Die Schäferin von Yorkshire. Amanda Owen

Die Schäferin von Yorkshire - Amanda Owen


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irgendein Farmer immer mal wieder an meine Tür hämmerte: Kurz danach sah man mich dann hinter den Schafen oder Kühen die Straße rauf und runter jagen.

      Ich war immer noch bereit, alles zu machen. Ich arbeitete zum Beispiel in einer Sägemühle, wo ich den ganzen Tag Holzstämme zersägte, immer mit der Angst im Nacken, dass ich mir den Arm absägen könnte. Es war nicht gerade vertrauenserweckend, dass einer meiner Kollegen nur eine Hand hatte. Ich habe ihn nie gefragt, wie das passiert ist. Wollte ich auch gar nicht wissen … Wenn ich gerade nicht an der Sägebank arbeitete, musste ich Sägemehl in Säcke füllen. Meine Angst vor Amputation wurde durch die Angst vor Ersticken ersetzt. Ich trug zwar eine Gesichtsmaske, doch es war so heiß, dass ich Mühe hatte, Luft zu holen.

      In Cumbria ist man nie arbeitslos, wenn man weiß, wie Trockensteinmauern repariert werden. Trockensteinmauern sehen in jeder Region unterschiedlich aus, je nachdem welche Steine in dem Gebiet zu finden sind. Mauern zu bauen oder zu reparieren konnte im Eden-District (Cumbria) ein einfacher Job sein, denn die schönen großen, roten Sandsteinblöcke passten wunderbar ineinander. Man konnte woanders aber auch auf furchtbar unförmigen, bröckeligen Kalkstein treffen, der einem beim Zusammensetzen unglaubliche Geduld abverlangte. Genau so erging es mir bei den Mauern in Orton Scar, wo es nur kleine, spitze Steine gab und es eine Ewigkeit dauerte, bis man eine Lücke gefüllt hatte. Noch heute, wenn ich Richtung Penrith fahre, sehe ich Mauern am Straßenrand und denke: mein Werk.

      Ich habe alle Jobs in einem Tagebuch festgehalten, sogar die Stundenzahl. In manchen Wochen verdiente ich nicht sehr viel, aber ich brauchte auch nicht viel zum Leben. Mein Durchschnittslohn war ca. 100 Pfund die Woche und wenn ich gute Jobs hatte, konnte ich etwas zurücklegen. Ich wusste, dass die schlechten Wochen vielleicht bereits vor der Tür standen. Wie sorgsam ich mit dem Geld auch umging, immer gab es bessere und schlechtere Zeiten. Während der Ablamm-, Schur- oder Bäderperiode arbeitete ich bis zum Umfallen, um am Ende der Woche eine volle Lohntüte zu haben, doch es gab auch mal Wochen mit nur 10 oder 20 Stunden Arbeit. Immer hieß es alles oder nichts, aber ich kam mit dem Nichts ganz gut zurecht.

      Ich war vollkommen allein verantwortlich für mein Leben. Wenn ich mit meiner Mutter telefonierte, ließ ich sie niemals wissen, wie sehr ich kämpfen musste oder wie frustriert ich war. Doch Mütter merken so was, denn von Zeit zu Zeit kamen Päckchen mit Nudeln, Reis und Keksen bei mir an.

      Einige meiner Jobs erforderten kein großes Wissen, dafür aber Kraft und Einsatzbereitschaft. Einer davon ist, die Tiere durch ein Desinfektionsbad zu führen. Jeder Farmer muss seine Schafe im Herbst baden, um sie vor Schafräude, Läusen und anderen Parasiten zu schützen. Einige Farmer baden ihre Tiere auch im Sommer, um Fliegen fernzuhalten (auf Ravenseat brauchen wir das nicht, denn durch die Höhe der Farm sind Fliegen hier kein Problem). Desinfektionsbäder werden auch kurz vor den Auktionen durchgeführt, damit die Schafe ein schönes, glänzendes Fell bekommen. Zu diesen Zeiten hatte ich immer viel zu tun. Ständig klingelte das Telefon: »Kannst du uns helfen, die Schafe baden?«

      Die chemischen Zusätze in diesen Desinfektionsbädern führten jedoch bald zu gesundheitlichen Problemen, und ich landete irgendwann im Krankenhaus. Die meisten Farmer verwenden Organophosphate, von denen einige mittlerweile verboten sind. Die neurologischen Auswirkungen dieser Stoffe sind noch nicht wissenschaftlich bewiesen, doch so viel davon einzuatmen, wie ich es tat, war sicher nicht gesund.

      Ich hatte Halluzinationen und redete eine Menge Kauderwelsch. Einige Tage lang sah ich Dinge, die es gar nicht gab, wie zum Beispiel einen Traktor vor mir auf der Straße, wo gar keiner war. Schließlich bekam ich Gleichgewichtsstörungen, hatte Schwierigkeiten aufzustehen und sah nur noch verschwommen. Es wurde so schlimm, dass meine Arbeitskollegen den Krankenwagen riefen und ich eine Woche im Krankenhaus verbringen musste.

