Die Schäferin von Yorkshire. Amanda Owen

Die Schäferin von Yorkshire - Amanda Owen


Скачать книгу
sollten die unterversorgten kleinen Lämmer gleich getötet werden. Das Schlimmste war, dass er dies nicht auf humane Art und Weise erledigte, sondern den Lämmern einfach eins über den Schädel gab und sie dann in eine große blaue Tonne warf. Mir wurde schlecht bei dem Anblick, wie er sie umhaute, und noch dreckiger ging’s mir, als ich sah, dass sich manche Lämmer in der Tonne noch bewegten. Heute würde ich ihm selbst eins über die Rübe geben, aber zu der Zeit war ich einfach noch sehr jung und weniger selbstsicher.

      Diese Farm wurde richtig schlecht geführt. Schon sehr früh erkannte ich, dass es gute Farmer und schlechte gab; genauso wie in allen anderen Berufen. Für schlechte Farmer zu arbeiten, war sicher nicht gerade eine positive Erfahrung, aber es prägte mich und zeigte mir, wie man es nicht machen sollte. Ich bekam eine klare Vorstellung davon, wie ich selbst in Zukunft arbeiten wollte, und ich lernte auch, dass ich alle romantischen Vorstellungen vergessen konnte. Nach meinem zweiwöchigen Arbeitseinsatz sollte mir der Farmer 20 Pfund bezahlen, aber – wie ich es eigentlich auch erwartet hatte – tauchte er am Zahltag gar nicht erst auf.

      Später nahm ich Gelegenheitsarbeiten auf einem Pferdehof an, wo ich hauptsächlich misten und putzen musste. So sehr ich Pferde auch liebte, wusste ich doch, dass ich nicht den Rest meines Lebens mit Pferden arbeiten wollte. Bei einem anderen Job lernte ich, eine kleine Melkanlage zu bedienen. Auf diesem Hof herrschte eine angenehme Atmosphäre, denn sie hatten eine gute Mischung aus Kühen, Schafen, Pferden und Schweinen. Zu jener Zeit hatte ich meinen Fachhochschulkurs beendet und im Kopf meine Interessen sortiert: Schafzucht war es – das und nichts anderes.

      Da kam mir, wie so oft, ein Glücksfall zu Hilfe. Mein Kurs in Tiermedizin hatte auch eine landwirtschaftliche Komponente, sodass ich lernte, Tierärzten bei ihrer Arbeit mit Nutztieren zu helfen. Einer meiner Tutoren hatte gute Kontakte zu Farmen und zufällig kannte er jemanden, der gerade einen Farmhelfer suchte – oder vielleicht auch nur einen Dummen …

      2

      Flughafer und Wolle

      Mein erster Vollzeitjob war Kühemelken auf einer Familienfarm in Wakefield. Sehr bald realisierte ich, dass ich einen schwierigen Kurs zwischen zwei Chefs steuern musste, denn die beiden hatten unterschiedliche Vorstellungen davon, was meine Aufgaben waren. Genau genommen waren es auch zwei Höfe. Auf dem einen regierte der alte Herr, der Vater, und auf dem anderen sein Sohn, der gerade frisch von der Landwirtschaftsschule kam. Theoretisch hatte eigentlich jeder sein Reich. Die Realität aber sah so aus, dass der Vater mich aufsuchte und mir erklärte, was und wie ich etwas zu tun hatte, was das komplette Gegenteil von dem war, was mir der Sohn ein paar Minuten zuvor aufgetragen hatte. Der alte Knabe wollte alles so haben, wie es schon immer war, ganz traditionell, und der junge Bursche hatte einen Haufen neuer Ideen im Kopf, die sein Vater schlichtweg für Unsinn hielt. Sie stritten über die einfachsten Dinge.

      Über Eimer zum Beispiel: Jeden Tag gab es 130 Kühe zu melken und 25 Kälber zu füttern. Der Sohn wollte, dass ich die Eimer auswusch, sie sterilisierte und dann in einer Reihe aufstellte, denn er sah die Gefahr, dass Dreck von einem Eimer zum anderen übertragen würde, wenn man sie aufstapelte. Dann kam der alte Herr und fragte mich, was um Gottes willen ich denn da täte. All die aufgereihten Eimer würden doch dreckig werden und stünden im Weg herum und sollten gefälligst aufgestapelt werden. So wurde ich ohne Pause von dem einen gerügt, weil ich tat, was der andere mir aufgetragen hatte. Man konnte es keinem recht machen, immer hatte einer etwas rumzunörgeln. Außer mir arbeiteten noch zwei Burschen vom YTS (Youth Training Scheme, staatliches Ausbildungsprogramm für Jugendliche) auf dem Hof und wir drei hatte ständig Stress mit einem der Chefs. Dann gab es noch einen alten Farmarbeiter, der schon immer dort war. Es war sozusagen eine richtige Männerwirtschaft, die noch nie durch ein Mädchen gestört worden war.

      Gleich am Anfang hieß es: » Und vergiss deine Köderdose nicht.«

      Köder?, dachte ich. Was hat Angeln damit zu tun?

