Die Schäferin von Yorkshire. Amanda Owen

Die Schäferin von Yorkshire - Amanda Owen


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Weide. Die meisten Ablamm-Jobs draußen brauchten einen Schäfer oder eine Schäferin mit Hütehund. Den hatte ich nicht, sodass viel weniger Angebote für mich in Frage kamen. Doch dann, schließlich, fand ich eine Anzeige, die genau zu mir passte:

      GESUCHT ab sofort.

      Einsatzfreudige junge Person

      zum Schafehüten und Ablammen in Salisbury Plain.

      Kein Hund erforderlich. Nur die Bereitschaft zu arbeiten und

      Eigeninitiative zu entwickeln. Unterkunft vorhanden.

      Bitte anrufen.

      Zu jener Zeit besaß ich ein Auto, einen Mini Metro für 900 Pfund, die ich mir mühsam zusammengespart hatte. Also fuhr ich an einem Sonntag runter nach Wiltshire zum Vorstellungsgespräch. Noch nie war ich allein so weit gefahren. Ganz früh am Morgen machte ich mich auf den Weg, direkt auf die Autobahn, vorbei an Birmingham und Bristol und kam schließlich mittags in Warminster an. Ich war total angespannt. Es war tatsächlich das erste Mal, dass ich mich von zu Hause losgerissen hatte, der heimischen Sicherheit den Rücken kehrte, aber ich wusste, jetzt war die Zeit gekommen, auf eigenen Füßen zu stehen.

      Ich fuhr eine lange Kieseinfahrt hoch und erreichte ein großes modernes Haus, nicht gerade das, was ich mir unter einer Farm vorgestellt hatte. Ein Mann kam heraus, den ich für den Farmer hielt, war mir aber nicht sicher. Normalerweise kann man einen Farmer meilenweit erkennen, doch dieser war irgendwie anders, irgendwie glatter als die Farmer, die ich kannte. Ich stellte mich vor, atmete einmal tief durch und versuchte Selbstbewusstsein auszustrahlen. Ich ließ so viele landwirtschaftliche Fachbegriffe wie möglich aus mir heraussprudeln, um mit meinem enormen Wissen über Schafe und Lämmer Eindruck zu schinden (das Wissen beruhte zwar mehr auf Fachbüchern als auf tatsächlicher Erfahrung, aber das konnte mein Gegenüber ja nicht wissen). Er zeigte keine Reaktion, brachte mich stattdessen zu meinem kleinen Zimmer auf der anderen Seite des Hauses und meinte, ich könne den Job haben. Ich hätte schwören können, er hatte mir gar nicht richtig zugehört, aber egal, ich hatte den Job und das zählte. Ich war wie im Rausch. Zwar war es auch diesmal nicht wirklich die Art von Farm, die ich mir erträumt hatte, aber es gab wohl jede Menge Schafe und das war schon mal ein guter Anfang.

      Als ich bei Strawberry Fair kündigte, bot Philip mir an, ich könne den Job jederzeit zurückhaben, egal wann. Das war sehr beruhigend, doch ich wusste, ich würde das Angebot niemals annehmen. Ich bekam auch ein hübsches Abschiedsgeschenk. Eins der teuren Essensservice, die wir verkauften, war mit Schafen und Schäfern verziert, und der Hersteller hatte ein paar kleine Porzellanschafe zur Dekoration des Services mitgeliefert. Ich liebte diese kleinen Schafe und die Kunden liebten sie auch. Immer wieder fragten sie, ob die Schäfchen nicht doch zu verkaufen seien. Nein, waren sie nicht. Zwei davon bekam ich geschenkt, sie stehen immer noch in einem Eckregal in Ravenseat, hoch oben, weit weg von Kinderhänden.

      Ich belud mein Auto mit allem, was mir wichtig war, und weg war ich, zuversichtlich und hoffnungsvoll wie niemals zuvor. Als ich ankam, war der Farmer nicht da. Man sagte mir, er sei Wasserskifahren in Amerika. Wie eigenartig, schoss es mir durch den Kopf. Ich hatte mich darauf verlassen, dass er mir alles genau zeigte und mir erklärte, was er von mit erwartete. Später im Pub hörte ich, dass die Einheimischen der Farm den Spitznamen Waco gegeben hatten, in Erinnerung an einen Ort in Texas, wo ein Jahr zuvor über 80 Sektenmitglieder bei einer Razzia getötet worden waren. Die Leute im Dorf hatten beobachtet, dass ein Haufen junger Arbeiter auf der Farm ein- und ausging und der Hof trotzdem vernachlässigt war. So machte das Gerücht die Runde, dass auf der Farm Anhänger einer Sekte lebten. Davon hatte ich bei meiner Ankunft natürlich nicht die leiseste Ahnung.

      Mit mir lebten noch zwei andere junge Arbeiter auf dem Hof, ein Mann und eine Frau, die zum Kühehüten angeheuert worden waren, sowie ein älterer Mann, der alles beaufsichtigen sollte. Natürlich tat er das nicht: Er saß vor dem Fernseher oder war einfach gar nicht zu sehen. Niemand war verantwortlich, alles hing an uns.

