Der leiseste Verdacht - Schweden-Krimi. Helena Brink

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weiß nicht, wozu ich imstande gewesen wäre, hätte ich Axel in meiner größten Wut in die Finger bekommen.«

      »Ich denke, du hättest ihn ziemlich vermöbelt, hättest aber auch darauf geachtet, ihn nicht ernsthaft zu verletzen.«

      PM beugte sich vor und legte ein paar Holzscheite ins Feuer.

      »Du hältst es also für unwahrscheinlich, dass ich ihn erschlagen und in Nygrens Jauchegrube geworfen habe?«

      Katharina kicherte. »Was für ein absurder Gedanke. Obwohl es zeitlich genau hinkäme. Axel ist ja wirklich seit Monaten spurlos verschwunden. Ich sehe schon die Schlagzeile vor mir: ›Rasender Künstler wirft ermordeten Galeristen in Jauchegrube.‹ Ein gefundenes Fressen für die Boulevardpresse.«

      Als er nichts entgegnete, fuhr sie irritiert fort: »Was ist eigentlich los mit dir? Setzt dir die Geschichte mit Axel schon wieder so zu? Du musst endlich einen Schlussstrich unter etwas ziehen, das sich nicht mehr ändern lässt. Es gibt wichtigere Dinge im Leben.«

      Ein lang gezogenes Maunzen ließ beide aufhorchen. Katharina ging zur Haustür und ließ die gelb getigerte Katze herein, die sofort in Richtung Kamin tippelte und auf Katharinas Sessel sprang. Katharina nahm sie in den Schoß. PM beugte sich vor und streichelte ihr sanft über den Rücken.

      »Wie dick sie geworden ist«, sagte er.

      »Weißt du nicht, dass sie wieder trächtig ist?«

      »Herrgott, schon wieder? Hoffentlich werden es diesmal nicht so viele.«

      Sie blickte der Katze tief in ihre jadegrünen Augen und fragte: »Was meinst du, Lady Pamela, wie viele werden es?«

      Sie erhielt einen undurchdringlichen Blick zur Antwort, gefolgt vom mehrfachen Zucken des buschigen Schwanzes.

      PM lehnte sich seufzend zurück. »Mindestens zwanzig.«

      »Was sagst du?«

      »Ich habe nicht richtig mitgezählt, aber ihr Schwanz hat mindestens zwanzigmal gezuckt.«

      Katharina setzte Lady Pamela auf seinen Schoß.

      »Ich mache uns jetzt was zu essen«, sagte sie.

      8

      Dienstag, 2. Mai

      Gegen eins klingelte das Telefon. PM saß allein beim Frühstück und wollte zunächst gar nicht drangehen, bis ihm einfiel, dass es auch Katharina oder Marika sein konnten, die ihn sprechen wollten. Er legte die Zeitung beiseite, ging in die Diele und hob den Hörer ab.

      »Hallo?«

      »Hallo, hier ist Roffe. Habe ich dich geweckt?«

      PM fühlte sich sonderbar bedrückt und schloss die Augen, ehe er nach langem Schweigen antwortete: »Nein, ich sitze gerade beim Frühstück.«

      Roffe klang angespannt. »Der ... äh ... Fall, du weißt schon, ist doch komplizierter, als ich dachte. Du könntest nicht zufällig noch mal in die Stadt kommen?«

      PM stützte sich gegen die Wand. Er fühlte sich plötzlich vollkommen kraftlos. Als würde alle Energie durch seine Füße aus ihm abfließen.

      »Heute passt es schlecht«, sagte er und hörte selbst, wie seine Stimme nach Festigkeit suchte. »Katharina arbeitet heute. Oder möchtest du, dass ich ein Taxi nehme?«

      »Nein, das ist nicht nötig.« Roffe machte eine Pause. »Übernachtet Katharina heute in der Stadt?«

      »Ja.«

      »Dann komme ich zu dir. Da ist es ruhiger und gemütlicher.«

      PM lachte dumpf. »Wollen wir es uns gemütlich machen?«

      »Ich weiß nicht«, sagte Roffe mit müder Stimme, »aber wir müssen in Ruhe miteinander reden.«

      »In Ordnung, ich lade dich zum Essen ein.«

      »Äh, wir sollten vielleicht nicht vergessen, dass du Gegenstand der Ermittlungen bist«, sagte Roffe mit erzwungener Unbeschwertheit. »Sonst könnte man das als Bestechung auslegen. Lass mich lieber das Essen machen, wenn ich komme. Außerdem schmeckt’s dann besser.«

      »Keine Einwände. Was brauchst du für Zutaten?«

      »Lass mich nachdenken ...«, Roffe ging sein Repertoire an Rezepten durch, »irgendwas, was schnell geht ... und satt macht. Ah, mir fällt was ein! Das meiste habe ich zu Hause. Hast du Zwiebeln und ein paar Eier?«

