Die Frau mit dem zweiten Gesicht. Marie Louise Fischer

Die Frau mit dem zweiten Gesicht - Marie Louise Fischer


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daß sie das Thema absichtlich gewechselt hatte. Noch hatte er sie nicht so weit, daß sie ihn zu sich lassen wollte. Es war klüger, nicht weiter auf diesem Vorschlag zu beharren. So beschränkte er sich darauf, ihr scheinbar interessiert zuzuhören und nur hin und wieder eine Bemerkung einzustreuen, mit der er beweisen wollte, daß er kein Kunstbanause war.

      „Ich bekomme manchmal Einladungen zu Vernissagen!“ sagte er endlich. „Würde es dir Spaß machen, mich zu begleiten?“

      „Nein!“ sagte sie entschieden, spürte, daß das sehr hart geklungen hatte, und fügte eine Erklärung hinzu. „Weißt du, natürlich besuche ich Kunstausstellungen. Aber ich möchte mir alles in Ruhe ansehen. Eine Vernissage wäre für mich ein zu großer Rummel.“

      „Bist du je auf einer gewesen?“ fragte er etwas gereizt.

      „Nein, aber ich kann mir sehr gut vorstellen, wie es da zugeht. Alle halten sich für die Größten, führen ihre feinsten Klamotten aus und trinken Champagner.“

      „Es gibt auch Orangensaft.“

      „Darauf kommt’s doch nicht an. Nun tu nicht so. Du weißt genau, was ich meine. Reisi sagt …“

      Er fiel ihr ins Wort. „Wer ist Reisi?“

      „Professor Bernhard Reisinger. Wir nennen ihn Reisi. Natürlich nur hinter seinem Rücken.“

      Der Kellner servierte die Schokoladencreme, drei weiche Bälle, einer dunkelbraun, ein anderer beige und der dritte sehr hell, fast weiß. Alle waren sie mit Schlagsahne garniert.

      „Sieht das nicht wundervoll aus!“ rief Paul. „Ein Anblick, bei dem einem das Wasser im Mund zusammenläuft.“

      „Sehr hübsch“, gab Marie zu.

      „Du mußt es wenigstens probieren, sonst bin ich ernstlich verstimmt. Von jedem ein Löffelchen!“ Er führte einen Löffel der hellen Creme an ihre Lippen, die während des Essens ihre künstliche Farbe verloren hatten und jetzt wieder ihr starkes natürliches Rot zeigten, scharf abgegrenzt von ihrer weißen Haut.

      Sie wußte nicht, wie sie sein Angebot ablehnen sollte, ohne zickig zu erscheinen, und ließ sich von ihm füttern wie ein Kind.

      „Wirklich lecker“, gab sie zu.

      „Mehr?“

      Sie schüttelte den Kopf.

      „Du mußt nicht denken, daß du mich beraubst. Ich komme auch mit der Hälfte aus. Außerdem können wir ja eine Portion nachbestellen.“

      „Lieb von dir. Aber es wird mir mehr Spaß machen, dir zuzusehen, wie du es genießt.“

      Er fragte zwischen zwei Löffeln: „Apropos Spaß! Gehst du gerne in Konzerte? Oder sind dir da auch zu viele Leute?“

      „Jetzt willst du mich wohl auf den Arm nehmen! Natürlich stören mich die Konzertbesucher nicht. Die müssen ja still sitzen und zuhören.“ Nach einer kleinen Pause, in der er weiter schleckte, fügte sie hinzu: „Nur, leider, man kommt so schwer an Karten.“

      „Ich kann welche besorgen.“

      „Ja, wirklich? Das wäre fabelhaft.“

      „Pop ist wohl nichts für dich?“

      „Aber ja doch! Nur stelle ich es mir ziemlich enervierend vor, den ganzen Abend nur einen Interpreten zu hören. Es sei denn Tina Turner.“

      „Ganz mein Geschmack. Du, das machen wir. Wir gehen zusammen ins Konzert. Wie steht es mit Theater?“

      „Jederzeit.“

      „Oper?“

      „Auch. Ich war in den letzten drei Jahren jeden Sommer mit meinem Vater bei den ,Bayreuther Festspielen‘.“

      „Hui!“ Er blickte sie über seinen Teller hinweg an. „Das hast du durchgestanden?“

      „Etwas strapaziös ist es schon“, gab sie zu, „aber es lohnt sich.“

      „Wenn man ein Wagner-Fan ist.“

      „Nicht nur dann.“

      Er kratzte die letzten Reste auf seinem Teller zusammen und machte dabei den Eindruck, als ob er ihn am liebsten ausgeleckt hätte. „Noch einen Kaffee?“ fragte er.

