Die Schäferin von Yorkshire. Amanda Owen

Die Schäferin von Yorkshire - Amanda Owen


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16, kurz bevor ich meine Abschlussprüfungen machte, hatte ich eines dieser Standard-Interviews mit dem Berufsberater an unserer Schule. Wie sollte mein Leben weitergehen? Eine meiner Schulfreundinnen war schon schwanger, eine andere hatte eine Stelle in einer Fabrik in Aussicht, die Kopfteile für Betten herstellte. Meine Mutter wollte unbedingt, dass ich bei Marks and Spencer arbeitete, aber zu der Zeit war die Vorstellung, eine gestreifte Bluse zu tragen und den ganzen Tag Kleidung zu verkaufen, für mich alles andere als erstrebenswert.

      Ich traute mich nicht, meinen Traum vom Tierarztberuf irgendwo zu erwähnen: All das war so realitätsfern, weit weg vom Alltag in der Newsome High School. Ich bekam ein Handbuch zur Berufswahl, in dem ich nachlesen konnte, welche Noten man für den angestrebten Karriereweg benötigte. Ziemlich ernüchternd. Mir wurde bewusst, dass sehr große und ernsthafte akademische Anstrengungen nötig waren, um ein neuer James Herriot zu werden. Allerdings waren meine Schulabschlussnoten so gut, dass ich einen Platz für die A-Levels am College bekam. Das gab mir etwas mehr Zeit zu entscheiden, in welche Richtung mein Leben weitergehen sollte. Ich hatte schon immer hart arbeiten müssen, um die Prüfungen zu bestehen, und war mir nicht ganz sicher, ob ich wirklich so viele Jahre meines Lebens für dieses aufwendige Tiermedizin-Studium opfern wollte.

      Schließlich entschied ich mich, meine A-Levels am Greenhead College in den Fächern Englisch, Biologie, Erdkunde und General Studies zu absolvieren. Wie schon zu Schulzeiten, machte ich nur das, was nötig war, ohne hundertprozentige Anstrengung und ohne klare Vorstellung, wo das alles hinführen sollte. Die Lehrer am College waren sehr darauf bedacht, dass so viele wie möglich von uns zur Universität gingen und ich überlegte zwischendurch tatsächlich, einen Abschluss in Betriebswirtschaft zu machen, allerdings fehlte mir auch da wieder der nötige Enthusiasmus.

      Am College lernte ich Jason kennen, meinen ersten richtigen Freund. Er machte dort einen Computer-Kurs. Ehrlich gesagt, hatten wir nichts gemeinsam außer unseren Modegeschmack und unsere Liebe zu schwarzem Eyeliner. Wir waren beide Goths, wenn auch nicht so engagiert wie andere. Ich färbte zum Beispiel meine Haare nicht schwarz und Jason auch nicht.

      Schwarz angezogen waren wir schon, von Kopf bis Fuß, und trugen auch unsere Sonnenbrillen zur Schau – zu jeder Zeit und bei jedem Wetter. Wir durchwühlten Plattenläden, um irgendetwas von The Mission zu finden, ich trug Fallschirmjäger-Stiefel, Netzstrumpfhosen, Tüll-Petticoats und Knotentücher, Jason die Lederhosen und Ripped-Shirts, die er immer schon trug. Dies war meine Art der Rebellion, und meine Mutter war nicht sehr glücklich damit, aber sie hat meine Veränderungen niemals kommentiert und mir anscheinend auch nicht übel genommen. Im Rückblick jedoch wird mir klar, dass es für diese elegante Frau deprimierend gewesen sein muss, ihre Tochter in diesem Aufzug herumlaufen zu sehen!

      Was auch immer wir zu jener Zeit dachten und taten, eigentlich waren Jason und ich nicht wirklich rebellisch: wir verlobten uns sogar! Wie spießig ist das denn? Er kaufte mir für 90 Pfund einen Ring mit einem mikroskopisch kleinen Diamanten bei dem renommierten Juwelier H. Samuel. Ich war sehr beeindruckt von dem Geschenk – so viel Geld. Ich zeigte den Ring glückstrahlend im ganzen College herum, er war wundervoll. Merkwürdigerweise kann ich mich heute noch nicht einmal daran erinnern, warum Jason und ich auseinandergingen. Allerdings kann ich mich sehr gut daran erinnern, dass ich ihm den Ring eines Tages vor die Füße warf. Unsere Beziehung war nicht wirklich ernst und nicht einen Moment habe ich daran gedacht – auch in jener Zeit nicht –, ihn zu heiraten. Ich habe keine Ahnung, was aus Jason geworden ist. Ich habe ihn nach Beendigung des College nie mehr gesehen.

      In meinem Biologie-Kurs im College konnte ich verschiedene Module wählen, eins davon hieß ›Mikrobiologie in der Milchwirtschaft‹ und wurde von der University of Liverpool angeboten. Die meisten Vorlesungen wurden im College abgehalten und beschränkten sich auf theoretisches Arbeiten, ab und zu besuchten wir jedoch auch eine bewirtschaftete Milchfarm und dann war ich sofort gefangen vom Farmalltag mit Kühen und Schafen. Es gab so viele verschiedene Möglichkeiten, auf einer Farm mit Tieren zu arbeiten, auch ohne tierärztliche Ausbildung – mein Traum war noch nicht geplatzt …

      Mir kam erstmals der Gedanke, dass ich vielleicht einfach auf irgendeiner Farm anheuern sollte.

