Die Schäferin von Yorkshire. Amanda Owen

Die Schäferin von Yorkshire - Amanda Owen


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Dieser glückliche Fund ließ mein Kaminfeuer einige Tage lang brennen.

      Das Wunderbare an diesem Feuer war, dass es auch mein Wasser aufheizte. Ich hatte zwar einen Warmwasserboiler, aber ich war stolz darauf, ihn nie benutzen zu müssen – genau wie jetzt auf Ravenseat. Nachdem ich ja lange Zeit gezwungen war, mich mit dem Kaltwasserhahn in der alten Milchkammer anzufreunden, konnte ich nun wieder eine heiße Dusche genießen und mir sogar die Haare waschen.

      Die Rastalocken zu entwirren erforderte viel Zeit und Geduld, dazu sicher 5 Liter Kokosöl. Das Entwirren der kleinen Knoten dauerte einige Wochen, einiges musste ich auch einfach abschneiden. Ich war überrascht, wie viel Heu und Stroh sich darin angesammelt hatte, es wäre sicher genug gewesen, um ein Kälbchen eine Woche lang zu füttern.

      Obwohl ich sehr wenig Geld hatte und auch shoppen nicht zu meinen favorisierten Tätigkeiten gehörte, legte ich doch immer Wert auf mein Äußeres. Ich hatte, notgedrungen, zwar die meiste Zeit Arbeitskleidung an, aber ich liebte es, mich schön zu machen und meine Weiblichkeit zu betonen, sobald sich die Gelegenheit bot. Ich kaufte mir aber keine neue Kleidung, sondern stöberte in Secondhand-Läden.

      Einen dieser Abende, an denen ich schick ausging, musste ich mit der Hintertür meines Häuschens bezahlen – oder zumindest mit der halben. Wie dumm und unnötig. Ich hatte gerade einen riesigen Holzbrocken ins Feuer geworfen, als eine Freundin anrief und mich fragte, ob ich mit ihr abends weggehen wollte. Ich duschte, machte mich fertig und merkte dann, dass es zu gefährlich war, den Holzklotz so im Feuer liegenzulassen. Ich schaffte es, den glimmenden schwarzen Block vorsichtig aus dem Feuer auf eine Schaufel zu bugsieren und hinter dem Haus zu deponieren. Als ich in den frühen Morgenstunden nach Hause kam, hatte ich nur noch eine halbe Tür: Etwas heiße Asche musste beim Raustragen des Holzscheits auf den Gummi-Zugluftstopper gefallen sein. Wind hatte die schwelende Glut genährt, die sich dann langsam nach oben durch die lackierte Tür gefressen hatte. Die obere Türhälfte war mir noch geblieben – es sah aus wie eine geteilte Stalltür – und ein Häufchen Asche darunter. Mein Vermieter, Woody, musste eine ganz neue Tür kaufen, aber wir wussten beide, dass ich Glück im Unglück gehabt hatte, das ganze Häuschen hätte in Flammen aufgehen können. Woody hat mich nie direkt gefragt, was passiert ist, und freiwillig habe ich es ihm auch nie erzählt. Ich glaube, er dachte an Fremdverschulden, denn zu jener Zeit wurde ich von einem Fremden belästigt, einem Dorftrottel, für den ein Nein nichts galt. Woody hatte ihn schon ein paar Mal weggescheucht, wenn er an meinem Häuschen herumstrolchte.

      Zwischendurch arbeitete ich auch mal bei einem alten Farmer namens Mike, der allein auf seiner Farm in der Nähe von Salkeld eine Herde Mutterkühe hielt. Mike hatte als Junggeselle sein bisheriges Leben auf dieser Farm verbracht, zusammen mit seiner Schwester, die vor Kurzem gestorben war. Er war ein wortkarger Mann und lebte bescheiden, aber zufrieden mit seiner Herde. Er verließ die Farm selten, hatte keinen Führerschein und zählte auf den wöchentlichen Besuch seiner Haushälterin, die ihn mit dem Nötigsten versorgte. Jeden Montag kochte sie einen Eintopf, der ihm für die ganze Woche reichte. Es stimmt, dass der Geschmack eines Eintopfs beim Aufwärmen immer besser wird, doch wenn ein Gericht zum vierten oder fünften Mal aufgewärmt wird, sollte man sich vielleicht doch mal über Nahrungsmittelvergiftung Gedanken machen. Mike musste die Konstitution eines Ochsen haben: Nie bereitete ihm das Essen Probleme, und er wurde es auch nicht leid, tagein tagaus dasselbe zu essen.

      Seine Farm war heruntergekommen, alles wurde irgendwie mit Stricken zusammengehalten, alte Bettgestelle dienten als Gatter und die Kuhställe waren so voll mit Mist, dass die Rinder über die Tore entwischen konnten. Jedes Tor hatte fünf Stangen, doch die jeweils oberste war durch die Ausreißversuche der Kühe, demoliert. Einmal im Jahr verkaufte er seine stirks, die einjährigen Kühe, und ich half ihm davor beim Papierkram, den Ohrmarken und dem Aufladen der Tiere in den Transporter. Dies war ein hartes Stück Arbeit, denn die Kühe waren so sehr an die tägliche Routine mit Mike gewöhnt, dass sie sich stur stellten, wenn der Plan sich änderte. Mike machte sich immer im entscheidenden Moment – beim Aufladen der Tiere – aus dem Staub, denn er konnte es nicht ertragen, seine Kühe wegfahren zu sehen.