      Am nächsten Morgen gingen meine beiden Kollegen raus zu den Kühen und ich schloss mich ihnen an, um nach den Schafen zu schauen und die Elektrozäune zu reparieren. Das gesamte Land ringsum gehörte zum Verteidigungsministerium, es gab weder Mauern noch Zäune, nur riesige Weideflächen von schlechter Qualität und flaches Gelände mit ein paar kleinen Wäldchen. Ich sah verlassene Dörfer, die von der Armee für Übungen genutzt wurden. Dort herumzulaufen war sehr gefährlich, denn überall lauerten Brandbomben und Gräben, in denen Panzer unter Tarnnetzen verborgen waren. Während meiner Zeit auf der Farm erlebte ich zum Beispiel, dass eine unselige Person dort einen Ausritt machte und ihr Pferd auf eine Test-Mine trat, die mit lautem Knall in einer Rauchwolke explodierte. Der Reiter wurde abgeworfen und das Pferd galoppierte in den Sonnenuntergang. Es wurde eine Woche lang nicht gesehen, dann tauchte seine Silhouette ab und zu am Horizont auf, mit schleifenden Zügeln und dem Sattel unter dem Bauch baumelnd. Das einzig Gute an diesem Gelände war, dass die herumliegenden Sprengköpfe perfekt zu Hundenäpfen umfunktioniert werden konnten – sozusagen eine kleine Entschädigung für das ›In-die-Luft-Fliegen‹.

      Ein anderes meiner bemerkenswerten Fundstücke war ein Armeepullover mit dem Abzeichen des Bombenräumkommandos. Er war nicht mehr in perfektem Zustand, aber angenehm zu tragen (ich habe ihn immer noch). Ich fragte mich, ob der vorherige Besitzer tatsächlich auch in die Luft geflogen war und ob dieser Pullover das einzige Überbleibsel von ihm war … Ein gruseliger Ort, um Landwirtschaft zu betreiben.

      Mein abwesender Chef verdiente sein Geld damit, Zuchtschafe bei sich überwintern zu lassen. In rauen Klimazonen, hoch oben in der abgelegenen Wildnis (wie es die Yorkshire Dales und der Lake District sind), schicken die Farmer ihre jungen weiblichen Zuchtschafe (gimmer hoggs) im Winter runter in mildere Klimazonen, auf sogenannte Winterweiden. Normalerweise werden sie Anfang November weggebracht und Anfang April wieder zurückgeholt. Auf Ravenseat machen wir das genauso, wie alle Bergschäfer. Die Farm, die den Schafen ein Winterquartier gibt, wird dafür pro Schaf bezahlt, und zwar anständig. Mein damaliger Chef nahm Schafe von verschiedenen Farmen aus dem Lake District auf. Was mir zu denken gab, war, dass er trotz der großen Zahl von Tieren zwischen Weihnachten und Mitte Februar nicht einen einzigen Schäfer eingestellt hatte. Kein Wunder also, dass ich dort draußen ein Horrorszenario vorfand. Die Schafe waren zwar noch alle da, doch sie standen auf kahlem Boden, abgesperrt mit Elektrozäunen. Seit längerer Zeit hatten sie keine frische Weide gesehen, sie mussten geradewegs verhungern. Einige Schafe hatten versucht auszubrechen und waren in den Elektrozäunen hängengeblieben. Sie waren sicher von tieffliegenden Militärhubschraubern oder von freilaufendem Wild erschreckt worden und bei ihrem Fluchtversuch mit den Hörnern im Draht hängengeblieben. Einige waren tot, andere konnte ich retten, doch auch diese waren durch fehlendes Futter und Wasser ausgemergelt und schwach. Die, die sich nicht in den Zäunen verfangen hatten, waren nur noch Haut und Knochen. Niemand hatte sie gefüttert. Meine beiden Farmkollegen waren entsetzt über das, was geschehen war. Sie selbst hatten sich nicht um die Schafe gekümmert, weil sie ja für die Kühe verantwortlich waren, die weit entfernt auf anderen Weiden grasten. Die Kühe sahen sehr gut aus.

      Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Theoretisch schon, aber meine praktischen Erfahrungen mit Schafen waren eher begrenzt. Mit Hilfe der anderen beiden Farmarbeiter und einem jungen Kerl aus dem YTS (Youth Training Scheme), der jeden Tag vorbeikam, wickelte ich die Elektrozäune auf und trieb die Schafe, die noch laufen konnten, auf frische Weiden. Die schwächeren und kranken Tiere brachten wir mit dem Anhänger zur Farm und versorgten sie in einem Stall. Der Farmer hatte keine Notfallnummer hinterlassen, wir fanden aber eine Telefonnummer seiner Ex-Frau. Ich rief sie an und schilderte ihr die Situation. Sie gab den Besitzern der Pflegeschafe Bescheid und informierte wohl auch die zuständigen Behörden. Zwischen den Zeilen konnte ich heraushören, dass der Farmer und seine Ex-Frau nicht im Guten auseinandergegangen waren, und so überraschte es mich auch nicht, als Beamte von der RSPCA (Royal Society for the Prevention of Cruelty to Animals, Britische Tierschutzorganisation) und der Trading Standards (Gewerbeaufsicht) an die Tür klopften. (Wie alle anderen Betriebe auch, werden unsere Farmen mittlerweile regelmäßig kontrolliert, um sicherzustellen, dass wir Farmer auch tun, was wir angeben.)

      Die Besitzer der fremden Schafe waren natürlich entsetzt über die Vorkommnisse. Sie hatten zu Weihnachten nach ihren Schafen gesehen und sie mit Entwurmungsmittel behandelt. Zu dem Zeitpunkt


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