Die Frau mit dem zweiten Gesicht. Marie Louise Fischer

Die Frau mit dem zweiten Gesicht - Marie Louise Fischer


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nahm einen winzigen Schluck.

      „Erzähl mir bitte weiter von eurem Schottenhaus!“

      „Es steht abseits von unserem Dorf, ungefähr drei Kilometer, so eine richtige Großstadtvilla aus der Zeit der Jahrhundertwende. Niemand weiß, warum mein Urgroßvater es dahingeklotzt hat. Entweder wollte er seiner Braut imponieren – sie stammte aus der Gegend – oder den Dörflern, vielleicht hat er auch geglaubt, Kornthal würde sich zu einer Stadt entwickeln.“

      „Wie kam der alte Schotte überhaupt dorthin?“

      „Das haben wir uns als Kinder auch immer gefragt. Aber niemand konnte es uns sagen. Alt kann er übrigens damals noch gar nicht gewesen sein.“

      „Aber bestimmt ist er steinalt geworden.“

      „Auch das weiß niemand. Er war Kapitän auf großer Fahrt, kam nur alle zwei Jahre nach Hause zurück, und dann war jedesmal ein neues Kind da. Seine Frau war also die meiste Zeit allein. Trotzdem – oder gerade deshalb – soll die Ehe sehr glücklich gewesen sein. Wenn er heimkam, herrschte Jubel und Trubel. Immer brachte er die tollsten Geschenke mit. Seide aus Indien, Elfenbeinschnitzereien, Schmuck, einmal eine Ladung frischer Kokosnüsse, worüber sich die Kinder natürlich besonders freuten. Dazu aber leider auch einen kleinen Affen. Von dem waren die Kinder zwar auch begeistert, ihre Mutter jedoch nicht so sehr, denn er turnte an den Vorhangstangen und den Kronleuchtern. Zu allem Überfluß entdeckte man dann eines Tages, daß er sämtliche Kokosnüsse – sie waren im Keller gelagert – geöffnet und die Milch ausgetrunken hatte, so daß sie alle schlecht geworden sind.“

      „Und was ist aus ihm geworden?“

      „Darüber schweigt sich die Familienchronik aus. Ich nehme an, er ist früh gestorben. Ich kann mir nicht so recht vorstellen, daß ein Affe in unserem Klima gedeihen könnte.“

      „Und wie ging’s weiter mit dem Ur-Ur-Urgroßvater?“

      „Eines Tages verschwand er, genauer gesagt, er kam nicht mehr zurück. Seine Frau konnte es nicht fassen. Bis zu ihrem Lebensende hat sie auf ihn gewartet. Es heißt, daß sie schwermütig geworden ist.“ Sie sah Paul aus ihren verschleierten Augen an. „Ist das nicht entsetzlich? Wenn eine große Liebe so endet? Aus heiterem Himmel? Ohne daß es vorher Kräche oder auch nur Unstimmigkeiten gegeben hat?“

      „Du glaubst also, Auseinandersetzungen gehören zu einer Liebe?“

      „Zum Ende einer Liebe jedenfalls. Ich möchte nicht einfach so verlassen werden.“

      Er nahm ihre Hand. „Keine Angst, Marie! Dir würde niemand so etwas antun.“

      Der Kellner servierte die Rehmedaillons; sie waren köstlich zartrosa. Marie und Paul aßen mit Genuß und sprachen wenig. Marie nippte an ihrem Wein, und Paul ließ sich nachschenken.

      Erst als sie fast zu Ende gegessen hatten, sagte er: „Vielleicht war es ja gar kein böswilliges Verlassen. Vielleicht ist dem alten Knaben auf hoher See etwas zugestoßen.“

      „Wenn, dann an Land. Natürlich hat die Familie, so gut es ging, nach ihm geforscht. Aber über die Reederei war nur zu erfahren, daß er in Singapur regulär von Bord gegangen und nicht wieder aufgetaucht ist.“

      „Tolle Geschichte!“ sagte er beeindruckt. „Da ließe sich was draus machen.“

      „Für was?“ fragte sie erstaunt.