      Auch wenn Mikes Gebäude und Zäune in einem erbärmlichen Zustand waren, kümmerte er sich doch rührend um seine Herde, manchmal sogar etwas zu viel. Er liebte seine Tiere. Viele Kälber zog er mit Flaschenmilch auf, denn ihre Mütter waren teilweise so alt, dass sie nicht mehr genug Milch hatten. Mike konnte es nicht übers Herz bringen, sie wegzugeben, und so hatte er ein paar ziemlich altersschwache Kühe in seinen Reihen. Die Kälber waren ungewöhnlich zutraulich, denn sie waren den täglichen Umgang mit Menschen gewöhnt. Dies konnte allerdings auch zu einem Problem werden, denn jeder, der sich auf die Weide wagte, wurde von einem heranstürmenden halbwüchsigen Rind begrüßt.

      Diese Kühe zusammenzutreiben und sie für den Verkauf auf einen Transporter zu laden war ein Albtraum. Die Ohrmarken der meisten Tiere waren herausgefallen, was problematisch war, weil jede Kuh eine leserliche Ohrmarke haben muss, bevor sie in den Verkauf gehen darf. Die alten Kühe mussten registriert sein, damit Käufer detaillierte Informationen über ihre Kälber bekommen konnten. Die Marken waren aber so alt, dass sie Hieroglyphen ähnelten. Unmöglich zu entziffern. Mike schaffte seinen Papierkram einfach nicht: Obwohl er lesen und schreiben konnte, lehnte er das Ausfüllen von Formularen oder andere bürokratische Aufgaben kategorisch ab. Er hatte einen Verwalter, der regelmäßig vorbeikam und sich um die Korrespondenz kümmerte. Mike konnte einfach nicht verstehen, warum das alles so kompliziert ablaufen musste. Ich kann das gut nachvollziehen, denn ich wühle mich auch regelmäßig durch die Papierberge, die auf Ravenseat anfallen.

      Einen meiner anderen regelmäßigen Jobs erledigte ich bei Pat Bentley, die in der Nähe von Newby lebt. Sie ist eine auffallend schöne, hochinteressante Frau, die die ganze Welt bereist hat. Sie ist eine der ersten Alpaka-Züchterinnen in Großbritannien und hat damit einen richtigen Trend in Gang gesetzt. Sie war dann auch Gründungsmitglied der British Alpaca Society. Ich kenne mich also nicht nur mit dem Scheren von Schafen, sondern auch von Alpakas aus, und das können nicht viele von sich behaupten …

      Sie stellte mich ein, damit ich ihre kleine Farm beaufsichtigte, wenn sie geschäftlich unterwegs war oder in Südamerika neue Alpakas kaufte. Die meiste Zeit arbeitete ich täglich ein paar Stunden dort, aber wenn sie im Ausland war, wohnte ich auch auf der Farm und kümmerte mich um die Alpakas, ihr Jagdpferd Scattercash und ihre Hunde.

      Ich liebte es, für sie zu arbeiten; sie war eine Perfektionistin und alles auf ihrer Farm hatte ›so und so zu sein und nicht anders‹. Das war frischer Wind für mich, eine willkommene Abwechslung zu meinen vorherigen Jobs. Alpakas sind von Natur aus neugierig, sanft und zahm. Sie schienen wunderbar mit dem britischen Klima zurechtzukommen und obwohl jede Koppel einen Unterstand hatte, verbrachten sie die meiste Zeit des Tages draußen, fraßen Gras oder knabberten Heu. Sie tagtäglich zu versorgen war denkbar einfach: Keines von ihnen hatte Moderhinke (Fußfäule), denn sie besaßen ein Sohlenpolster, sie kalbten nur tagsüber, hatten jeweils ein einziges cria (Alpakababy) und machten außerdem alle zusammen auf einen großen Haufen. Sehr angenehm!

      Pat verkaufte die Alpakas im ganzen Land und gründete eine Kooperative, durch die die produzierten Fasern mit Gewinn an die Textilindustrie verkauft werden konnten. Schwierigkeiten bereitet allerdings die Schur: Da Alpakas im Gegensatz zu Schafen kein zusammenhängendes Vlies haben, erinnert die erforderliche Schurtechnik eher an Haareschneiden. Die Alpakawolle hat einen sehr geringen eigenen Fettanteil, ebenfalls ein Unterschied zur Schafwolle, sodass es wichtig ist, die Scherwerkzeuge beständig zu ölen, damit sie nicht überhitzen. Der Vorteil ist, dass die Fasern dann nicht mehr gesäubert werden müssen und sofort gesponnen werden können.

      Die Wolle muss schon während des Scherens sorgfältig sortiert werden, da die verschiedenen Körperpartien unterschiedliche Wollqualitäten und Farbtöne aufweisen.

      Da ein Alpaka recht groß ist, eigentlich genau so groß wie ich, müssen zum Scheren einige Vorbereitungen getroffen werden: Das Tier wird mit zusammengebundenen Beinen auf einen Schertisch gelegt, man schert eine Seite, dreht das Alpaka um und schert dann die andere. Sie sahen danach recht lustig aus, ihr kleiner plüschiger Kopf oben auf dem langen, dünnen Hals erinnerte an einen Sturzhelm. Versteht sich von selbst, dass sie von dieser Prozedur nicht begeistert waren, doch wenn ein Helfer den Kopf festhielt, waren sie


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