Innenansichten. Dietrich Korsch

Innenansichten - Dietrich Korsch


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wie man sich gerne Antiquitäten ab und zu anschaut. Man wohnt in anderen Möbeln, aber man schaut sie sich (schmunzelnd) gerne an. Dann vermutlich noch das Zutrauen, dass wir nicht gewinnorientiert unsere Leistungen anbieten und von daher ehrlich sind. Dass wir natürlich Erfahrung haben in der Ausrichtung von Lebensübergängen, dass man uns das zutraut. So habe jedes Arbeitsfeld und jede Pflanze auf den verschiedenen Tätigkeitsfeldern ihre Zeit der Blüte und der Vergänglichkeit, wie Gerhard Griese mit Bezug auf den Prediger sagt. Es gilt für ihn, die Hoffnung auf Wahrheit und Ehrlichkeit weiter zu tragen, den Funken zu bewahren in der Hoffnung und mit der Überzeugung, dass die Wahrheit sich trotz Demütigung und Schmerz durchsetzt. Er erwartet von der Kirche, sich als Ort der Präsenz von reizvoller – wenn auch zunehmend minoritärer – Fremdheit zu bewähren.

       8. DAS VERHÄLTNIS VON THEOLOGIE UND GEMEINDLICHER PRAXIS ALS SPANNUNGSVOLLE VERSCHRÄNKUNG VON THEORIE UND PRAXIS

       Albrecht Schöll/Interview: Dietlind Fischer

       Ich habe hier Arbeit vorgefunden oder es hat sich sozusagen dann im Vollzug hier Arbeit eingestellt, die ich mir nicht gesucht habe, aber die ich jetzt sozusagen mit Realitätsbewusstsein, aber auch mit inneren Perspektiven und äußeren Perspektiven gerne angehe.

       […] so selber als theologisches Subjekt weiterhin unterwegs zu sein.

       8.1 Persönliche Situation

      Hans Holtmann ist zum Zeitpunkt des Interviews 50 Jahre alt und verheiratet mit einer berufstätigen Frau. Sie haben als klassische späte Akademikereltern drei Kinder im Alter zwischen acht und zwölf Jahren. Es ist seine zweite Pfarrstelle, nachdem er zuvor acht Jahre lang in einem Sonderpfarramt tätig war.

       8.2 Religiöse Sozialisation und Zugang zum Studium

      Die Eltern hatten seinerzeit einen landwirtschaftlichen Betrieb in einem Dorf. Die älteren Geschwister besuchten die Hauptschule. Er war der erste in seiner Familie, der das Gymnasium besucht hat und Akademiker wurde. Seine kirchliche Sozialisation charakterisiert er als sehr konventionell. So war Hans Holtmann nach der Konfirmation in einem Jugendkreis, hat dort zeitweise auch als Helfer mitgearbeitet und in der dörflichen Kirchengemeinde im Posaunenchor mitgespielt. Das kirchengemeindliche Leben allein hätte ihn freilich nicht veranlasst, den Pfarrberuf zu ergreifen.

      Seinen Zugang zum Theologiestudium beschreibt er als Gemengelage zwischen einem sehr vorzüglichen Religionsunterricht in der Oberstufe und einer sehr konventionellen kirchlichen Biografie. Das macht er an zwei Personen fest: seinem Gemeindepfarrer als Konfirmator und seinem Religionslehrer in der Oberstufe, der zugleich Pfarrer war. Der Focus seines religiösen Interesses war auf intellektuelle Anforderungen gerichtet, d. h. auf religiös und theologisch anspruchsvolle Reflexion. Dieses Interesse wurde im Religionsunterricht bearbeitbar. Motivation und zugleich Auslöser für das Theologiestudium war der vorzügliche Religionsunterricht und untrennbar verbunden mit der Person der Religionslehrkraft bzw. dem wissenschaftlich gebildeten Theologen. Mit dem konnte er sich identifizieren. Durch den Religionsunterricht findet er auch einen neuen, nun anders gelagerten Zugang zu seiner damaligen kirchengemeindlichen Praxis. Jetzt wird seine religiöse Biografie nicht mehr nur ›gelebt‹, sondern auch auf intellektuelle Weise bearbeitbar. Diesen Zugang hatte er bei seinem Konfirmator nicht vorgefunden, denn der war ausschließlich der gemeindlichen Praxis verhaftet. Der im Religionsunterricht gefundene intellektuelle Zugang zu christlichen und theologischen Fragen wird zum Baustein, der ihm zu einer Beheimatung in der dörflichen Kirchengemeinde bisher fehlte. Dass er die beiden Bereiche als Gemengelage bezeichnet, deutet auf einen damals noch eher offenen Modus, wie der Bezug zwischen konkreter religiöser Praxis und intellektuellem Anspruch hergestellt werden kann. Zumindest aber ist die Bearbeitung religiöser Fragestellungen auf einem anspruchsvollen intellektuellen Verstehensniveau die Voraussetzung, dass er sich in der Gemeinde nun auch beheimaten kann. Und beides zusammen – mit Fokussierung auf den Religionsunterricht – hat in der Oberstufe zu seiner Entscheidung geführt, Theologie zu studieren. Die intellektuell begründeten Interessen kann er ohne Zweifel im Theologiestudium und in der auf das Vikariat folgenden Promotion entfalten. Das Studium war einesteils Selbstzweck in Bezug auf wissenschaftlich-theologische Erkenntnisinteressen, andererseits hat er den Bezug zur ganz normalen kirchlichen Gemeindepraxis nie verloren.

