Innenansichten. Dietrich Korsch

Innenansichten - Dietrich Korsch


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Wort zu verkünden hat […] Und diesen pfarramtlichen Auftrag, für den ist es zu wenig, finde ich, die Bibel nur zu lesen als ein historisches Dokument.

      Neben seiner theologischen Kompetenz sieht er den Pfarrer als eine Art Kommunikator im Dienste einer Kirche, die als Volkskirche öffentlich präsent ist und die eine Arbeit vollzieht, die von Interesse ist über ihre Mitgliedergrenzen hinaus. Für die öffentliche Präsenz spielt zunächst mal vor allen Dingen ganz klassisch der Gottesdienst eine Hauptrolle. Die volkskirchliche öffentliche Präsenz ist für J. vor allem durch solche Themen gekennzeichnet, die nicht nur in einem sehr allgemeinen Sinn von öffentlichem Interesse sind, und bei denen sich die Frage nach der besonderen Kompetenz der Kirche stellen lassen könnte, sondern bei denen sich politische und kulturelle Themen auf bestimmte Weise mit – im weitesten Sinne – religiösen Themen verbinden. So erhält dann auch in seinem Amtsverständnis der Gottesdienst in einer kirchlichen Minderheitssituation die ihm im kirchlichen Selbstverständnis zwar zustehende, oft aber zu wenig wahrnehmbare öffentliche Bedeutung. So wird der Gottesdienst flankiert von Bildungsveranstaltungen und kulturellen Angeboten in der Kooperation mit der Kommune und örtlichen Vereinen. Selbstbewusst reklamiert J. im Blick auf die Aktivitäten, die über die gemeindlichen Kernaufgaben (Kasualien, Konfirmandenarbeit usw.) hinausgehen, eine für die Ortsidentität wesentliche Rolle. In der kleineren, stärker evangelikal geprägten Gemeinde ist ihm die Erwachsenenarbeit besonders wichtig, mit dem Schwerpunkt auf Bibelarbeiten, für Vorträge zu bestimmten Themen, die sich im Bereich Kirche und Glauben stellen.

      Eine gewisse Polarisierung zwischen der kleiner werdenden Kerngemeinde und einem Umfeld, in dem die Teilnahmebeteiligung zwar größer wird, aber an Verbindlichkeit verliert, konstatiert J. nüchtern. Er klagt nicht darüber und vermeidet jede Abqualifizierung der weniger verbindlichen Gemeindeglieder. Die öffentliche Resonanz seiner Arbeit ist ihm wichtiger als die Pflege eines zwar intensiv empfundenen, aber sich sozial verkapselnden Christentums. Immerhin kann er sich in dieser Haltung bestärkt sehen, insofern er die öffentliche Resonanz nicht am Maßstab bloßer Geschäftigkeit messen kann, sondern an einem insgesamt steigenden Gottesdienstbesuch, also am religiösen Kerngeschäft des Pfarrberufs. Die Äußerungen von J. zu den Resonanzen im öffentlichen Umfeld der kirchlichen Arbeit zeigen eine gewisse Nüchternheit, eine realistische Einschätzung begrenzter Möglichkeiten, aber auch unverhohlene Zufriedenheit mit manchen Erfolgen und mit der Tatsache, dass die Stimme der evangelischen Kirche hörbar und gehört bleibt.

      Am Beispiel der Gottesdienstgestaltung charakterisiert sich Herr Jäger selbst, indem er ein auf öffentliche Wirksamkeit einschließlich politischer Themen bedachtes Christentum skizziert und dafür die biblisch einschlägigen theologischen Bezüge benennt: Bergpredigt und alttestamentliche Propheten mit ihren sozialen Forderungen. Beim Thema Predigt knüpft Herr Jäger am deutlichsten an seine wissenschaftlich-theologischen Interessen an, die für seine Studien- und Berufsentscheidung den Ausschlag gegeben haben.

      Insgesamt betont J., wie sehr er sich im Pfarrberuf wohlfühlt. Er sieht sich dafür gut ausgebildet, gerade auch durch jene Elemente des Theologiestudiums, die nicht unmittelbar praktisch zweckgerichtet sind, sondern die neben theologischer Urteilsfähigkeit auch Persönlichkeitsbildung vermitteln. Allfällige und oft zur Klage Anlass gebende kirchliche Strukturprobleme mit ihren administrativen Belastungen leugnet er nicht, relativiert sie aber gegenüber den Aufgaben, die er im Zentrum des Pfarramts sieht. Auch solche Phänomene, die oft unter den Aspekten »Säkularisierung« Anlass zum zeitkritischen Lamento geben, analysiert er klar und nüchtern (und nimmt dafür auch wissenschaftliche Expertise zur Kenntnis), betrachtet sie aber ebenso sachlich als jene unvermeidlichen Aufgaben, die sich im Pfarramt eben stellen. In der Art und Weise, wie er darüber aus seiner Gemeindearbeit berichtet, ist ein gewisser Stolz auf Erfolgsbilanzen erkennbar.

