Innenansichten. Dietrich Korsch

Innenansichten - Dietrich Korsch


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die gesamte Projektdauer aus folgenden Personen bzw. Fachkompetenzen: Bernhard Dressler, Uni Marburg (Praktische Theologie/Religionspädagogik), Andreas Feige, TU Braunschweig (Soziologie/Religionssoziologie), Dietlind Fischer, Comenius-Institut Münster (Erziehungswissenschaft/Religionspädagogik), Dietrich Korsch, Uni Marburg (Systematische Theologie), Albrecht Schöll, Comenius-Institut Münster (Sozialwissenschaft/Religionssoziologie/Methodologie).

      Die sehr präzise-zuverlässig ausgefallene Verschriftlichung der elektronisch aufgezeichneten Interviews oblag der Firma dr. dresing & pehl GmbH (Audiotranskript) in Marburg. Insgesamt ist die Zahl der Fallanalysen mit insgesamt 26 Fällen in Anbetracht des dafür erforderlichen außerordentlich hohen Zeitaufwandes (insgesamt wie auch je Fallanalyse) als außerordentlich befriedigend anzusehen. Die seinerzeit in der niedersächsischen und in der baden-württembergischen Studie erreichte Zahl (17 bzw. 12) wurden deutlich übertroffen.

II. KURZFASSUNGEN DER 26 FALLANALYSEN

       1. DIE DESINTEGRIERTHEIT VON PRIVATER RELIGION UND PROFESSIONELLEM UMGANG MIT RELIGION

       PFARRER ALBERT ANDERS

       Bernhard Dressler/Interview: Albrecht Schöll

       Ich empfehle eine Öffnung (.) hin, vom dogmatischen System weg/ ich rede jetzt aber Sachen, von denen ich weiß, dass sie nicht stattfinden werden.

       In kontemplativen Übungen sitze ich, wie es in der Bibel heißt, wach und nüchtern. ›Lasst uns wach und nüchtern sein und bereit für deine Zukunft‹, so sitze ich in der Regel. Es ist ein klarer Kopf, (.) aber manchmal gibt es eine vertiefte Ruhe und ein vertieftes Empfinden und es gibt zwischendurch Erfahrungen, die mir eine Art von Glaubensgewissheit geschafft haben, äh die mit dem Gottesbild der Dogmatik nur am Rande noch was zu tun hat.

       Diese Kirchengemeinde ist, das kann man wirklich so sagen, ähm im kommunalen Bereich wirklich sehr gut verankert. Das war eher meine Aufgabe hier. Wir haben uns nie hier zurückgezogen und haben unser Ding gemacht, sondern wir wa/ haben uns immer bemüht in den kommunalen Zusammenhängen äh mit drin zu sein und Stimme zu haben und wir waren/ ähm, sind bis heute einfach auch äh nicht nur wahrgenommene Stimme und zwar nicht im moralischen Sinne, sondern im Sinne von praktischer diakonischer Arbeit.

       1.1 Persönliche und berufliche Situation zur Zeit des Interviews

      Albert Anders ist zum Zeitpunkt des Interviews 58 Jahre alt. Er ist verheiratet und hat eine erwachsene Tochter. Er arbeitet auf je einer halben Stelle in einer Vorstadtgemeinde und – aufgrund zurückliegender Unterrichtserfahrungen an einer allgemeinbildenden Schule und einer berufsbegleitend erworbenen Zusatzqualifikation – an einer Hochschule mit besonderen Aufgaben im Lehramtsstudium für Ev. Religion. Die Arbeit in der Gemeinde teilt er sich mit einer Kollegin. Er fühlt sich arbeitsmäßig nicht überlastet, bilanziert aber kirchliche Maßnahmen der Qualitätssicherung kritisch als wachsende Arbeitsbelastung.

       1.2 Wege des Berufszugangs

      Herr Anders ist in einer Arbeiterfamilie aufgewachsen, die zugleich gut volkskirchlich orientiert war. Von einer intensiven religiösen Sozialisation und Erziehung berichtet er nicht. Er repräsentiert eine soziale Aufsteigerbiographie, wie sie für die Generation, die in den 1970er Jahren studierte, nicht untypisch ist. Für das Theologiestudium scheint er nicht nur durch ein inhaltliches religiöses Interesse, sondern ebenso sehr durch ein eher abstrakt-allgemeines Aufstiegsinteresse motiviert zu sein. Für Theologie interessiert er sich aufgrund seiner Mitarbeit als Kindergottesdiensthelfer. Er ist froh, im sozialen und bildungspolitischen Aufbruchsklima der 1970er Jahre ein Studium überhaupt beginnen zu können. Andere Berufsperspektiven, die keinen akademischen Zugang erfordert hätten und für die sein Vater wirbt, verwirft er. Angetrieben wird er von einem nicht näher spezifizierten Wunsch nach Wissen. Die Alternative eines Sozialpädagogik-Studiums hat A. kurz erwogen. Die BAföG-Förderung und eine frühe Beziehung zu einer berufstätigen Freundin ermöglichen ein von finanzieller Knappheit unbeeinträchtigtes Studium. Allerdings ist er hinsichtlich seiner mit dem Theologiestudium verbundenen Erkenntnis-, Einstellungs- und Haltungserwartungen recht früh enttäuscht worden. Den Gedanken, zu einem Sozialpädagogik-Studium zu wechseln, realisiert er aber nicht.

