Die Frau mit dem zweiten Gesicht. Marie Louise Fischer

Die Frau mit dem zweiten Gesicht - Marie Louise Fischer


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nur, der Wahrheit auf den Grund zu kommen. Aber Sie machen es mir verdammt schwer.“

      „Ich habe Ihnen alles gesagt, was ich weiß. Jetzt wird es Zeit, daß ich zum Unterricht komme.“

      „Sie besuchen das ,Privatinstitut Geissler‘?“

      „Ja.“

      „Wozu?“

      „Komische Frage. Ich will malen lernen, besonders zeichnen. Die Aufnahmebedingungen für die Kunstakademie sind sehr schwer.“

      „Malen wollen Sie also? Ist das nicht in der heutigen Zeit eine ziemlich brotlose Kunst?“

      „Über meine Zukunft und meine Finanzen brauchen Sie sich aber nun wirklich keine Gedanken zu machen!“ Marie griff nach ihrem Köfferchen, das ihre Zeichenutensilien enthielt, und stand auf.

      Hauptwachtmeister Werner hielt sie zurück. „Nicht so hastig! Wir müssen noch das Protokoll aufsetzen.“

      „Ich wette, das können Sie auch allein. Ich habe alles gesagt, was zu sagen war.“

      „Eine letzte Frage …“

      „Ja?“ Marie blieb abwartend stehen.

      „Betätigt Ihr Bruder sich politisch?“

      „Nein.“ Vorsichtig setzte sie hinzu: „Soviel ich weiß.“

      „Wie ist seine politische Einstellung?“

      Marie verbiß sich die Frage, was dies denn mit dem Fall zu tun habe, denn sie hatte es jetzt sehr eilig fortzukommen. „Eher konservativ“, erklärte sie.

      „Na dann!“ sagte Hauptkommissar Werner ausdruckslos und stellte das Tonbandgerät ab. „Laufen Sie also los! Aber machen Sie nicht den Fehler, Ihren Bruder zu besuchen, bevor wir ihn vernommen haben!“

      „Das können Sie mir nicht verbieten!“

      „Das will ich gar nicht, und ich setze ihm auch keinen Wachtposten vor die Tür. Dafür ist der Fall nicht wichtig genug. Ich rate es Ihnen nur im Guten.“

      „Warum?“

      „Damit Sie nicht in den Verdacht der Absprache geraten. Sie können sich doch nichts Besseres wünschen, als daß er unbeeinflußt Ihre Darstellung bestätigt.“

      „Ach so. Ja, natürlich.“

      „Und vergessen Sie nicht, daß wir noch Ihre Unterschrift brauchen.“

      „Ich könnte in der Mittagspause kommen.“

      „Sehr schön. Vielleicht war bis dahin schon einer meiner Kollegen in der Klinik.“

      „Hoffentlich!“ erwiderte Marie und beeilte sich fortzukommen.

      3

      Paul Sanner hatte Marie noch vor der Vernehmung abfangen wollen, um sie wiederzusehen und ihr Mut zuzusprechen. Aber er war zu spät gekommen. Jetzt stand er im Empfangsraum des Polizeireviers vor der hölzernen Barriere und wartete auf sie. Dabei spitzte er gewohnheitsmäßig die Ohren, um möglichst viel von den Klagen und Anschuldigungen einer angeblich bestohlenen alten Frau und den Ausreden eines jungen Mannes, den man mit Kokain erwischt hatte, mitzubekommen. Es mochten sich ein paar Zeilen dabei herausschinden lassen. Er war damit so beschäftigt, daß er Marie, die aus einer rückwärtigen Tür des großen Raumes kam und sich zwischen den Schreibtischen durchschlängelte, die von uniformierten Beamten besetzt waren, gar nicht bemerkte. Erst als ein junger Polizist ihr die Barriere öffnete und sie fast unmittelbar vor ihm stand, erkannte er sie.

      „Fräulein Forester!“ rief er erfreut. „Da sind sie ja endlich!“

      „Tut mir leid“, entgegnete sie kurz angebunden, „ich habe jetzt überhaupt keine Zeit.“ Sie ging an ihm vorbei auf den Ausgang zu.

      Er blieb an ihrer Seite. „Wenn Sie es eilig haben – ich bringe Sie gerne, wohin immer Sie wollen.“

      Jetzt schenkte sie ihm ein Lächeln. „Zum Pündterplatz. Das wäre wirklich sehr nett von Ihnen.“

      „Für Sie tue ich doch alles!“ behauptete er überschwenglich.