      »Ich glaube schon. Sonst fahre ich mit dem Fahrrad ins Dorf und kaufe welche. Wann kommst du?«

      »Ich kann erst in ein paar Stunden aufbrechen. So gegen vier könnte ich bei dir sein.«

      »Also bis später.«

      Nachdem PM aufgelegt hatte, betrachtete er sich unschlüssig im Spiegel, der in der Diele hing. Er hatte jeden Appetit verloren, und allein der Gedanke, das Atelier aufzusuchen, stieß ihn ab. Er ging in die Küche zurück und deckte den Tisch ab. Das halb gegessene Käsebrot zerkrümelte er in den Futternapf der Katze, den Kaffee goss er in den Ausguss. Er atmete schwer und musste sich eine Weile hinsetzen, um sein Herz zu beruhigen. Verdammt, das Herz hatte ihm doch noch nie Probleme bereitet. Nur in der letzten Zeit hatte es ihm hin und wieder zu schaffen gemacht. Er sollte sich vielleicht etwas mehr bewegen. Er nahm sich seine Pfeife und legte sie nach kurzem innerem Ringen wieder hin. Es war beinahe halb zwei. Was sollte er tun, bis Roffe kam? Unruhig stand er auf, warf einen Blick in den Kühlschrank und stellte fest, dass nur noch zwei Eier von bedenklich hohem Alter darin waren. Er sollte unbedingt frische besorgen. Roffe nahm es mit solchen Dingen sehr genau. Außerdem hatte er ein bisschen frische Luft nötig.

      Er holte sein altes Fahrrad aus dem Schuppen, ein stabiles Gefährt aus der Zeit, in der nur Rennräder mit Gangschaltungen ausgestattet waren. Es hatte solide Reifen, die auf fast jedem Untergrund weich und sicher liefen. Das strahlende Frühsommerwetter machte ihn sofort munter. Keine Wolke am Himmel und eine Temperatur, die alle Rekorde schlug. Rasch lief er ins Haus zurück, zog Shorts und Sandalen an.

      Als er auf stramm aufgepumpten Reifen den kurvigen Kiesweg hinabrollte und genießerisch die süßlich-herben Düfte der Weiden und des Waldes einsog, gewann er seine alte Zuversicht zurück. Vielleicht war die Katastrophe doch noch abzuwenden, wenn er einen kühlen Kopf bewahrte. Er hatte riesiges Glück, dass Roffe mit den Ermittlungen betraut worden war. Roffe war ein verlässlicher Freund, der wusste, wie wichtig es war, Katharina aus der Sache herauszuhalten. Seinen schlechten Nachrichten sah er gefasst entgegen. Damit hatte er gerechnet. Wenn nur Katharina nichts zu Ohren kam.

      Als er auf der Höhe von Knigarp angelangt war, wurde seine Atmung automatisch flacher. Er trat kräftig in die Pedalen, um möglichst schnell die Schweineställe mit ihren penetranten und wenig balsamischen Gerüchen hinter sich zu lassen.

      Er benötigte ungefähr eine Viertelstunde, um nach Äsperöd zu radeln. Eine Viertelstunde, die er genoss. Wie merkwürdig, dass er das nicht öfter tat. Merkwürdig überhaupt, dass er nicht öfter das Fahrrad benutzte.

      Allerdings suchte er Astrid Enokssons Dorfladen nicht ohne schlechtes Gewissen auf. Er hatte sich seit Monaten dort nicht mehr blicken lassen. Bis vor ein paar Jahren hatten Katharina und er dort regelmäßig eingekauft, durchdrungen von der Überzeugung, wie wichtig es war, einen kleinen, ländlichen Tante-Emma-Laden zu unterstützen. Doch schließlich waren auch sie der Bequemlichkeit erlegen, ihre Besorgungen in der Stadt zu erledigen, wo es eine größere Auswahl gab und die Preise oft niedriger waren. Für Katharina ließ es sich gut einrichten, nach Feierabend in der Stadt einzukaufen und mehrmals in der Woche mit einer größeren Wagenladung nach Hause zu kommen. Außerdem lag das Dorf in der entgegengesetzten Richtung. Dorthin gelangten sie ohnehin selten, und so kam es, dass er Astrid Enoksson nur mehr mit einem Besuch beehrte, wenn er zufällig entdeckte, dass er keinen Tabak mehr hatte oder die Milchvorräte erschöpft waren.

      Er lehnte sein Fahrrad neben dem Laden an die Hauswand und überlegte, ob er es abschließen sollte, obwohl weit und breit kein Mensch zu sehen war. Der Ort machte wie üblich einen nahezu


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