      Man brachte mich in eine psychiatrische Klinik namens Garlands in der Nähe von Carlisle. Das war eines dieser riesigen Pflegeheime aus viktorianischer Zeit, die mittlerweile abgerissen sind, um neuen Wohnsiedlungen Platz zu machen. Die Psychologen erforschten, welche Auswirkungen Organophosphate auf den Menschen haben und so musste ich eine Kappe tragen, ähnlich wie eine Duschhaube, nur mit Elektroden, die meine Gehirntätigkeit aufzeichneten. Medizinstudenten kamen, um mich zu beobachten. Damals fand in Edinburgh ein Forschungsprojekt zur Suche eines Gegenmittels statt, doch bis heute ist es nicht gefunden. Ich musste also warten, bis die gesundheitlichen Probleme von allein verschwanden. In der Klinik musste ich mit einem Haufen Leute zusammenleben, die unter Depressionen oder anderen psychischen Krankheiten litten. Es war eine surreale Umgebung. Immer wieder drohten sie zum Beispiel, mir meinen Führerschein wegzunehmen – katastrophal für meinen Job. Auch auf Ravenseat benutzen wir Desinfektionsbäder, aber nur ein Mal pro Jahr und auch nur für unsere eigene Herde. Ich bin mir der verborgenen Gefahren, die in diesen Bädern stecken, sehr wohl bewusst und jage jedes Kind weg, das es wagt, sich zu nähern.

      Diese Episode zeigte deutlich die Kehrseite meiner Aushilfsjobs. Im Großen und Ganzen war es aber eine wunderbare Zeit und ich hatte nie das Gefühl, die falsche Entscheidung für mein Leben getroffen zu haben – nicht eine Sekunde.

      Selbst als alles um mich herum unter einer dicken Schneedecke verborgen war oder als ich nur sehr wenig Geld zum Leben hatte: Niemals wollte ich zurück nach Huddersfield in ein ›normales‹ Leben.

      3

      Eine Frau und ihr Hund

      Ich liebte mein kleines Häuschen, ich liebte es sehr. Ich hatte keine Möbel, aber die Leute im Dorf halfen mir aus, von einem bekam ich dies, vom anderen jenes. Die Dorfbewohner akzeptierten mich, denn ich war keine typische offcumden. Sie konnten sehen, dass ich versuchte, mich ihnen anzupassen, ihre Lebensweise anzunehmen. Auf der anderen Seite der Kirche wohnte ein sehr nettes altes Ehepaar, Ruth und Keith Robinson, wundervolle Menschen, die mich unter ihre Fittiche nahmen. Sie borgten mir, was ich brauchte, und standen mir bei Problemen mit Rat und Tat zur Seite. Als ich einmal tagsüber unterwegs war, bepflanzten sie den gesamten Vorgarten meines Hauses mit Blumen.

      Ein richtiges Bett hatte ich nicht. Einmal startete ich den Versuch, mir eines zu kaufen, denn ich hatte 30 Pfund auf die Seite gelegt und in Appleby gab es ein Secondhand-Möbelgeschäft, in dem ich ein Bett entdeckte, das mir gefiel. Als ich mich dort umsah, fiel mein Blick jedoch auch auf eine staubige, struppige, ausgestopfte Ziege in der Ecke, die genau 30 Pfund kostete. Aus Erfahrung wusste ich, dass die Gelegenheiten, eine ausgestopfte Ziege zu erwerben, äußerst selten sind, und deswegen kaufte ich die Ziege statt des Betts. Ich würde sicher noch häufiger die Chance haben, ein Bett zu kaufen, und bis dahin konnte ich wunderbar vor dem Feuer auf einem Haufen Kissen schlafen, die ich aus dem Caravan mitnehmen durfte. Warum sollte ich oben im Schlafzimmer schlafen, wenn es dort kalt, unten am Feuer aber warm und gemütlich war? Das Schlafzimmer eignete sich doch hervorragend als Abstellraum …

      In Penrith gab es einen Secondhand-Elektroladen, wo ich mir einen Kühlschrank, einen Herd und eine Waschmaschine kaufte. Ein Freund schenkte mir dann noch einen Staubsauger, ein lebensnotwendiges Utensil für jemanden, der abends voller Heu und Stroh von der Arbeit nach Hause kommt. Einen Fernseher hatte ich nicht.

      Mein großes Problem zu jener Zeit war das Kochen. Ich hatte wirklich gar keinen Schimmer davon und lebte dementsprechend von Nudeln und Pasta. Immer wenn ich etwas mehr Geld verdient hatte, veredelte ich mein Pasta-Gericht durch eine Dosensuppe – der höchste Luxus, den ich mir vorstellen konnte. Von Zeit zu Zeit füttern die Farmer hier ihre Herden mit Rüben und Mangold, wovon einiges während der Fahrt vom Anhänger fällt. Ich sammelte das Gemüse ein, das am Straßenrand lag und ließ es zu Hause köcheln. Auch überfahrene Tiere standen auf meinem Speiseplan: Ganz in meiner Nähe führte die Straße an einem Wäldchen vorbei, wo sich gerne Fasanen aufhielten. Von diesen Fasanen konnte ich mir leicht die Bruststücke in der Pfanne braten. Erstaunlich, wie wenig Essen man zum Leben braucht, wenn man sich darauf einstellt. Ich hatte einen kleinen gekachelten Kaminofen in meinem Häuschen, sodass ich permanent damit beschäftigt war, Brennholz zu sammeln. Starker Wind hieß für mich reiche Beute an Stöcken und Zweigen. Einige Zeit lang hatte ich Jobs bei der Klauenpflege und beim Baden der Schafe auf einer der Farmen in Greystoke Castle, einem wunderschönen Anwesen in der Nähe von Penrith. Als ich eines Abends von der Arbeit nach Hause fuhr, sah ich etwas am Straßenrand liegen. Ich hielt an und fand einige riesengroße


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