Der leiseste Verdacht - Schweden-Krimi. Helena Brink

Der leiseste Verdacht - Schweden-Krimi - Helena Brink


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erstreckten sich dichte Buchenwälder, und im Frühling, wenn die Wälder zum Leben erwachten, lag ein hellgrüner Schimmer über dem weiten Tal. Die Aussicht war zu Recht in der gesamten Umgebung berühmt.

      Katharina hielt neben dem Briefkasten, kurbelte die Scheibe hinunter und angelte sich mit gestrecktem Arm die Post, ohne aus dem Wagen zu steigen. Dann fuhr sie die letzten fünfhundert Meter, die zwischen Weiden und Laubbäumen hindurchführten, zu ihrem Haus.

      Nachdem sie das Eingangstor durchfahren hatte, stellte sie den Motor aus und löste den Gurt.

      Sie gab ihrem Mann einen sanften Schubs.

      »Raus mit dir. Im Kofferraum ist eine Kiste. Die kannst du mit reinnehmen.«

      Er wand sich mühsam aus dem Wagen und machte sich an der Kofferraumklappe zu schaffen. Katharina schloss die Haustür auf.

      »Stell sie einfach in die Küche«, sagte sie. »Dann kannst du dich an deinen Herd setzen. Schenk mir ruhig auch einen Whisky ein. Ich komme gleich.«

      Trotz des sonnigen, milden Wetters zögerte PM nicht lange und entfachte ein Feuer im Kamin. Er zog zwei Sessel an den Kamin heran und füllte die Gläser mit seinem besten Whisky, während die Flammen emporloderten. Er ließ sich in einen der Sessel sinken, legte die Füße auf die vordere Kante des Kamins und seufzte wohlig auf, als er die Hitze an den Fußsohlen spürte. Als Katharina hereinkam, zeigte er auf ihr Glas, das auf dem Kaminsims stand.

      Sie nahm Platz, nippte an dem Whisky und sah ihren Mann prüfend an.

      »Geht es dir jetzt besser?«, fragte sie.

      Er blickte sie unschlüssig an. »Na ja, mir geht es so gut, wie es nach zweitägigem sinnlosem Herumirren in einer verrückten Welt eben möglich ist«, entgegnete er.

      »Was wollen wir essen?«, fragte sie.

      »Müssen wir was essen?«

      »Ich denke schon, aber ich habe heute keine Lust zu kochen. Du vermutlich auch nicht.«

      »Lass uns einfach ein paar Stullen schmieren.«

      Katharina trat sich die Schuhe von den Füßen und kuschelte sich tiefer in ihren Sessel.

      »In Ordnung. Ich mache einen Salat dazu. Aber erst mal muss ich mich ein bisschen entspannen.«

      »Was hat er dann gemacht?«, fragte PM.

      »Wer?«

      »Nygren, nachdem Nisse ihm gezeigt hat, was er aus der Jauchegrube gezogen hat.«

      »Vermutlich wird er umgehend die Polizei verständigt haben. Über Nygren hatte Nisse übrigens so einiges zu sagen.«

      »Und was?«

      »Er meint, Nygren interessiert sich gar nicht für die Schweine, nimmt sie nicht richtig ernst, und das kann Nisse einfach nicht nachvollziehen. Außerdem fährt Nygren immer wieder für ein paar Tage weg, ohne jemandem zu sagen, wo er erreichbar ist. Er gibt seinen Angestellten keine klaren Anweisungen. Schon ein paar Mal ist es zu Missverständnissen bei den Lieferungen für die Schlachterei gekommen. Dass er sich mit den praktischen Aspekten der Schweinezucht nicht auskennt, macht Nisse nichts aus, denn in dieser Hinsicht gibt es sowieso niemanden, der ihm das Wasser reichen kann. Aber dass Nygren nicht einmal versucht, finanziell das Maximale aus den Schweinen herauszuholen, kommt Nisse verdächtig vor.«

      PM lachte auf. »Jemand, der die Schweine so ernst nimmt wie Nisse, findet sich ja auch kein zweites Mal. Du scheinst dich zu freuen, jemanden gefunden zu haben, der deine Theorie bekräftigt - du weißt schon, die vom falschen Bauern, der sich bei Vollmond in einen Nachtclubbesucher verwandelt.«

      »Meinst du wirklich?«

      »Das sind doch ganz normale menschliche Eigenschaften. Wenn die größten Vorwürfe darin bestehen, dass er nichts von Schweinen und vom Geldverdienen versteht, dann ist Nisse ein alter Querulant.«