      Also stieg ich auf mein altes Rad, und zwar wörtlich genommen – es war nämlich dasselbe Mountain Bike, das ich schon mit zwölf hatte –, radelte alle Farmen am Stadtrand ab und bot jedem, der mich möglicherweise brauchen konnte, meine Hilfe an, natürlich zum Nulltarif. Nun, es gibt nichts, was ein Farmer mehr liebt als Leute, die umsonst arbeiten und dabei so richtig ranklotzen, auch wenn sie im Schlamm stecken bleiben oder sich einsauen. Ein paar Farmer schienen etwas misstrauisch, als ich aufkreuzte, denn sie waren es gewohnt, dass männliche Wesen ihre Arbeitskraft anboten. Doch ich zeigte meinen guten Willen, arbeitete hart und, was das Wichtigste war, ich war frei.

      Meine Abschlussprüfungen fielen nicht besonders gut aus und ich konnte mir immer noch nicht vorstellen, wie ich jemals den Job ergattern konnte, den ich gerne wollte. Ich war immer für die Drecksarbeit zuständig. Niemand sprach von Bezahlung oder gar von einem festen Job. Wie konnte ich nur irgendwie vorwärtskommen? Mein nächster Schritt war, mich an der Berufsfachschule in Huddersfield für einen staatlich anerkannten Kurs in Tierpflege einzuschreiben. Dies schien ein Schritt rückwärts in meiner beruflichen Karriere – ich hatte schließlich schon die A-Levels in der Tasche –, aber ich hoffte, dass mir durch die praktische Erfahrung die Möglichkeit eröffnet wurde, auf einer Farm zu arbeiten.

      Genau in dieser Zeit entdeckte ich ein Buch, das für mein weiteres Leben eine wichtige Rolle spielen sollte. Ich ging damals in der Stadtbücherei von Huddersfield ein und aus, um mir Bücher über Tiere und Landwirtschaft auszuleihen, als mir das Buch Hill Shepherd von John und Eliza Forder in die Hände fiel. Man stellt normalerweise sehr schnell fest, ob einen ein Buch ›packt‹ und dieses tat es ganz gewiss. Schon auf den ersten Blick, beim ersten Durchblättern, hat es mich in seinen Bann gezogen: bewegende Fotos von Schäfern und ihren Herden, dazu der spannende Text über die Stationen ihres Lebens. Ich lieh es drei Mal hintereinander aus, bekam dann aber einen Brief von der Bücherei, dass ich das Buch nicht noch einmal ausleihen könne und dass ich Strafe zahlen müsse, wenn ich es nicht zurückbrächte. Ich konnte mir nicht leisten, es zu kaufen, und so brachte ich es – wenn auch widerwillig – zurück. Ich liebte jedes kleine Detail darin: das Foto eines Farmers, der einem toten Lamm das Fell abzieht, die Schafherde, die eine Straße entlanggetrieben wird, dicht dahinter die treuen Hütehunde, ein Schäfer, der seine Schafe im Lake District aus den Bergen holt. Man sieht Schafe, die sich wie kleine, perlende Tropfen ihren Weg durch das Farndickicht hinunter nach Hause bahnen. (Hier schließt sich wieder einmal ein Kreis in meinem Leben: Kürzlich kaufte ich mir im Antiquariat eine alte Ausgabe dieses wundervollen Buches, und auf einem der Fotos, auf einer Schaf-Auktion in Hawes, sieht man Clive, meinen Mann. Wie hätte ich ahnen können …).

      Einen großen Teil meiner praktischen Erfahrung am College holte ich mir während der zweiwöchigen Ablammzeit auf einer Farm. Das war eine wahre Feuertaufe. Hätte mich die praktische Arbeit auf der Farm nicht so begeistert, dann wäre dieser Job ganz bestimmt der Auslöser dafür gewesen, mit fliegenden Fahnen zu Marks and Spencer zu stürmen, um ein Bewerbungsformular zu holen. Es waren nur zwei Personen mit dem Ablammen betraut: eine junge Studentin der Tiermedizin und ich. Wir standen in einem furchtbar großen, modernen Stall, vollgestopft mit Schafen kurz vor dem Lammen. Obwohl wir beide viel theoretisches Wissen im Kopf hatten, fehlte uns doch jegliche praktische Erfahrung. Die eigneten wir uns dann notgedrungen Schritt für Schritt in der Realität an. Es wurde ein unglaublich rasanter Lernprozess.

      Wir hatten eine kommerzielle Farm vor uns, auf der das Ablammen im Stall und nicht, wie ich es mir vorgestellt hatte, draußen auf der Weide stattfand. Es war eine sehr harte, verantwortungsvolle Arbeit, mit der wir vollkommen allein gelassen wurden. Die Studentin war zum Glück eine zuverlässige Teamkollegin und wir beide zogen ›am gleichen Strang‹. Der Farmer war stets missmutig und unglaublich knauserig. Er konnte uns keine der zum Ablammen notwendigen Gerätschaften und Mittel zur Verfügung stellen: kein Kolostrum-Pulver zum Beispiel, als Ersatz für das lebenserhaltende Vormilchsekret (Biestmilch), das die Mütter in den ersten Stunden nach der Geburt produzieren bevor die Milch einschießt und das die für alle Neugeborenen wichtigen Immunstoffe aufweist.

      Wir taten unser Bestes, indem wir hier und dort


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