      Sie war es nicht gewöhnt, am Abend Kaffee zu trinken, und hätte am liebsten abgelehnt. Aber sie hatte das Gefühl, schon zu oft „Nein, danke“ gesagt zu haben. „Wenn du gern möchtest.“

      „Unbedingt. Kaffee sollte der Abschluß jeder guten Mahlzeit sein.“ Er winkte dem Kellner, der sofort herbeieilte. „Zwei doppelte Espresso, Guido.“

      „Mir nur einen einfachen“, bat Marie.

      Als der Kaffee serviert wurde – sehr heiß und sehr schwarz in kleinen Tassen, dazu drei Verschiedene Sorten von Zucker – rauchte sie Paul zur Gesellschaft eine Zigarette.

      „Wir könnten noch irgendwohin tanzen gehen …“, begann er.

      Sie fiel ihm ins Wort. „Um diese Zeit? Es ist elf Uhr vorbei!“

      Er lachte sie aus. „Was für eine kleine Landpomeranze du doch bist! Zwischen elf und zwölf geht es doch erst richtig los.“

      „Wie kann man dann am nächsten Tag arbeiten?“

      „Indem man sich gar nicht erst hinlegt, sondern sich unter die Dusche stellt und dann loszieht.“

      „Für mich wäre das nichts; und ich glaube auch nicht, daß jemand nach einer solchen Nacht wirklich etwas leisten kann.“

      „Reine Gewohnheitssache. Sag mal, was mußt du überhaupt,leisten‘?“ Er betonte das letzte Wort voller Ironie. „Soviel ich weiß, lernst du doch noch?“

      „Ja, aber wenn du meinst, daß Kunst eine einfache Sache ist, irrst du dich gewaltig.“

      „Das habe ich nicht behauptet. Aber in der Regel läßt man, wenn man aus der Provinz kommt, erst mal drei gerade sein und genießt sein Leben und die neue Freiheit.“

      „Ich genieße es, jeden Tag etwas dazuzulernen.“ Sie drückte ihre Zigarette aus. „Ich glaube, wir sollten jetzt wirklich aufbrechen.“

      „Habe ich dich verletzt?“

      „Nein, gar nicht. Ich habe nur festgestellt, daß du mich völlig falsch einschätzt.“

      „Du bist schwer zu verstehen.“

      „Dabei versuche ich, es dir leicht zu machen. Ich bin so offen wie nur möglich.“

      „Wahrscheinlich ist es gerade das, was mich irritiert. Andere Mädchen versuchen, sich ins Licht zu stellen. Sie kokettieren, und das erwartet man auch als Mann. Aber du spielst einfach nicht mit.“

      „Ich bin nicht wie andere Mädchen.“

      „Wenn ich etwas gemerkt habe, dann das.“

      Als er sie nach Hause fuhr, sagte er wie aus tiefen Gedanken heraus: „Aber es war doch ein schöner Abend.“

      „Ja“, gab sie zu.

      „Wir sollten das wiederholen.“

      Vor dem Bürohaus in der Herzogstraße half er ihr aus dem Auto und begleitete sie zum Tor.

      Sie reichte ihm zum Abschied die Hand. „Danke, Paul – für alles.“

      Er zog sie an sich und küßte sie auf die Wangen. Sie ließ es geschehen. Aber als er ihren Mund suchte, wandte sie den Kopf ab.

      „Gute Nacht, Marie!“ sagte er. „Ich melde mich bald.“

      Er wartete, bis sie das Tor aufgeschlossen hatte und verschwand, versuchte sich vorzustellen, wie sie den düsteren Hof überquerte. Ob sie wohl auch heute eine Taschenlampe bei sich hatte? Nein, dazu war ihre Handtasche zu klein. Er war nahe daran gewesen, ihr anzubieten, sie zu ihrem Atelier


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