Betrayal - Stirb für mich. Fenja Wächter
»Spencer, bitte, du siehst doch, dass er eindeutig noch zu viel Luft zum Sprechen hat.«
»Nein, bitte!«, stieß Reed aus, stemmte sich mit der Kraft der Verzweiflung gegen den Leibwächter hinter sich, zwang ihn, minimal nachzugeben.
Es rettete ihn nicht vor dem Faustschlag ins Gesicht. Reeds Sinne verabschiedeten sich. Er sackte zusammen, schüttelte den Kopf, um die Benommenheit loszuwerden. Blut füllte seinen Mund. Ein weiterer Hieb in den Bauch und er spuckte es aus. Da war keine Kraft mehr, die Muskeln anzuspannen und die Härte zumindest abzumildern. Weitere Schläge folgten, bis er nicht einmal mehr stehen konnte.
Der Kerl hinter Reed ließ los und er fiel, prallte hart auf den Boden, rang mit den Schmerzen im Brustkorb und um Atem. Immer wieder verschwamm sein Blick, klärte sich wieder. Die wandelnden Muskelberge, die ihn umstellten, rührten sich nicht, ebenso wenig wie Butcher.
»Ich habe mir Mühe mit dir gegeben, Reed. Das habe ich wirklich. Aber wenn ich die Anweisung gebe ›Hol mein Geld‹, dann meine ich nicht ein Viertel davon oder die Hälfte. Dann will ich alles«, sagte Butcher gelassen. »Weißt du, was ich normalerweise mit Menschen mache, die mich enttäuschen?«
Ein Zittern überfiel Reed, dass selbst seine Zähne aufeinander klapperten. Er presste sie zusammen, versuchte Worte zu finden, um das Unausweichliche abzuwenden. Kein einziger Ton kam über seine Lippen und kalte Panik trieb ihm Tränen in die Augen.
»Dein Glück, dass du dich von Lance vögeln lässt.« Elegant richtete sich Butcher auf, rückte sein Jackett zurecht. »Erschießt ihn und beseitigt die Sauerei.«
Reed wollte nicht sterben. Nicht jetzt und vor allem nicht so beiläufig wie Müll, der entsorgt wurde. Doch es gab keinen Ausweg, nur eine andere Möglichkeit, sich Zeit zu erkaufen.
Butcher hatte sich bereits abgewandt und Spencer war vor Reed getreten, lud seine Waffe durch.
»Das Spiel!«, stieß Reed krächzend hervor und verzog gequält das Gesicht.
Spencer zielte auf Reed, schoss jedoch nicht, sondern wartete einen abermaligen Befehl ab. Strenggenommen, verstieß er damit ebenfalls gegen Butchers Anweisung, aber jeder in diesem Raum wusste um dessen Leidenschaft für sein neu entdecktes Hobby.
Tatsächlich wandte Butcher sich wieder um, kam zurück und kniete sogar neben Reed nieder. Sein sonst angedeutetes Lächeln bildete nun Grübchen an seinen Wangen. »Was ist damit?«
»Nehme … teil …« Reeds Stimme bebte. Jeder Atemzug war eine Qual und jedes Wort ließ die Hölle in seinem Oberkörper entflammen.
»Du?« Butcher lachte und in seinem aufmerksamen Blick schlich sich etwas Lauerndes.
Reed war auf dem richtigen Weg. Er konnte das hier überleben!
»Was sollte ich davon haben?«
Sie sahen sich an und Reed wusste, was Butcher wollte. Wen er in seinem Spiel auf Leben und Tod kämpfen sehen wollte.
»Lance.« Es war erschreckend, wie leicht Reed der Name seines Liebhabers über die aufgeplatzten Lippen kam, um seine eigene Haut zu retten.
»Du meldest dich und ihn also freiwillig an?«, fragte Butcher.
»Ja.«
»In Rücksichtnahme auf deinen derzeitigen Zustand: Dir ist klar, dass nur ein Teilnehmer und damit auch nur einer von euch beiden das Spiel lebend verlassen kann?«
Butchers breites Grinsen in Verbindung mit dem gierigen Funkeln in seinen Augen, war eine hässliche Fratze des Todes. Und wenn sich im nächsten Moment seine Haut rot verfärbt hätte oder ihm Hörner gewachsen wären, es hätte Reed nicht mehr gewundert.
Er war im Begriff, einen Pakt mit dem Teufel zu schließen, aber verdammt, er war nicht dazu bereit, für seinen Liebhaber draufzugehen.
