Die Frau mit dem zweiten Gesicht. Marie Louise Fischer

Die Frau mit dem zweiten Gesicht - Marie Louise Fischer


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eine Packung Zigaretten aus der Tasche seines dezent gemusterten Jacketts und bot es Marie an.

      Sie schüttelte abwehrend den Kopf.

      „Später?“ fragte er. „Oder gar nicht?“

      „Sehr selten. Ich habe es mir nie angewöhnt.“

      „Da würde mein Vater eine Freude haben! Er ist nämlich Arzt, und er verteufelt das Rauchen.“

      „Ach wirklich?“

      „Was überrascht Sie so daran? Es ist doch allgemein bekannt, daß Rauchen der Gesundheit schadet. Darf ich mir trotzdem eine anstecken?“

      „Ja, natürlich. Ich finde es nur komisch, daß Ihr Vater Arzt ist. Meiner nämlich auch.“

      „Wunderbar, Marie! Ein gutes Omen. Paul Sanner senior ist Facharzt für Hals, Nasen, Ohren. Er ist sehr enttäuscht, daß ich nicht in seine Fußstapfen getreten bin.“

      „Mein Vater, Cornelius Forester, ist praktischer Arzt, ein Landarzt. Von mir hat er nie erwartet, daß ich Medizin studieren sollte, obwohl bereits sein Vater und sein Großvater dieselbe Praxis hatten. Mein Stiefbruder wird sie später übernehmen.“

      „Aber er heißt nicht Forester.“

      „Mein Vater wollte ihn immer adoptieren. Aber sein leiblicher Vater hat sich dagegen gesträubt, obwohl er sich ansonsten so gut wie gar nicht um Günther gekümmert hat.“

      „Aber inzwischen ist er doch erwachsen, nicht wahr?“

      „Ja, natürlich. Fünfundzwanzig.“

      „Genau wie ich.“ Er grinste. „Ein schönes Alter!“

      Der Kellner hatte die Getränke gebracht, und sie prosteten sich zu.

      „Ich meine, dann könnte man die Adoption doch jetzt noch nachholen, das heißt, wenn Ihr Vater und Ihr Bruder das noch wollen. Jetzt kann ihnen keiner mehr reinreden.“

      „Aber was hätte das für einen Sinn?“

      „Nur wegen der Tradition. Wahrscheinlich legt Ihr Vater Wert auf so was.“

      „Sie reden, als ob Sie ihn kennen.“

      „Ich kann ihn mir sehr gut vorstellen. Er ist so ein richtiger Arzt der alten Schule, nicht wahr? Einer, der auch Feiertags für seine Patienten da ist und sich auch nachts aus dem Bett holen läßt.“

      Marie freute sich. „Genau! Wenn der Tierarzt nicht erreichbar ist – der ist noch jung und will was vom Leben haben – hilft er sogar beim Kalben!“

      Paul fand es an der Zeit, endlich etwas zu bestellen, aber er wollte das Gespräch nicht unterbrechen.

      Marie war es, die vorschlug: „Ich glaube, wir sollten dem Kellner sagen, was wir essen wollen. Er ist zwar höchst diskret und rücksichtsvoll, aber allmählich muß er doch ungeduldig werden.“

      „Haben Sie sich schon etwas ausgesucht?“

      „Nein.“

      „Worauf haben Sie denn Lust?“

      „Es sollte schon etwas sein, das ich nur selten bekomme und das ich mir selbst nicht kochen kann.“

      „Wie wäre es dann mit Rehmedaillons? Dazu gibt es Melonenpüree, Kartoffelkroquetten und Preiselbeeren.“

      Marie stimmte zu.

      „Und vorher einen Feldsalat mit Entenbrüstchen?“ schlug Paul Sanner vor.

      „Nein, danke. Das ist mir zuviel.“

      „Dann nehmen Sie doch eine Rehessenz! Das ist ein ganz, ganz leichtes klares Süppchen.“

      „Nachher habe ich dann keinen Hunger mehr.“

      „Sie brauchen es ja nicht aufzuessen!“ drängte er. „Ein paar Löffel werden Ihnen bestimmt guttun.“

      Marie gab nach, mehr aus Höflichkeit, als daß sie wirklich Lust auf diese Suppe gehabt hätte. Als sie dann aber – sehr heiß – serviert worden war, schmeckte sie ihr so gut, daß sie die Tasse bis auf den Grund leerte.