      Aber schnell merkte ich, dass sie die ›Brotdose‹ meinten. Bei schönem Wetter saßen wir draußen und aßen, aber wenn es regnete – was meistens der Fall war – saßen wir im Schuppen auf Milchkästen und Teekisten. Die Teekisten waren voll mit Männermagazinen. Es war eigentlich abstoßend für mich, mein Brot zu essen, während die drei andern Typen den Playboy lasen, doch irgendwann störte ich mich nicht mehr daran. Wenn man in einer Welt arbeiten möchte, die seit Jahrhunderten männlich ist, dann sollte man sich auch nicht aufregen oder feministisch tun, nur weil man ein bisschen angemacht wird oder die Kerle ungehobelt daherreden.

      Es war echt schwere Arbeit. Ich stieg jeden Morgen um sechs aufs Rad und war um sieben Uhr dort, eine Stunde bergauf, bergab. Wenn ich nicht Fahrrad fuhr, musste ich zwei Busse nehmen, was sehr viel länger dauerte. Wenn ich nach einem Tag auf der Farm wirklich mal den Bus nahm, konnte ich mir einer Sache sicher sein:

      Ich schaffte es, den ganzen Bus zu räumen, und zwar nur wegen meines üblen Geruchs, normalerweise Silage-Geruch – meine Mitreisenden hatten schnell die Nase voll.

      Ich hatte eine 7-Tage-Woche, aber jedes dritte Wochenende bekam ich mein – wie die Farmer es nannten – freies Wochenende. Dies waren aber die schlimmsten aller Wochenenden: Das Melken morgens und abends blieb meine Aufgabe, nur die Stunden dazwischen waren frei. Das bedeutete für mich aber, die Tour mit dem Fahrrad zweimal am Tag zu machen. Ich hatte das Gefühl, den ganzen Tag im Sattel zu sitzen, den ganzen Tag bergauf, bergab zu strampeln. Kein Wunder, dass ich keine Zeit für Freunde oder Verabredungen hatte. Zu jener Zeit gingen meine Schul- und Collegefreunde schon längst ihre eigenen Wege. Einer war eifriger Student in Oxford, ein anderer Auszubildender bei der Lloyds Bank – alle hatten ganz normale, sinnvolle Berufe. Ich hatte nicht das Gefühl, dass ich nicht so leistungsfähig war wie sie, aber ich war immer noch nicht im Reinen mit dem, was ich tat. Ich liebte die Arbeit auf der Farm, doch die Arbeitszeit war brutal und ich hatte das Gefühl, mein Leben noch nicht richtig in der Hand zu haben.

      Meine Farm war zum großen Teil ein Ackerbaubetrieb, für mich eine ganz neue Erfahrung. Stundenlang schaufelte ich Getreide in Silos und Getreidespeicher oder füllte Säcke mit Gerste. Ich musste auch einen Mähdrescher abschmieren, 130 Schmiernippel jeden Morgen während der Erntezeit. Die Maschine, ein museumsreifer, riemengetriebener Mähdrescher, war der ganze Stolz des Alten, und er machte tatsächlich Stichproben, um zu kontrollieren, ob ich alles richtig geschmiert hatte.

      Ich wurde auch mit einem Kartoffelsack auf dem Rücken losgeschickt, um vorsichtig den wilden Hafer auszurupfen, der zwischen der Gerste wuchs. Der Farmer betonte, ich solle auf keinen Fall meine Verpflegung vergessen … Beim Blick über die reifen, goldenen Gerstenfelder konnte man den Flughafer gut erkennen, die grünen Rispen überragten alles. Auf den ersten Blick schien es nur eine Handvoll wilder Gräser zu geben, aber als ich in das Feld hineinkroch, entdeckte ich ihre ungeheure Ausbreitung. Jetzt wurde mir klar, warum ich meine Tagesverpflegung mitnehmen sollte. Der Vorteil dieser langen Tage in den Gerstenfeldern war, dass ich eine goldene Bräune bekam, die man in keinem Sonnenstudio hätte kaufen können, leider reichte sie aber wegen der langen Gummistiefel nur bis zu den Oberschenkeln.

      Die Erntezeit war unglaublich arbeitsintensiv: Wenn der Wassergehaltsmesser den erforderlichen Trockenheitsgrad des Getreides anzeigte, hieß es ›alle Mann an Deck‹. Flutlicht wurde rund um die Felder installiert und niemand hörte auf zu arbeiten, bevor nicht das gesamte Getreide sicher eingebracht war. Obwohl die Arbeit sehr hart war, merkte ich, dass ich dabei eine ganze Menge praktischer Erfahrung sammeln konnte. Ich lernte, wie man Gülle auf die Felder verteilt – mit einem langen Schleppschlauch und Traktor oder mit einer Scheibenegge – ich lernte, wie man mit einer Zapfwellenegge Erdklumpen aufbricht, um den Boden für die Aussaat bereit zu machen, ich lernte ein Kalb zu enthornen, und ich lernte Traktorfahren. Autofahren konnte ich schon, damit hatte mein Vater mich mit großer Geduld bereits vertraut gemacht. Eine einzige Fahrstunde mit einem professionellen Fahrlehrer genügte, um die Details für die Fahrprüfung zu lernen. Ich bestand beim ersten Versuch.

      Während meiner Zeit auf der Farm haben sich meine Eltern oft gewundert, Was in aller Welt tut sie da eigentlich?, besonders dann, wenn ich verdreckt und stinkend nach Hause kam. Die Antwort war ganz einfach, ich war ganz am Ende der Rangordnung, ich war der Handlanger, der Wasserträger, von dem man erwartete, dass er alles ohne Murren tat.


Скачать книгу