierlich auch Aufmerksamkeit für den Öffentlichkeitsanspruch der Theologie zu entwickeln. Sie betont in Unterscheidung zur Psychologie den Weltanspruch bzw. den Gesellschaftsanspruch von Theologie. Doris Degen studiert mit einem breit gefächerten Interesse und intellektueller Beweglichkeit Philosophie, Germanistik und Theologie. Ihren Studienort wählt sie aus, weil ich links werden wollte, d. h. sie sucht eine politische Haltung, die über die bürgerlich-liberale ihres Elternhauses hinausführt. Zu Beginn des Theologiestudiums setzt sie sich in marxistischen und sozialistischen Gruppen mit Gesellschaftspolitik auseinander. Das mündet verbindend in der Mitentwicklung einer grün-alternativen politischen Gruppierung.
Ihre Auseinandersetzung mit dem Trauma als weggegebenes Kind führt sie gut 10 Jahre lang weiter mit selbstgeschriebenen Artikeln zum Thema Adoption, bis sie schließlich – bei einem Buchtitel zu »ungewollten« Kindern – erkennt, dass das für sie nicht zutrifft. Sie kann sich nun, in der Dimension eines befreienden theologischen Denkens und Redens, als von den Adoptiveltern und auch von Gott »gewollt« empfinden. Diese Erkenntnis stellt einen für sie signifikanten Mehrwert dar, ist eine Überzeugung und Gewissheit, die für sie, als ein Ausdruck von Frömmigkeit, zur Voraussetzung für den Beruf der Pfarrerin wird. Den Eindruck einer großen Kontinuität