      „War nur so dahingesagt.“ Er strahlte sie aus seinen blauen Augen an. „Vergiß es. Es ist eine dumme Angewohnheit von uns Journalisten. Wir überprüfen alles, was uns zu Ohren kommt, ob man darüber schreiben kann.“

      „Aber es ist so lange her. Wen könnte das heute noch interessieren?“

      „Niemanden. Es sei denn …“ Er unterbrach sich. „Vergiß es, Marie!“ – Aber bei sich dachte er: Das gäbe eine hübsche Hintergrundstory. Natürlich müßte man sie noch genauer recherchieren.

      Sie war mißtrauisch geworden. „Hast du eigentlich über den Unfall meines Bruders berichtet?“

      „Liest du denn keine Zeitungen?“

      „Selten.“

      Ein bemerkenswerter Mangel an Neugier, dachte er, ich an ihrer Stelle hätte bestimmt am nächsten Tag nachgeschaut. „Na ja“, sagte er, „es war auch nicht der Rede wert. Ein paar nichtssagende Zeilen, nichts weiter. Wenn es tödlich ausgegangen wäre, wäre es natürlich etwas anderes gewesen.“

      „Dann hättest du mehr verdient“, erwiderte sie trokken.

      „Marie! Ein solcher Sarkasmus paßt nicht zu dir!“

      „Aber es ist doch so! Oder etwa nicht? Gewisse Reporter sind doch die reinsten Aasgeier.“

      „Zu denen ich nicht gehöre!“ brüstete er sich und spielte den Beleidigten. „Wenn du so von mir denkst …“ Mit einer heftigen Bewegung schob er den geleerten Teller von sich.

      „Nimm’s nicht persönlich!“ bat sie. „Was soll ich schon von dir denken? Ich kenne dich doch kaum.“

      „Aber du traust mir das Schlimmste zu.“

      „Wenn das wirklich so wäre, säße ich nicht hier mit dir, nicht wahr?“

      Seine Miene glättete sich. „Und ich bin froh, daß wir hier zusammen sind. Tut mir leid, daß ich so in die Luft gegangen bin. Aber ich bin nun mal ziemlich empfindlich, was meine Berufsehre betrifft.“

      „Ich werd’s mir merken“, versprach sie.

      Er lachte.

      „Was amüsiert dich so?“

      Jetzt hatten wir schon unseren ersten kleinen Krach!“

      „Findest du das so erstrebenswert?“

      „Und ob! Wenn man sich immer nur sein Sonntagsnachmittag-Ausgehgesicht zeigt, die glatte Fassade, kann man einander nicht näherkommen. Trinkst du noch einen Versöhnungsschluck mit mir?“

      Sie hatte ihr Glas während des Essens fast ganz geleert. „Nein, danke, wirklich nicht. Ich bin sowieso schon ein bißchen beschwipst. Sonst hätte ich das gar nicht gesagt. Das mit den Aasgeiern meine ich.“

      „Ist ja gut. Du brauchst mir gegenüber nicht jedes Wort auf die Goldwaage zu legen. Wenn mir was nicht paßt, werde ich mich schon wehren.“

      Der Kellner kam an den Tisch und schenkte ihm den Rest Rotwein aus der Karaffe ein.

      „Wie wäre es mit einem Dessert, Marie?“ fragte Paul.

      „Danke, nein. Ich bin rundherum satt.“

      „Die machen hier ein wunderbares ,Mousse au Chocolat‘.“

      „Das glaube ich gern. Aber mir ist es einfach zuviel.“

      „Dann nur für mich, Guido!“

      „Du machst dir nichts aus gutem Essen?“ fragte er, aber es klang mehr wie eine Feststellung.

      „O doch!“ widersprach sie. „Ich brutzele mir auch öfter selber mal was. Kochen macht mir Spaß.“

      „Was sonst noch? Was dir Spaß macht, meine ich.“

      „Musik. Klassische Musik am liebsten. Ich habe eine sehr gute Stereoanlage.“

      „Wie wäre es, wenn du mich mal zu dir einladen würdest? Ich liebe ebenfalls klassische Musik, und ich würde mich gern davon überzeugen, was du am Herd zustande bringst.“

      Sie lächelte. „Das kann ich mir vorstellen.“

      „Ich möchte auch dein Atelier sehen. Alles, was du gemalt hast.“

      „Das ist nichts Besonderes.“

      „Ich erwarte nicht, daß du ein weiblicher Picasso bist.“

      „Magst du Picasso?“

      „Ja, sehr.


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