»Ja!«
Kapitel 1
Das Ende der Spätschicht und das übliche Gewusel in der Umkleide. Normalerweise mochte Joshua es. Alles war so lebendig und er mitten drin, gehörte unweigerlich dazu. Nur heute Abend konnte er dem nichts abgewinnen, legte seine Straßenkleidung aus dem Spind auf die Bank und verstaute Uniform samt Dienstwaffe in den Fächern.
Ein Arm schlang sich um seine Schultern, zog ihn an eine nackte, haarige Männerbrust. »Erde an Josh, hallo? Jemand zu Hause?« Rafael tauchte neben ihm auf, knuffte ihn. Sein Dienstpartner strahlte den Charme aus, der Latinos nachgesagt wurde und dem sich Joshua sonst nur schwer entziehen konnte. Normalerweise.
»Was gibt’s?«
»Du bist in den letzten Stunden immer ruhiger geworden und aktuell nicht mehr wirklich anwesend.«
Joshua zuckte mit den Schultern, schüttelte ihn dabei ab und machte sich daran, seine Sachen anzuziehen.
Rafael kniff die Augen zusammen. »Alles in Ordnung?«
Natürlich entging ihm nicht, dass Joshua nicht wie üblich erst duschte, quatschte und die Schicht ausklingen ließ, um runterzukommen. »Alles bestens.«
»Ist wieder was mit deinem Bruder? Brauchst du Hilfe?«
Sein Dienstpartner ließ nicht locker und es war vermutlich zum Scheitern verurteilt, ihm weiterhin etwas vorzumachen. »Beziehungsprobleme«, nuschelte Joshua, blieb bewusst vage und wich dem musternden Blick aus.
»Verstehe.«
Im hinteren Teil brach Gelächter aus. Unweigerlich zuckte Joshua zusammen, schielte an Rafael vorbei. Doch die Aufmerksamkeit von Jason und zwei weiteren Kollegen galt nicht ihm, denn sie eilten unter Albereien zu den Duschen.
»Na, dann lass deine Süße nicht zu lange warten«, sagte Rafael, klopfte Joshua auf den Rücken und zog von dannen.
Seine Süße …
Durch das Wasserrauschen erklangen Jasons lautstarke Anekdoten, was für ein Held er war, übertönten wie üblich den Rest.
Joshua seufzte gequält.
»So schlimm?«
Er fuhr herum. »Shit, musst du dich so anschleichen?«
Stephen lachte, schloss den Spind neben Joshuas auf. »Ich sag’s dir, sobald man sie heiratet, werden Frauen zu Furien. Das ist nun mal so.«
Hätte Joshua doch einfach nur den Mund gehalten! »Mhm.« Er setzte sich auf die Bank und beeilte sich, die Schuhe anzuziehen, um hier endlich wegzukommen.
Seine Rechnung hatte er ohne Stephen gemacht, der sich gerade auszog. »Wusste gar nicht, dass du schon verheiratet bist.«
»Bin ich nicht.«
Stephen hielt in der Bewegung inne. »Aber ihr wohnt zusammen?«
»Wird das jetzt ein Verhör?«
»Sorry, ich dachte nur wegen deinen Eltern. Die sind doch so extrem konservativ unterwegs.«
Joshua öffnete den Mund, brach ab. Energisch stand er auf. »Sie wissen es nicht, okay?«
Beschwichtigend hob Stephen die Hände. »Schon gut, krieg dich wieder ein.«
Mit einem Schnauben schnappte Joshua seine Jacke und ging mit der Vorahnung, dass dieses Thema für seine Kollegen noch nicht vom Tisch sein würde.
Eine Stunde später stand Joshua vor seiner Wohnungstür, hielt den Schlüssel in der Hand und konnte sich nicht überwinden, aufzuschließen. Nicht zum ersten Mal fragte er sich, wer er eigentlich war. Es gab nur eine klare Antwort darauf: Polizist. Sein restliches Leben war eher ein befremdlicher Traum.
Das Licht im Treppenhaus erlosch und er fand sich in Dunkelheit wieder, die ihn vor der Welt verbarg. Er hob die Hand, tastete nach dem Knauf und dem Schlüsselloch. Möglichst leise schloss er auf.
Im Inneren erwartete ihn die gleiche Finsternis. Er schaltete das Licht im Flur an. Die Garderobe verwaist und auch kein