Die Frau mit dem zweiten Gesicht. Marie Louise Fischer

Die Frau mit dem zweiten Gesicht - Marie Louise Fischer


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die Achseln. „Ich habe nur so ein Gefühl. Daß alles gut werden wird.“ Grußlos schritt sie davon.

      „He, warten Sie!“ rief er und lief ihr nach.

      „Ich bin jetzt müde.“

      „Na klar sind sie müde. Wie könnte es anders sein! Deshalb möchte ich Sie nach Hause fahren.“

      „Ich kann sehr gut zu Fuß gehen.“

      „Natürlich können Sie das.“ Er trabte weiter eifrig neben ihr her. „Aber meinen Sie nicht auch, daß Sie für diese Nacht genug erlebt haben?“

      „Es wird nichts mehr geschehen.“

      „Tun Sie mir den Gefallen, und fahren Sie mit mir, Fräulein Forester! Ich habe auch so meine Gefühle, wissen Sie. Es ist mir verdammt unbehaglich bei dem Gedanken, Sie jetzt einfach allein zu lassen.“

      Im Licht einer Laterne blieb sie stehen und sah an sich herunter. „Ich würde Ihren Wagen schmutzig machen.“

      „Ach was!. Das Blut ist doch längst getrocknet. Außerdem hat mein altes Vehikel schon ganz andere Strapazen überstanden. Also kommen Sie schon. Mir zuliebe.“ Behutsam faßte er sie beim Arm und führte sie zu seinem VW zurück. Er öffnete ihr die Tür zum Beifahrersitz, wartete, bis sie es sich bequem gemacht hatte, schloß die Tür hinter ihr und stieg erst dann auf der anderen Seite ein.

      „Lassen Sie immer die Zündschlüssel stecken?“ fragte sie.

      Er freute sich über diese natürliche Bemerkung und grinste sie an. „Nur wenn ich es sehr eilig habe. Und vorhin hat es ja wirklich sehr pressiert. Wenn ich nicht so rasch zur Stelle gewesen wäre, hätte ich Sie womöglich gar nicht kennengelernt.“

      Er hoffte, daß sie den Ball auffangen und auf seinen Flirtversuch eingehen würde. Aber sie tat es nicht. Sie sagte nichts, sah ihn nicht einmal an, saß einfach da, die langen Beine von sich gestreckt, die Hände in den Taschen vergraben, leicht zusammengesunken.

      Er ließ den Motor an, brachte das Auto auf die Fahrbahn und wendete. „Wohin also?“

      „Zur Herzogstraße.“

      „Zu Fuß ist das aber noch eine ganze Ecke.“ Er fragte sich, warum sie, wenn sie schon in der Nacht spazierengehen mußte, nicht im modernen Teil Schwabings jenseits der Leopoldstraße geblieben war.

      Sie äußerte sich nicht zu seiner Bemerkung.

      Er unternahm einen neuen Versuch, sie zum Sprechen zu bringen. „Ich fürchte, ich habe mich nicht einmal vorgestellt.“

      Diesmal reagierte sie. „Sie heißen Sanner, wenn ich den Polizisten richtig verstanden habe“, sagte sie in einem Ton, der deutlich machte, daß sie nicht im entferntesten daran interessiert war.

      Er ließ sich nicht entmutigen. „Stimmt. Paul Sanner. Ich bin Journalist, Fräulein Forester.“ Gleichzeitig wurde ihm bewußt, daß diese Erklärung überflüssig war, denn wenn die Forester nicht ganz dumm war – und so schätzte er sie nicht ein –, hatte sie sich das schon selber zusammenreimen können. So war er diesmal auch nicht enttäuscht, daß sie nicht darauf einging. „Das hatten Sie sich schon gedacht, wie?“ fügte er hinzu.

      „Ja, Herr Sanner“, sagte sie, wie es ihm schien, nur um nicht unhöflich zu sein.

      „Darf ich fragen, was Sie studieren?“

      Jetzt wurde sie etwas lebhafter. „Aber ich studiere gar nicht, nicht wirklich, meine ich. Das habe ich nie behauptet.“

      „Nein, das haben Sie nicht, Fräulein Forester. Aber Sie erzählten dem Wachtmeister etwas von einem Institut, in das Sie müßten. Daraus habe ich geschlossen, Sie wären Studentin.“

      Wieder zog sie sich in sich selber zurück.