      »Natürlich ist er ein Querulant, das ist er schon immer gewesen, aber das ändert nichts daran, dass Nygren ein undurchsichtiger Typ ist. Ich frage mich, warum er sich ausgerechnet für die Schweinezucht entschieden hat, wenn er offenbar nichts davon versteht. Außerdem mag ich seinen Hund nicht. Nisse sagt, er sei lebensgefährlich. Und dann ist da noch die Sache mit Marco.«

      »Ich gebe zu, dass man dem Köter nicht trauen kann, aber was ist mit Marco?«

      »Du weißt doch, dass Nisse vor Wut schäumt, wenn auch nur die Rede von Marco ist. Eigentlich merkwürdig, denn Marcos Charme erliegt doch fast jeder. Fragt sich nur, warum er als Vorarbeiter eingestellt wurde. Er besitzt keinerlei Ausbildung, die irgendwas mit der Landwirtschaft zu tun hätte. Nisse zufolge hatte er noch nie ein lebendes Schwein gesehen, ehe er hierher kam. Und ausgerechnet er wird von Nygren mit der Gesamtverantwortung für den Hof betraut. Ist doch kein Wunder, dass Nisse sich darüber aufregt. Er hat mit Schweinen mehr als vierzig Jahre Erfahrung, und da kommt plötzlich so ein junger Schnösel daher und will ihm vorschreiben, was er zu tun hat.«

      »Ich glaube gar nicht, dass Marco so jung ist. Ich denke, er ist über fünfunddreißig. Außerdem macht er einen energischen und intelligenten Eindruck. Er wird sicher schnell dazulernen. Nisse ist schon in Ordnung, aber mit Marco kann man viel besser reden.«

      Katharina lachte. »Außerdem sieht er viel besser aus.«

      PM sah seine Frau forschend an. »Du scheinst eine Schwäche für Marco zu haben.«

      »Ist schon ein ziemlich attraktiver Kerl«, sagte sie. »Gib zu, dass er Reklame für Zahnpasta, Haarshampoo oder exklusive Krawatten machen könnte.«

      »Zugegeben, aber was kann er schon dafür? Jedenfalls ist es praktisch, einen Vorarbeiter zu haben, der auf dem Hof wohnt, im Gegensatz zu Nisse. Was hat Marco eigentlich gemacht, bevor er hierher kam?«

      »Er hat mit Annika in Stockholm gewohnt und war Fernfahrer. Ist für irgendeine Spedition durch ganz Europa gefahren. Muss eine ziemlich anstrengende Zeit gewesen sein. Schließlich hatte er keine Lust mehr und wollte auf dem Land wohnen. Im Gegensatz zu Annika, die am liebsten nach Stockholm zurückziehen würde.«

      PM nahm die Kaminzange und rückte die Holzscheite zurecht. Seine Gedanken kreisten erneut um das Gespräch mit Roffe, und er spürte, wie die Unruhe wieder von ihm Besitz ergriff.

      »Aha«, sagte er geistesabwesend.

      »Ich kann das gut verstehen«, fuhr Katharina fort. »Sie gehört einfach nicht auf einen Bauernhof. Sieh sie doch an, wie sie mit engem Rock und hochhackigen Schuhen hinter Marco her stöckelt, wenn er die Schweine füttert. Die Dinge, auf die man normalerweise Wert legt, wenn man auf dem Land lebt, interessieren sie alle nicht. Was ist los mit dir? Du hörst ja gar nicht zu.«

      PM zuckte zusammen.

      »Entschuldige, fast wäre ich eingeschlafen. Was hast du gesagt? Ach, natürlich, Annika. Was interessiert sie denn?«

      »Sie scheint nur Augen für Marco zu haben. Sie vergöttert ihn regelrecht. Natürlich hat sie das nicht gesagt, aber man sieht es ihr an. Ich glaube, sie würde mit ihm auch auf einer Müllhalde wohnen. Sie muss ziemlich einsam sein. Vielleicht sollte ich mal mit ihr Kaffee trinken, oder meinst du, wir sollten sie lieber zusammen zum Essen einladen?«

      »Ja ...?«

      Katharina beugte sich vor und klopfte ihm an die Stirn.

      »Wo bist du nur mit deinen Gedanken?«

      PM stellte sein leeres Glas auf den Kaminsims. Der Whisky hatte seine Fantasie beflügelt. Er ließ sich erschöpft in den Sessel zurücksinken und warf seiner Frau einen unsicheren Blick zu.

      »Glaubst du, ich könnte einen Menschen erschlagen?«

      Sie sah ihn forschend an, streckte die Beine aus und legte die Füße in seinen Schoß.

      »Was für eine seltsame Frage. Ich weiß es nicht. Aber ich halte es für sehr unwahrscheinlich. Eigentlich kannst du doch keiner Fliege was zu Leide tun. Warum?«

      »Alle kennen doch meine Wutausbrüche.«


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