      „Na also“, stellte Paul Sanner voller Befriedigung fest.

      „Das mit der Adoption“, nahm Marie den unterbrochenen Gesprächsfaden wieder auf, „werde ich meinem Vater vielleicht tatsächlich mal vorschlagen.“

      „Sollten Sie unbedingt.“

      Marie spielte mit ihrer Gabel. „Ich kann mir bloß nur schwer vorstellen, wie es für Günther sein würde, mitten im Leben den Namen zu wechseln. Auf einmal nicht mehr Grabowsky, sondern Forester zu heißen.“

      „Na, wenn schon. Wenn Sie heiraten, Marie, werden Sie wahrscheinlich auch den Namen Ihres Mannes annehmen. Früher war es ja allgemein üblich, aber heutzutage nutzen manche Männer die Ehe, ihren Namen zu wechseln.“

      „Daran habe ich nicht gedacht“, gab Marie zu.

      „Ich an Ihrer Stelle würde jedenfalls bei Forester bleiben. Ein hübscher Name. Klingt aber weder bayrisch noch fränkisch.“

      „Er soll aus dem Englischen, vielleicht auch aus dem Schottischen kommen. Jedenfalls nennen die Leute unser Haus immer noch das,Schottenhaus‘.“

      „Klingt phantastisch.“

      Der Kellner brachte eine Karaffe mit Rotwein und wollte einschenken.

      „Mir bitte nicht!“ erklärte Marie mit Bestimmtheit und sah Paul Sanner bittend an. „Ich habe Ihnen doch gesagt, daß ich keinen Alkohol vertrage.“

      „Ein Schlückchen wird Ihnen bestimmt nicht schaden.“

      „Leider doch.“

      „Ich garantiere dafür.“

      „Das können Sie nicht.“

      „Aber doch. Verlassen Sie sich auf mich! Das ist ein ganz leichter Landwein. Ich möchte doch mit Ihnen anstoßen.“ Er probierte den Schluck Wein, den der Kellner in sein Glas gegossen hatte. „Sehr gut. Wirklich leicht.“

      Der Kellner wandte sich an Marie. „Darf ich?“

      Mit einem kleinen Seufzer gab Marie nach.

      Der Kellner füllte erst ihr Glas, dann das von Paul Sanner, und zog sich zurück.

      „Wir müssen doch endlich auf, du und du‘ trinken“, sagte Paul Sanner.

      „Müssen wir?“

      „Unbedingt. Ist Ihnen nicht aufgefallen, daß alle jungen Leute sich heutzutage duzen? Jedenfalls hier in München. Sogar die nicht mehr ganz so jungen.“

      „Ja, ich weiß.“ Sie sah in seine strahlend blauen Augen und zögerte immer noch. Dabei hatte sie längst aufgehört, an ihn als ,Herr Sanner‘ zu denken; er war schon ,Paul‘ für sie geworden.

      Er hob ihr sein Glas entgegen, stellte es dann aber plötzlich auf den Tisch zurück. „Es sei denn …“, begann er und verstummte.

      „Was?“

      „… du hast einen triftigen Grund, nicht zu trinken.“ Er lächelte ihr ermutigend zu. „Dann machen wir es einfach so. Ohne Wein.“

      „Jetzt ist er doch schon eingeschenkt.“

      „Macht nichts. Ich leere es für dich.“

      Ihr ging ein Licht auf. „Sie denken … du denkst, ich bin eine Alkoholikerin? Nein, nein, Paul, das bin ich nicht.“

      „Es hätte meiner Bewunderung keinen Abbruch getan.“

      „Ich fände es ganz schrecklich.“

      „Reden wir nicht mehr darüber, Marie!“

      Jetzt endlich erhob sie ihr Glas, und er stieß mit ihr an.

      „Auf du und du, Marie!“


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