       1.3 Prägungen und zentrale Themen im Studium

      Das Wissen, das A. als stärksten Antrieb für die Aufnahme eines Studiums bezeichnet, erwies sich für ihn recht bald im Blick auf das Theologiestudium – so sein starker, aber auch mehrdeutiger Begriff – als totes Wissen. Er beklagt die durch keinerlei curriculare Strukturen regulierte Zufälligkeit der Studienthemen. Die persönliche Ausstrahlung eines religionskritischen Barthianers unter seinen Professoren habe ihn von einer rechtzeitigeren fruchtbaren Beschäftigung mit der Theologie Paul Tillichs und dem Konzept der Korrelation abgehalten. Orientierung und Gewissheit kann ihm das tote Wissen der Theologie nicht bieten.

      Stärkeres Interesse entwickelt A. zunächst an der Theologie Eugen Drewermanns, wird dann aber durch dessen depressive Stimmlage abgeschreckt. Sein psychologisches Interesse verbindet sich hier mit einem psychologischen Urteil. Im Blick auf sein Studium und darauf, warum er es überhaupt abschließt, wird nicht recht erkennbar, wie er die Spannung zwischen seinem Wissensanspruch und dem dazu nicht ins Verhältnis zu setzenden Anspruch auf Glaubensgewissheit bearbeitet.

       1.4 Berufliche Entwicklungen

      Anfang der 1980er Jahre wird A. auf einer ländlichen Pfarrstelle, bei der er drei Gemeinden zu betreuen hat, gleichsam ins kalte Wasser gestoßen. Trotz der bereits im Studium erfolgten Ernüchterung lassen ihn erst die Schwierigkeiten des Berufsfeldes an seiner Berufswahl zweifeln. Auf seinem langen Weg stellt A. sich immer wieder die Frage: ›Kann ich weiterhin Pfarrer sein, will ich das?‹ Nun erst bedrängt ihn neben den äußeren Schwierigkeiten das innerliche Problem, dass nichts war mit dem Wissen. Es bleibt dabei offen, was er unter Wissen versteht: Glaubensgewissheit, theologisches Fachwissen oder berufliches Praxiswissen.

      A. verdrängt seine Probleme nicht. Er erwägt berufliche Alternativen und entscheidet sich dann für eine berufsbegleitende Ausbildung als Psychagoge, die er gegen viele Schwierigkeiten fast zu Ende bringt. Zugleich arbeitet er auf der Hälfte seiner Pfarrstelle als Religionslehrer. Ein Berufswechsel in eine therapeutische Praxis wird aber durch ein neues Therapiegesetz verhindert, durch das die Chancen auf eine Approbation unkalkulierbar werden. A. bemüht sich nun, die mit der Zusatzausbildung erworbenen Kenntnisse und Qualifikationen mit dem Pfarrberuf zu verbinden. Er absolviert eine pastoral-psychologische Ausbildung als Gestaltseelsorger, bei der ihm ganz viele religiöse Fragestellungen auf einmal in ganz anderer Art und Weise präsent werden. Beruflich bleibt diese glückliche Verbindung von Sonderqualifizierung und starkem inhaltlichem Interesse zunächst folgenlos. Er kann sich aber mit der sich bald bietenden Gelegenheit einer eingeschränkten Gemeindepfarrstelle und der Beauftragung an der nahegelegenen Hochschule – der beruflichen Konstellation, die bis zum Zeitpunkt des Interviews andauert – arrangieren.

      A.s Berufsweg bleibt mit der Suche nach inhaltlicher Orientierung verbunden. Er gibt sich mit der Situation eines Landpfarrers unter prekären Bedingungen nicht zufrieden. Mit einer Berufstätigkeit als Psychagoge wären A.s Zweifel an seiner Berufswahl zum Zuge gekommen. Er hätte dabei auch persönliche Interessen und Neigungen einbringen können. Immerhin herrschen für ihn in seiner Arbeit an der Hochschule weniger religiöse als psychologieaffine Themen vor. Vor allem plädiert er für eine Öffnung hin zu den Naturwissenschaften und weg vom dogmatischen System. Andeutungsweise, wissenschaftstheoretisch kaum expliziert, wird ein naturalistischer Begriff von Wissen erkennbar, der mit dem spezifischen Modus theologischer Begriffsbildung schwer vereinbar erscheint.

       1.5 Kirchenkritik

      Dogmenkritik verbindet sich bei A. mit einer Kirchenkritik: […] ich glaube persönlich nicht, dass


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