       8.3 Theologiestudium und Vikariat

      Hans Holtmann beginnt das Studium in der seinem Heimatort nächstgelegenen Universität. Diese Entscheidung spiegelte zudem seine damalige Lebenssituation, denn während des Grundstudiums half er jedes Wochenende und in den Semesterferien im landwirtschaftlichen Betrieb seiner Eltern. Es gab die Verabredung mit den Eltern, ja, äh Geld gegen Mithilfe //(lacht). //

      Nach dem dreisemestrigen Grundstudium wechselt er noch zweimal die Universität. Offenbar bedurfte es auch der räumlichen Entfernung vom Elternhaus, die so leichter eine Distanz vom Herkunftsmilieu ermöglichte, um einen neuen Raum zu öffnen, der mit dem Theologiestudium begonnen hat und sich dann im Pfarrberuf entfalten konnte. Nicht mehr die praktische Arbeit in der Landwirtschaft war angesagt, sondern die Bearbeitung von theologischen Fragestellungen auf möglichst intellektuell hohem Niveau. Gegen Ende des Studiums wurde ihm angeboten zu promovieren. Das hat ihn wohl sehr gereizt, zunächst jedoch hat er das Vikariat absolviert, wo er nach dem Vikariat sofort in den Pfarrdienst übernommen worden wäre. Er wurde jedoch Hilfspfarrer mit eingeschränktem Gehalt und hat während dieser Zeit an seiner letzten Universität promoviert.

       8.4 Entscheidung für das Pfarramt

      Beim Übergang vom Promotionsstudium ins Pfarramt war für ihn die Frage entscheidend, wie die zwei parallel verlaufenden Bereiche in einen für die pastorale Praxis sinnvollen Zusammenhang gebracht werden können: die Reize der mit der Promotion verbundenen intellektuellen Erfahrungen und Erkenntnisse zum einen und die praktischen Anforderungen einer Pfarrstelle in einer konkreten Gemeinde zum anderen. Klar für ihn war, dass ein einfacher Wechsel von dem einen zum anderen ›Spielfeld‹ für ihn ebenso wenig in Frage kam wie eine Trennung der beiden Bereiche. Vor der Entscheidung für das Pfarramt ist allerdings noch offen, ob dieses Aufeinanderbeziehen gelingen werde. Insofern war die Entscheidung seinerzeit eine Risikoentscheidung. Die beschreibt er über die Argumentationsfigur einer analytischen Negation:

      […] wenn Sie (druckst) ein Angebot haben (stottert) und Rahmenbedingungen, wo Sie denken, Sie können es riskieren, und wenn Sie niemand jetzt dann sozusagen ins Gemeindepfarramt TREIBT, und auch nicht die eigene Motivation jetzt sagt, also (das lass?) auf jeden Fall sein, es gibt NUR noch Gemeinde und NUR noch das, äh dann äh äh klar, dann fangen Sie sowas nicht an.

       8.5 Aspekte des Berufsverständnisses – Religionskompetenz

      Das zentrale Moment seines Theorie-Praxis-Verständnisses, mithin der Kern seines Professionsbegriffs besteht darin, dass für ihn das Eine nicht ohne das Andere zu haben ist und zugleich das Eine nie als Ganzes im Anderen aufgehen kann. Insofern kann man im Fall von Hans Holtmann das Verhältnis von Theorie und Praxis beschreiben als eine ›widersprüchliche Einheit‹, die es ständig zu reflektieren gilt und wo sichere und im Voraus ableitbare Handlungs-/Verhaltenslösungen nicht zu haben sind. Diese Spannung spiegelt sich in seiner Argumentation.

      Und das intensive Bedenken der Spannung führt ihn dazu, dass er sich auch mit dem ›Ballast‹ einer Dissertation entschließt, sich auf eine ganz normale Gemeindepraxis einzulassen. Unter der Bedingung, niemand dürfe ihn ins Gemeindepfarramt treiben darf umgekehrt auch die eigene Motivation ihn davon nicht abhalten. Denn es wäre für ihn eine zwanghafte und nicht durchzuhaltende Perspektive, dass er in der Gemeinde nur noch ›gemeine‹ Praxis vorfindet und ihn diese zur Gänze in Anspruch nehmen würde. Es geht ihm um beides gleichzeitig: um theoretische Reflexion pastoraler Praxis und um die theologische Fundierung eben dieser Praxis.

      Hans Holtmann


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