Der leiseste Verdacht - Schweden-Krimi. Helena Brink

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ich mich eines dienstlichen Vergehens schuldig. Willst du, dass ich ihre Adresse selbst herausfinde?«

      »Engelbrektsgata 5.«

      »Danke, ich werde meinen Kollegen in Stockholm die nötigen Informationen zukommen lassen, damit sie die Sache weiterverfolgen können. Mach dir keine Sorgen, das wird sich alles regeln.« Roffe schaute auf die Uhr. »Ich brauche jetzt was zu essen. Kommst du mit?«

      PM schüttelte den Kopf. »Ich habe keinen Hunger. Ich setze mich einfach in die Bibliothek und warte. Katharina ist in einer Stunde fertig. Ich muss nach Hause und mich erst mal richtig ausschlafen.«

      Sie verabschiedeten sich auf der Straße, weil sie in unterschiedliche Richtungen mussten.

      »Ich lasse von mir hören, wenn sich irgendwas tut«, sagte Roffe.

      »Ja, tu das«, entgegnete PM ohne große Begeisterung und trottete dem Zentrum von Christiansholm entgegen.

      7

      Am selben Tag

      Doch PM ging nicht unmittelbar zur Bibliothek zurück. Während eines flotten Spaziergangs steuerte er plötzlich eine leere Bank im Stadtpark an. Er verspürte ein starkes Bedürfnis, seine Gedanken zu ordnen. Aber wo anfangen? Er stocherte in zähem Nebel. Ein unbändiger Zorn tobte in ihm, sein Herz raste. Im Grunde hatte es zu rasen begonnen, als Roffe ihm den Brief gezeigt hatte. Verdammt noch mal, gestern hatte er den Schock seines Lebens bekommen und heute ... heute sah alles fast noch schlimmer aus.

      Er ließ den Blick über das Gewimmel im Park schweifen. Es war Mittagszeit, und auf den Bänken ringsum wandten die Leute ihre Gesichter gen Himmel, um sich mit ihrer Tagesration Sonne zu versorgen. Zwei Pudel, ein weißer und ein grauer, hatten auf dem Kiesweg vor seinen Füßen eine leidenschaftliche Liaison, während sie ihre menschlichen Anhängsel hinter sich her zogen. Auf dem Rasen, ein Stück weit entfernt, saß eine Horde Jugendlicher auf ihren Jacken und ließ ein unausgesetztes Geschnatter hören. Ab und zu prustete jemand los, gefolgt von kollektiven Lachsalven.

      Seine Gedanken kreisten beharrlich um das Gespräch mit Roffe. Wenn er doch nur kapieren könnte, welche Rolle er in dieser Angelegenheit spielte. Offensichtlich hatte Marianne ihm eins auswischen wollen. Aber warum? Nur um sich zu revanchieren? Er atmete tief durch. Sobald er sich ein wenig beruhigt hatte, wollte er weitergehen. In seiner momentanen Verfassung konnte er Katharina jedenfalls nicht unter die Augen treten. Sie hatte zuweilen die unheimliche Fähigkeit, direkt in sein Herz zu blicken.

      Ein Rentner mit Alkoholfahne gesellte sich zu ihm und begann mit einer komplizierten Schilderung seiner Beziehung zu den Tauben der Stadt. Während er ein paar trockene Brotkanten zerkrümelte und unter den Vögeln, die sich um die Bänke scharten, verteilte, vertraute er PM an, dass Tauben keinesfalls so dumm seien, wie es den Anschein habe. Viele von ihnen kenne er persönlich, sagte er und begann sehr überzeugend einige beim Namen zu nennen und ihre Charaktereigenschaften zu schildern. Dankbar für dies bisschen Ablenkung lauschte PM fasziniert seiner Suada und stellte ihm einige Fragen. Doch der umnebelte Alte wurde des Themas bald überdrüssig und begann stattdessen, sich über die Inkompetenz der Politiker und den unaufhaltsamen Verfall der Gesellschaft zu verbreiten. PM war im Grunde geneigt, ihm in vielem Recht zu geben, fand das Thema jedoch allzu deprimierend. Er verabschiedete sich höflich und schlenderte gemächlich der Bibliothek entgegen.

      Katharina stand bereits auf der Treppe und wartete auf ihn.

      »Ich habe früher Schluss gemacht«, sagte sie und fasste ihn liebevoll am Arm. Sie gingen zum Parkplatz. Katharina schaute ihn verstohlen an und lachte unsicher.