      Ihr Lächeln vertiefte sich. Jetzt übertreiben Sie nur nicht.“

      Er blickte sie bewundernd an. Sie war, was er schon in der Nacht zuvor geahnt hatte, ein wirklich schönes Mädchen. Das aschblonde, jetzt gründlich durchgebürstete Haar, umwogte ein schmales Gesicht, dem die stark ausgeprägten Jochbogen einen leicht slawischen Charakter gaben. Ihre Haut hatte immer noch jenes Porzellanweiß, das ihm schon in der Nacht aufgefallen war, aber jetzt waren ihre Wangen leicht gerötet, ob vor Erregung oder mit Hilfe eines kosmetischen Kunstgriffs vermochte er nicht zu beurteilen. Jedenfalls hatte sie das natürlich leuchtende Rot ihrer Lippen mit einem hellen Stift gedämpft, die Augenbrauen mit einem grauen Stift nachgezogen und die Wimpern getuscht. In ihrem Hosenanzug aus Waschleder wirkte sie sehr elegant, gerade weil er schon etwas abgewetzt war. Ihr Profil, das er jetzt beobachtete, während er neben ihr hereilte, zeigte eine gerade Nase und ein rundes Kinn, beides zu kräftig, als daß man sie in landläufigem Sinn als hübsch hätte bezeichnen können. Aber eine Schönheit war sie, das stand für ihn ganz außer Frage.

      „Hat man Ihnen schwer zugesetzt?“ fragte er, während er ihr die Tür seines klapprigen VW’s aufriß; diesmal hatte er den Zündschlüssel zwar abgezogen, es aber nicht der Mühe wert gefunden, das Auto abzuschließen.

      „Das kann man wohl sagen.“ Als er sich neben sie gesetzt hatte und den Motor anließ, fügte sie hinzu: „Ich finde es komisch, daß man gleich wie ein Verbrecher angesehen wird, bloß weil man Opfer geworden ist.“

      „Tatsächlich? Hat man das?“

      „Nicht direkt. Aber dieser Hauptwachtmeister hat mir doch tatsächlich erklärt, mein Bruder könnte zur Drogenszene gehören. Ausgerechnet Günther! Und wenn ich nicht betont hätte, daß er politisch rechts steht, hätte er ihn womöglich dem Terrorismus zugeordnet, zumindestens dem Umfeld.“

      „Regen Sie sich nicht auf, Fräulein Forester! Da das alles nicht stimmt, kann Ihrem Bruder ja nichts passieren. Ich habe mich übrigens im Krankenhaus nach ihm erkundigt …“

      „Danke. Ich auch. Ich bin sicher, er wird es überleben.“

      „Das ist doch die Hauptsache, nicht wahr?“

      „Natürlich. Aber die Art, wie die Polizei mit einem umgeht, ärgert mich doch. Mir hat dieser Hauptwachtmeister kein Wort geglaubt.“

      „Und Sie haben auch nichts zugegeben“, sagte er und bereute es sofort.

      „Zugegeben?“ wiederholte sie und blickte ihn an, wobei das leicht verschleierte Blaugrün ihrer Iris sich in ein intensives Blau verwandelte, ein Vorgang, der sich so schnell vollzog, daß Paul Sanner gleich darauf glaubte, es geträumt zu haben. „Was hätte ich zugeben sollen?“ fragte sie.

      „Ach, vergessen Sie’s!“ sagte er rasch. „Es war nur so ein dummer Spruch. Als Studenten sagten wir immer: Man soll nie was zugeben, was einem die Polizei nicht beweisen kann.“ Er bog an der Münchener Freiheit in die breite, sehr belebte Herzogstraße ein und fuhr in Richtung Pündterplatz. „Überhaupt sollte es für uns doch andere Themen geben als diese scheußliche Geschichte. Unterhalten wir uns doch mal in Ruhe miteinander. Gehen wir morgen abend zusammen essen, ja?“

      Ein wenig überrascht sah sie ihn an und nahm ihn jetzt zum ersten Mal wirklich wahr. Bis zu diesem Augenblick war er für sie nichts als eine Art Marionette gewesen, der wie der Wirt, die Polizisten, der Arzt und die Sanitäter nur ihre Rolle in einem vorprogrammierten Stück gespielt hat. Er war ein charmanter junger Mann mit hellbraunem, weichem Haar und blauen Augen, die durch dunkle, auffallend dichte Wimpern besonders strahlend wirkten. Sie empfand, daß er ihr sympathisch war, zögerte aber dennoch, seine Einladung anzunehmen. Es war nicht ihre Art, rasch Bekanntschaften zu machen oder gar Freundschaften zu schließen.

      „Kommen Sie, kommen Sie!“ drängte er.


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