      „Nun seien Sie doch nicht so geheimnisvoll! Ich verstehe ja: Sie sind jetzt müde, vielleicht sogar erschöpft. Aber ein bißchen könnten Sie sich doch mit mir unterhalten. Schließlich sind die paar Fragen, die ich Ihnen stelle, ja nicht taktlos.“

      „Wollen Sie über mich in Ihrer Zeitung schreiben?“ fragte sie überraschend.

      „Ich muß Sie enttäuschen. Ich habe keine Zeitung, ich meine, ich habe keine feste Anstellung.“

      „Aber Sie schreiben doch für irgendwelche Blätter?“

      Das mußte er, wenn auch mit Unbehagen, zugeben.

      „Ich will nicht in die Zeitung kommen.“

      „Verstehe. Aber Sie können es bestimmt nicht verhindern, indem Sie die Geheimnisvolle spielen.“

      „Ich spiele nicht.“

      „Sehen Sie, ich könnte Ihnen jetzt hoch und heilig schwören, keine Zeile über Sie zu schreiben. Ich könnte mich sogar aus reiner Sympathie an diesen Schwur halten. In der Sache würde es gar nichts nutzen. Ich bin ja nicht der einzige Schreiberling in München, und viele Reporter haben gute Beziehungen zur Polizei.“

      Dazu wußte sie keine Antwort oder wollte sie nichts sagen.

      „Es wird schon nicht so schlimm werden“, tröstete er sie und zerbrach sich den Kopf, wie er sie zum Reden bringen könnte. Er hatte das Gefühl, es ganz falsch angefangen zu haben.

      Nach einigem Überlegen entschloß er sich, von sich selber zu erzählen. „Ich stamme übrigens nicht aus München, sondern bin in Kassel geboren. Meine Eltern leben immer noch dort. Vor ein paar Jahren bin ich zum Studium hierhergekommen. Philologie. Dann hat es mir so gut gefallen, daß ich geblieben bin. Ob für immer oder vorläufig, das kann ich noch nicht sagen. In meinem Beruf muß man mobil sein. Ich wohne in der Keferloher Straße, ganz nahe am Olympiagelände. Da gibt es jede Möglichkeit, Sport zu treiben, und nachts ist es besonders eindrucksvoll, wenn Licht aus allen Fenstern der Hochhäuser fällt. Waren Sie schon einmal dort?“

      Sie nickte.

      „Interessieren Sie sich für Fußball?“

      „Wir sind gleich da“, sagte sie statt einer Antwort.

      Obwohl er absichtlich langsam gefahren war – auf den nächtlichen Straßen war kaum noch Verkehr – hatten sie die Herzogstraße schon erreicht.

      „Halten Sie da vorne! Da! Vor dem großen Tor.“

      Er bremste, wo sie es ihm angegeben hatte.

      „Danke fürs Mitnehmen“, sagte sie und wollte rasch aussteigen.

      Aber er war schneller als sie, lief um den VW herum und öffnete ihr die Tür.

      „Danke“, wiederholte sie.

      „Soll ich Sie nicht nach oben bringen?“ erbot er sich. „Ich habe nicht die Absicht, Sie zu belästigen. Ich möchte nur ganz sicher sein, daß Sie heil nach Hause kommen.“

      „Aber das bin ich ja schon.“ Sie zog den Reißverschluß ihres Parkas ein Stück nach unten und holte aus der Innentasche einen Schlüsselbund hervor.

      Links neben dem Tor, vor dem sie standen, war ein Blumenladen, rechts eine Musikalienhandlung; die Schaufenster waren nur matt beleuchtet.

      Paul Sanner blickte zu dem düsteren Gebäude hoch. „Sieht aus wie ein Bürohaus.“

      „Ist es auch“, bestätigte sie.

      „Sie wohnen hier ganz allein?“

      „Im Hinterhaus“, sagte sie und steckte einen ihrer Schlüssel in das Schloß des Tores.

      „Aber dann müssen Sie ja noch über den Hof!“

      „Macht nichts. Ich bin es gewohnt.“

      „Bitte, lassen Sie mich Sie begleiten!“

      „Ausgeschlossen!“ Sie schenkte ihm ein schwaches Lächeln. „Irn wahrsten Sinne des Wortes, verstehen Sie? Ich muß hinter mir abschließen. Das Tor darf nachts nicht offen sein.“ Sie zog den schweren Flügel einen Spalt auf. „Gute


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