      »Du siehst aus, als müsstest du dringend ins Bett und dich ausschlafen.«

      Er entgegnete nichts.

      Sie stiegen in ihren kleinen Fiat, den sie mit sicherer Hand durch den dichten Stadtverkehr lenkte. Als sie vor einer roten Ampel hielten, wandte sie sich ihm zu.

      »Gehe ich recht in der Annahme, dass du eine Stinklaune hast?«

      Er kauerte auf seinem Sitz und stierte vor sich hin.

      »Ja, meine Laune ist miserabel«, gab er schließlich zu. »Außerdem ist mir kalt. Kannst du die Heizung anmachen?«

      »Hab ich schon, aber es dauert eine Weile, bis es warm wird.«

      Die Ampel schaltete auf Grün, und sie fuhren durch die äußeren Stadtbezirke.

      »Willst du darüber reden?«, fragte sie.

      Er seufzte gequält. »Ja, ist wohl besser, ich bringe es gleich hinter mich. Die Reise war ein totales Fiasko.«

      »Kein Geld?«

      »Kein Geld. Ich hab den Kerl nicht zu Gesicht bekommen. Die ganze Reise war umsonst.«

      »Wie merkwürdig ...«

      »Ja.«

      »Du hast doch bestimmt seine Adresse gehabt. War er nicht zu Hause?«

      »Er war nicht zu Hause, und ans Telefon ist er auch nicht gegangen. Genauso vom Erdboden verschluckt wie Axel.«

      »Das verstehe ich nicht. Glaubst du, er wollte dich reinlegen?«

      »Sieht ganz so aus.«

      »Aber warum? Das ergibt doch alles keinen Sinn. Was hat er denn davon, dich nach Stockholm zu locken?«

      »Frag mich was Leichteres.«

      Katharina schaute ihn erzürnt an.

      »Was soll ich denn anderes fragen? Du hast mir ja überhaupt nichts verraten. Nicht einmal seinen Brief hast du mir gezeigt.«

      PM kniff die Augen zusammen und massierte sich mit den Fingerspitzen die Schläfen.

      »Ehrlich gesagt ist mir jetzt alles scheißegal. Dass das Geld weg ist, hatte ich doch längst akzeptiert. Ich werde jedenfalls keinen Finger mehr krumm machen, um es zurückzukriegen. Ich bin müde und habe keine Lust mehr, über das Thema zu reden.«

      »Du scheinst ja wenig geschlafen zu haben.«

      »Ich habe im Zug ein bisschen vor mich hin gedöst, das ist alles. Du weißt doch, wie man sich nach solch einer Nacht fühlt. Jedenfalls war es schön, Stockholm wieder zu verlassen. Die Stadt geht mir mehr und mehr auf die Nerven.«

      »Was wollte Roffe?«

      »Reden.«

      »Das hab ich mir schon gedacht. Gestern am Telefon klang es aber so, als ginge es um eine sehr dringliche Angelegenheit.«

      PM gähnte und versuchte sich zu strecken, soweit es sein Gurt und das kleine Auto zuließen.

      »Er hat sich Sorgen gemacht, aber das wird sich alles regeln. Lass uns ein anderes Mal darüber reden.«

      »Wie du willst.«

      Katharina bog von der großen Ausfallstraße auf eine kleinere Straße ab. Sie hatten die Stadt hinter sich gelassen.

      PM richtete sich wieder auf und sah sich aufmerksam um.

      »Endlich kann man wieder durchatmen«, sagte er, jetzt schon entspannter. »Diesen Anblick habe ich vermisst, seit ich Montagabend in den Zug gestiegen bin. Saftige Wiesen, knospende Bäume und ein weiter, blauer Himmel. Keine Ampeln, keine Tankstellen, keine Reklameschilder ... Fahr mich einfach zu unserem bescheidenen Zuhause am Ende der Welt. Lass mich an meinem eigenen Herd sitzen und gib mir ein großes Glas von meinem besten Whisky. Wenn du dann noch versprichst, den Fernseher aus zu lassen, gibst du mir den Glauben an die Welt zurück.«

      »Natürlich fahre ich dich nach Hause, aber es ist schon ein starkes Stück, dass ausgerechnet du mich bittest, den Fernseher aus zu lassen.«

      »Stimmt, wenn es einen Dauerglotzer bei uns gibt, dann bin ich das.«

      Schweigend setzten sie ihren Weg durch die helle Frühlingslandschaft fort. Schließlich drehte PM den Kopf und betrachtete Katharinas Profil.

      »Jetzt bin ich wieder schrecklich egozentrisch gewesen,


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