Die Frau mit dem zweiten Gesicht. Marie Louise Fischer

Die Frau mit dem zweiten Gesicht - Marie Louise Fischer


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Ziehen Sie mir zuliebe das nächste Mal keine hochhackigen Pumps an!“

      „Soll ich die Schuhe wechseln?“

      „Nein, nein. So wichtig ist das nun auch wieder nicht. Wir haben schon zuviel Zeit verloren.“ Er führte sie zu seinem Auto, das er schräg auf dem Bürgersteig geparkt hatte, und öffnete ihr die Tür. „Ich bin nur froh, daß ich die alte Karre heute früh innen saubergemacht habe.“

      Als sie sich setzte, wobei sich ihr Rock ein wenig nach oben verschob – sie strich ihn rasch wieder hinunter –, stellte er fest, daß die hohen Absätze ihre langen Beine besonders gut zur Geltung brachten.

      „Vielleicht sollte ich es mal mit Plateausohlen und hohen Absätzen versuchen“, sagte er, als er sich neben sie hinter das Steuer setzte.

      „Mir zuliebe wirklich nicht. Mir sind flache Schuhe viel bequemer. Ich dachte nur, Sie hätten gewünscht …“

      „Habe ich auch. Es war mein Fehler. Ist Ihnen eigentlich gar nicht aufgefallen, daß ich zu kurz geraten bin?“

      Sie sah ihn von der Seite an. „Sind Sie ja gar nicht. Sie sind sehr gut proportioniert. Glauben Sie mir, ich weiß, wovon ich spreche.“

      „Es stört Sie also nicht, sich mit einem kleineren Mann sehen zu lassen?“

      „Du lieber Himmel, nein! Als ob es darauf ankäme!“

      Er war jetzt voll damit beschäftigt, sein Auto zurückzusetzen und in den fließenden Verkehr einzuscheren. Erst als er das geschafft hatte, fragte er: „Worauf kommt es denn an?“

      „Auf den Charakter“, antwortete sie mit Bestimmtheit.

      Ihn überfiel ein leichtes Unbehagen. „Ich muß Ihnen gestehen, daß der auch nicht besonders ist.“

      „Was soll ich Ihnen darauf erwidern? Mir scheint, Sie fischen nach Komplimenten.“

      „Das jedenfalls ist normalerweise nicht meine Art.“

      Sie entschied, das Thema zu wechseln. „Sagen Sie, wo liegt das ,B Eins‘ eigentlich?“ fragte sie.

      „Wie schon der Name sagt: Bismarckstraße eins.“

      „Gott, bin ich dumm!“

      „Man kommt nicht so leicht darauf, wenn man nicht schon dagewesen ist. Es ist gar nicht weit von hier, eine Nebenstraße der Clemensstraße. Passen Sie auf, in fünf Minuten sind wir an Ort und Stelle.“

      „Ach, ich habe noch keinen Hunger.“

      „Ich kenne euch Mädels. Ihr ernährt euch am liebsten nur von Joghurt, Knäckebrot und Äpfeln, und das alles nur wegen der schlanken Linie.“

      „Damit hatte ich bisher noch nie Probleme.“

      „Um so besser. Mit mir werden Sie tüchtig essen.“

      „Ich bin zu allem bereit.“

      „Sagen Sie, wie geht es Ihrem Bruder? Wir wollten heute eigentlich nicht darüber sprechen, aber ich möchte doch wissen …“

      „Gut. Ich habe ihn besucht. Er ist auf dem Weg der Besserung.“

      Obwohl sie bereitwillig Auskunft gegeben hatte, war etwas in ihrem Ton gewesen, das ihm riet, dieses Thema so bald nicht wieder anzuschneiden. Bisher war alles so glatt gegangen, viel leichter, als er erwartet hatte. Er mußte verhindern, daß sie ihre Abwehr gegen ihn wieder aufbaute. Also war es entschieden besser, es bei einem lockeren Geplänkel zu lassen.

      „Da sind wir schon!“ verkündete er, fuhr den Wagen auf eine Parkinsel und half Marie beim Aussteigen.

      Sie sah sich um. Die Straße wirkte gutbürgerlich, und auch das Restaurant lag in einem Haus, das ehemals eine private Villa gewesen sein mußte. Es hatte sogar einen winzigen Vorgarten, der von einem dunkelbraun gestrichenen Holzzaun umgeben war. „Putzig“, sagte sie.