      Herr Jäger sieht sich bei allen kommunikativen Fähigkeiten, die sich auch in so etwas wie Netzwerkpflege über das enge kirchengemeindliche Umfeld hinaus zeigen, weniger als Administrator, sondern im klassischen Sinn pastoraler Professionstheorie als Prediger und Seelsorger für seine heterogene Gemeinde, die ihm auf den Kernfeldern pfarramtlichen Handelns ganz unterschiedliche Gestaltungsfähigkeiten und -bereitschaften abverlangt. Die religiösen Kernfelder, vor allem der Gottesdienst, aber auch die Konfirmandenarbeit und die Kasualien, sieht er keineswegs nur als kerngemeindlich verengte Frömmigkeitspflege, sondern zugleich und konstitutiv als öffentliche Aufgaben. Gottesdienst und darüber hinaus gehende Öffentlichkeitsaktivitäten schließen sich für ihn nicht nur nicht aus, sondern bestärken sich wechselseitig. In dieser Vermittlung unterschiedlicher Handlungsfelder besteht der Kern seiner Religionskompetenz.

      In der Darstellung und Bilanzierung seiner Arbeit wird ein volkskirchlicher Protestantismus von großer Selbstverständlichkeit deutlich. Herr Jäger ist von Jugend an kirchlich beheimatet geblieben und hat durch das Studium zusätzlich zu seiner innerkirchlichen Vertrautheit und Orientierungssicherheit das für ihn notwendige Professionswissen hinzugewonnen, und zwar gerade dadurch, dass das Studium nicht enger verschult war. Diese Verbundenheit und Vertrautheit mit seiner Kirche hindert ihn nun gerade nicht daran, auch mit kirchendistanzierteren Haltungen umgehen, ins Gespräch kommen und sie ins Gravitationsfeld seiner gemeindlichen Arbeit einbeziehen zu können. Seine Frömmigkeit ist kein Kommunikationshindernis gegenüber einem religiös eher unbedarften Umfeld. Dem entspricht auf der anderen Seite ein starker vermittlungstheologischer Impuls, der schon im Studium wirksam wurde, und mit dem er evangelikale und offenere Formen des Protestantismus in wechselseitig wertschätzende Gespräche verwickeln will, ohne darüber die historisch-kritische Reflexion der christlichen Tradition in Frage zu stellen. Er bezieht seine theologische Reflexion allerdings strikt auf einen Verkündigungsauftrag, für den die Bibel als Gottes Wort im Menschenwort der Maßstab bleibt. Sein theologisches Interesse pflegt er auch im Beruf weiter und setzt es nun ins Verhältnis zu den unterschiedlichen (unterschiedlich intensiven und unterschiedlich kirchendistanzierten) Formen gelebter Religion. Herr Jäger zeigt eine nicht nur systematisch, sondern auch pastoraltheologisch reflektierte Form religiöser Professionalität, die ihm den erfolgreichen Umgang mit religiös wie sozial und kulturell äußerst heterogenen Herausforderungen ermöglicht.

       11. WEITERGABE DES EIGENEN RELIGIÖSEN BRENNENS: SCHÖNE GOTTESDIENSTE ALS LOBPREIS DER SCHÖPFUNG

       PFARRER KARL KAMPE

       Dietlind Fischer/Interview: Albrecht Schöll

       Also, die Grundbedingung ist sicher, dass ich von Anfang an ein religiöser Mensch war.

       Würde ich überhaupt als die Mitte meines Arbeitens äh ansehen, schöne Gottesdienste zu feiern.

       11.1 Persönliche Situation

      Karl Kampe, 55 Jahre alt, arbeitet als Gemeindepfarrer und zusätzlich als Verantwortlicher für eine City-Kirche, in der besondere Predigtreihen und Gottesdienste veranstaltet werden.

       11.2 Religiöse Sozialisation

      Seine Biographie rekonstruiert Karl Kampe explizit von der Position einer Selbstgewissheit aus, mit der er sich als religiöser Mensch von Anfang an empfindet. Diese Empfindung habe er schon als Kind gehabt. Als Grundschüler habe ihn die Geschichte von Abraham und Isaak so sehr berührt, dass er durch einen geradezu archaischen Vollzug eines tatsächlichen Brandopfers Kontakt zu dem Numinosen suchte. Seine Familie kennzeichnet er demgegenüber als nicht besonders religiös oder kirchlich gebunden. Als Jugendlicher entwickelte er dann ein starkes Interesse an Musik und spielte Orgel. Das hält ihn im Resonanzraum von Kirche. Aber seine Begabung reichte nicht, um hauptberuflich Kirchenmusiker zu werden. So bezeichnet er in seiner Erzählung das Theologiestudium als zweite Wahl.

       11.3 Studium und Vikariat

      Gleich zu Beginn des Studiums begegnet er der Theologie Paul Tillichs und das, so sagt er, begeistert ihn für theologische Fragestellungen, entflammt ihn geradezu. Kurz darauf kam dann aber auch gleich eine


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