Der leiseste Verdacht - Schweden-Krimi. Helena Brink

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      »Ja.«

      »Wie ist es dir ergangen, während ich fort war, mein Liebling?«

      »Och, ich hatte es eigentlich ganz ruhig und gemütlich.«

      »Höre ich da einen betrübten Unterton?«

      Katharina lachte. »Es hört sich zwar merkwürdig an, aber irgendwie bin ich doch froh, dich wieder am Hals zu haben.«

      »Ist irgendwas Erwähnenswertes passiert?«

      »Marika hat gestern angerufen. Sie und Daniel kommen am Wochenende nach Hause.«

      »Wie schön.«

      Katharina warf ihm einen prüfenden Blick zu. »Du hast doch nicht vergessen, dass Kajsa, Olle und Joakim zur Walpurgisnacht zu uns kommen?«

      PM griff sich seufzend an den Kopf. »Doch, das hatte ich vergessen. Ich nehme an, daran lässt sich nichts mehr ändern?«

      »Wenn du unbedingt willst, sage ich ihnen ab. Aber ich würde sie sehr gern sehen.«

      »Gut, vergiss, was ich gesagt habe. Ich bin heute nicht zurechnungsfähig. Nachdem ich ausgeschlafen habe, wird es mir schon viel besser gehen. Natürlich möchte ich sie auch gern sehen.«

      »Sicher?«

      »Sicher!«

      Eine Weile sah er sie schweigend an. Danach legte er vorsichtig seine Hand auf ihre, die das Steuer umfasste. Er drückte sie leicht. Dann blickte er wieder starr vor sich hin und fühlte eine beklemmende Selbstverachtung. Er unternahm einen ernsthaften Versuch, sich zusammenzureißen, und sagte eine Spur zu munter: »Irgendwas Neues von der Jaucheleiche?«

      Katharina sah etwas erstaunt aus, ging aber auf seinen Ton ein: »Kann schon sein. Ich habe gestern Besuch von einem alten Verehrer gehabt.«

      »Ach, wirklich. Hat er sich an dich rangemacht?«

      »Nicht körperlich.«

      »Ah, wahrscheinlich der Pfarrer der Freikirche in Äsperöd.«

      »Nein, ein Schweinehirte.«

      »Ein Schweinehirte, der einen platonischen Annäherungsversuch wagt, wie interessant.«

      »Ich habe mit ihm Kaffee und ein paar Gläser Schnaps getrunken, Gammeldansk, versteht sich. Wir haben eine gemeinsame Leidenschaft für dieses Getränk.«

      »Nisse!«, verkündete PM triumphierend.

      »Genau.«

      Er runzelte die Brauen und sagte mit gespieltem Zorn: »Ich werde diesem Casanova die Hammelbeine lang ziehen, wenn er meint, er könnte meiner Frau nachstellen und ihren Gammeldansk austrinken, wenn ich nicht zu Hause bin. Setz mich am Schweinestall ab, wenn wir da sind, damit ich ihm eine Tracht Prügel verpassen kann.«

      »Kommt nicht in Frage. Nisse ist ein faszinierender alter Mann, wenn man seinen Gestank außer Acht lässt. Wir hatten eine äußerst anregende Konversation.«

      »Ich dachte, man kann mit ihm über nichts anderes reden als über die Niedertracht des Menschen.«

      »Nun, er hat mir wirklich sein Herz geöffnet und mir das eine und das andere erzählt.«

      »Was zum Beispiel?«

      »Zum einen meint er zu wissen, wer die Leiche in der Jauchegrube war. Das hat er übrigens auch der Polizei erklärt. Und jetzt ist er stinksauer, weil sie ihn offenbar nicht ernst genommen haben.«

      »Und wer war es seiner Meinung nach?«

      »Kannst du dich noch an den Polen erinnern, der zu Sandströms Zeit schwarz auf dem Hof gearbeitet hat?«

      »Wen meinst du? Polen gab es so viele.«

      »Ich meine den, der letzten Sommer hier war. Netter Kerl. Sprach ziemlich gut Schwedisch. War so zwischen dreißig und vierzig Jahre alt.«