      Er nahm ihren Arm und führte sie über die Fahrbahn. „Es wird Ihnen bestimmt gefallen“, versicherte er ihr.

      Nebeneinander stiegen sie zwei Stufen hinauf, dann ließ er ihren Arm los und öffnete ihr die Tür, die in einen kleinen Vorraum führte. Noch eine Tür, und sie standen im Restaurant. Vor ihnen tat sich eine gewaltige Bar auf, die sich in L-Form durch das ganze Lokal zog. Über ihr surrten zwei riesige Ventilatoren. Im Spiegel hinter ihr schimmerten alle nur denkbaren Flaschen und Gläser. Vor der Bar drängte sich junges, vergnügtes Publikum. Alle Hocker waren besetzt; einige Männer, die keinen Sitzplatz gefunden hatten, standen, das Glas in der Hand.

      Paul, der vorausgegangen war, wurde mit fröhlichen Zurufen begrüßt. „Hallo, Paul!“ – „Wie geht’s dir, alter Junge?“ – „Läßt du dich auch mal wieder blikken?“

      Er gab die Begrüßungen in der gleichen Tonart zurück, hatte aber im selben Augenblick das Gefühl, daß dies vielleicht doch nicht der richtige Ort war, um ein Mädchen wie Marie Forester auszuführen. Er drehte sich zu ihr um und las am Ausdruck ihrer Augen, daß sie tatsächlich mehr als überrascht, ja fast verschreckt war. Sie hatte sich nicht von der Schwelle gerührt, und die Art, wie sie ihre Handtasche hielt, wirkte verkrampft.

      „Wenn wir lieber woanders hingehen sollen?“ fragte er rasch.

      Einer der Männer war schon von seinem Hocker geglitten. „Setz dich, Mädchen!“ rief er Marie zu. „Was willst du trinken?“

      Marie hatte sich wieder gefaßt. „Danke, nein. Ich trinke gar nichts.“

      „Macht nichts. Ist ja auch gesünder. Dann also einen Orangensaft, frisch gepreßt.“

      „Nett von dir, Andy!“ sagte Paul. „Aber ich denke, wir gehen gleich zu unserem Tisch. Wir haben einiges miteinander zu besprechen, und hier bei euch versteht man ja sein eigenes Wort nicht.“

      Andy musterte Marie mit unverhohlener Bewunderung. „Eine neue Freundin? Da kann ich nur gratulieren.“

      „Wir sehen uns vielleicht später, Andy.“ Entschlossen faßte Paul sie beim Ellenbogen und bugsierte sie an der Bar und der Ecke mit den Bistrotischen vorbei in das eigentliche Lokal, einen großen Raum, der durch eine Spiegelwand unterteilt war. Auch er war mit Bistrotischen bestückt.

      Sie hörten noch, wie jemand hinter ihnen an der Bar sagte: Junges Glück! Da kannst du nichts machen!“ und das darauf folgende Gelächter.

      Paul entschuldigte sich bei Marie. „Machen Sie sich nichts draus! Die Bande hat kein Benehmen.“

      „Ich bin nicht so empfindlich, wie Sie vielleicht glauben“, gab sie zurück.

      Er sah ihr lächelnd ins Gesicht. „Wirklich nicht? Mir kommen Sie irgendwie vor wie das berühmte Kräutchen Rührmichnichtan.“

      Ein Kellner in weißem Jackett, eine lange weiße Schürze vorgebunden, kam auf sie zu. „Guten Abend, Herr Sanner! Wir haben Ihnen Ihren Lieblingstisch reserviert.“ Er wies auf einen Ecktisch unter einem großen bunten Plakat von Toulouse-Lautrec.

      „Danke, Guido.“

      „Wünschen Sie zu essen?“

      „Deshalb sind wir hier.“

      Paul zog Marie einen Stuhl zurecht, und sie setzten sich. Geschickt warf der Kellner ein blendend weißes Damasttuch über die rote Marmorplatte des Tisches.

      Jetzt werden Sie den Eindruck haben, daß ich hier Stammgast bin“, sagte Paul, „aber leider habe ich gar nicht so oft Gelegenheit herzukommen, wie ich eigentlich möchte.“

      „Sie scheinen furchtbar viele Leute zu kennen“, bemerkte Marie.

      „Halb so wild. Als Journalist kommt man eben herum. Übrigens ist das da draußen die übliche Clique, die man überall trifft. Vorlautes junges Volk mit zu viel Geld in den Taschen.“

      „Dazu gehören Sie nicht.“

      Der Kellner brachte die


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