      »Ach, du meinst den, der auch als Taxifahrer in Malmö gearbeitet hat.«

      »Genau den meine ich. Nisse ist sich sicher, dass er in der Jauchegrube gelandet ist. Sandström hatte ihm einen Teil seines Lohns vorenthalten, was einen Riesenkrach zwischen den beiden zur Folge hatte. Nisse war Zeuge der Auseinandersetzung. Sandström ist auf den Polen losgegangen und besaß sogar sie Frechheit, ihm mit der Polizei zu drohen. Als Nisse den Polen das letzte Mal gesehen hat, hatte er eine blutige Nase und heulte. Am nächsten Tag war er verschwunden. Als Nisse Sandström fragte, wo der Pole geblieben sei, erntete er nur ein verächtliches Schnauben. Ich halte es für durchaus möglich, dass dieser Mistkerl einen polnischen Schwarzarbeiter erschlägt, nur damit er ihn nicht bezahlen muss. Das würde zu ihm passen. Ich nehme doch an, dass auch die Polizei in dieser Richtung ermittelt. Aber du weißt ja, wie Nisse ist. Von einigen Dingen hat er etwas verworrene Vorstellungen. Er kann nicht begreifen, warum sie Sandström nicht gleich einbuchten, nach allem, was er der Polizei erzählt hat.«

      »Komisch, davon hat Roffe gar nichts gesagt.«

      »Warum sollte er das? Habt ihr über die Leiche gesprochen?«

      »Ja, unter anderem.«

      »Was hat er gesagt? Haben sie schon irgendeine Spur?«

      »Ich weiß es nicht. Wir haben das Thema nur gestreift. Was hat Nisse noch gesagt?«

      Katharina lachte und verzog das Gesicht. »Er hat eine ganze Menge gesagt. Ich habe ihn selten so gesprächig erlebt. Er beschrieb mir haarklein das Aussehen der Leiche, nachdem er sie aus der Grube gezogen hatte. Mir wäre fast der Kaffee hochgekommen, und ich habe ständig versucht, das Thema zu wechseln, aber Nisse gab keine Ruhe, ehe ich nicht jedes ekelhafte Detail kannte.«

      »Ich dachte, Nygren hätte die Leiche gefunden.«

      Katharina rümpfte die Nase. »Nygren gibt sich doch nicht mit Schweinekot ab. Und Marco auch nicht. Nein, Nisse war dabei, die Jauche aus der Grube zu pumpen, weil er die Felder düngen wollte. Da bemerkte er plötzlich, dass der Schlauch nicht mehr richtig ansaugte. Als er mit einer Stange in der Jauche herumstocherte, erschien plötzlich etwas Großes an der Oberfläche, was bei näherem Hinsehen Ähnlichkeit mit einem Menschen hatte. Ich will seine malerische Beschreibung lieber nicht wiederholen. Jedenfalls hat er Nygren geholt, der Nisse zufolge ganz grün im Gesicht wurde.«

      Sie waren fast zu Hause. An der Biegung zur schmalen Zufahrt erblickte Katharina ihren blauen Briefkasten und verlangsamte das Tempo. Zur Rechten lagen Knigarps Schweineställe wie riesige rote Blechcontainer auf kahlen Feldern. Vor fünfzehn Jahren hatte es hier noch fruchtbares Weideland gegeben. Vor den Schweineställen, nahe am Weg, befand sich die offene Jauchegrube in Gestalt eines rundes Bassins mit breiten Betonkanten, ungefähr zwanzig Meter im Durchmesser, das von einem soliden, engmaschigen Zaun umgeben war. Im Übrigen stapelten sich vor dem Zaun allerlei Gerümpel, alte Autoreifen und Benzinkanister, halb verfaulte Strohballen sowie zahlreiche landwirtschaftliche Maschinen unterschiedlichen Alters und Verfallsstadiums.

      Die Zufahrt zu ihrem Haus befand sich anfangs zwischen den Schweineställen auf der einen und den übrigen Gebäuden des Hofs auf der anderen Seite. Im weiteren Verlauf wurde der Anblick zunehmend erfreulicher. Genau am Kreuzungspunkt zwischen dem kleinen und dem großen Weg stand die bescheidene, einst dem Gesinde vorbehaltene Hütte, in der sich mittlerweile das Büro befand. An der einen Außenwand war ihr Briefkasten befestigt. Hinter der Hütte erhoben sich im Schutz einiger uralter Buchen imponierend große und schöne Stallungen aus Granit. Früher waren hier Milchkühe und Pferde untergebracht, jetzt dienten sie als Depot. Das Haus des Vorarbeiters wurde fast vollständig von einem alten Weißdorn verdeckt, obwohl es an sich sehr sehenswert war. Dieses Gebäude sowie das alte Waschhaus lockten immer wieder kulturhistorisch interessierte Touristen nach Knigarp. Das Wohnhaus lag in vornehmer Abgeschiedenheit. Ein stattlicher, zweigeschossiger Backsteinbau mit dem Charakter eines herrschaftlichen Gutshofes. Er stammte aus dem Jahr 1905, die Jahreszahl war über dem Eingang zu lesen, und auch jetzt noch konnte man mit dem Auto über eine alte Lindenallee bis zum Haus gelangen.

      Das Außergewöhnliche an Knigarp war jedoch die


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