Betrayal - Stirb für mich. Fenja Wächter
beschleunigte sich. »Bennett?«
Zielstrebig ging er zu dessen Schlafzimmer, fand ein ordentlich gemachtes Bett vor. Er riss die Schranktüren auf. Leere.
Benommen taumelte er zurück, stieß gegen das Bett und sackte darauf nieder. Sein Mitbewohner war fort. Er sollte erleichtert sein, weil das viele seiner Probleme löste. Aber er war es nicht. Bennett war abgehauen, hatte ihm nicht einmal eine Nachricht hinterlassen. Stumm und heimlich, während Joshuas Schicht. Er hatte es geahnt. Es war so ein flaues Gefühl im Magen gewesen, als er mittags gegangen war. Bennett hatte genau hier an der gleichen Stelle gesessen. Sein Blick …
Joshua schluckte hart, angelte in seiner Hosentasche nach seinem Handy und ging seine Kontakte durch, bis er auf Bennetts Namen mit Foto stieß. Seine goldgelockten Haare, die ihm wirr in die Stirn fielen. Vom Display aus strahlte er Joshua an. Dieses Funkeln in seinen blauen Augen, das Joshua schon lange nicht mehr erlebt hatte. Sein Atem zitterte, als er Luft holte und auf Anrufen ging.
Es klingelte. Unzählige Male.
Er schloss seine Lider, rieb seine brennenden Augen. »Geh dran! Das bist du mir schuldig!«
Die Mailbox sprang an und er legte auf. Schmerzen breiteten sich in seiner Brust aus. Er vergrub das Gesicht in seiner Hand, klammerte sich mit der anderen am Handy fest. Es gab keinen Grund, traurig oder enttäuscht zu sein. Ihr Zusammenleben war von vornherein begrenzt gewesen. Bennetts Vater, ein hochkarätiger Anwalt, hatte ihn rausgeworfen und er hatte eine vorübergehende Unterkunft gebraucht. Dabei hätte es bleiben sollen. Eine WG, keine Beziehung.
Joshua ließ die Hand sinken, schüttelte den Kopf. Warum hatte er sich überhaupt darauf eingelassen? Warum hatte ihn Bennetts Lachen so berührt? Und warum fühlte er sich jetzt so schrecklich einsam und verlassen? Bennett war ein Mann!
Fröhlich, unbeschwert, hingebungsvoll und schutzbedürftig. Er hätte so nicht sein und diese Gefühle in ihm wecken dürfen!
Sein Handy vibrierte, noch ehe der erste Ton erklang. Bennett strahlte ihn wieder vom Display an und er konnte nicht anders, nahm ab. »Hey«, sagte er leise.
»Hi.« Das Knacksen der Leitung füllte die Stille zwischen ihnen.
In seinem Kopf herrschte die gleiche Leere wie in seinem Inneren und trotzdem versuchten seine Lippen, die richtigen Worte zu formen. Am Ende kam ein lächerlich gehauchtes »Warum?« hervor. Er sollte ihn nicht vermissen, sich nicht nach ihm sehnen. Doch er tat es.
»Das weißt du!«
Bennett hatte ihm vorgeworfen, feige zu sein, weil er nicht zu ihrer Beziehung stand. Dabei ignorierte er gekonnt, worum es Joshua bei der Sache ging. »Joshi, mir ist das echt nicht leichtgefallen. Ich hab dich sehr gerne. Wirklich.« Bennetts Stimme bebte. »Aber ich habe dich so oft darum gebeten, mir wenigstens ein klein wenig entgegen–« Er brach erstickt ab.
»Es ist für uns beide sicherer so«, stieß Joshua hervor und fühlte sich jämmerlich.
Bennett lachte auf. Es klang gequält. »Das hier ist New York, Joshi, und nicht Idaho! Du suchst eine Sicherheit, die es nicht gibt. Für niemanden. Und ich will mich nicht mein ganzes Leben lang verstecken. Verstehst du?«
»Das hat nichts mit ›nicht verstehen‹ zu tun. Glaub mir, es sind die Menschen, von denen du es am wenigsten erwar–«
»Nein! Ich weiß nicht, was du erlebt hast. Du sprichst darüber ja nie und für mich war es jetzt an der Zeit, die Konsequenzen daraus zu ziehen. Ich wünsche dir wirklich vom Herzen jemanden, der damit klarkommt. Aber mich macht das kaputt.« Hörbar atmete Bennett durch. »Leb wohl, Joshi.«
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Chase rannte, hetzte zwischen den Bäumen und blutbesudelten Körpern hindurch, ohne sich von der Stelle zu bewegen. Er würde es nicht rechtzeitig schaffen. Er schaffte es nie.
Die Toten starrten ihn mit ihren Fratzen an und kreisten ihn ein. Chase drehte sich um sich herum, suchte einen Ausweg. Es gab keinen. Nur ein vertrautes Gesicht hinter den Angreifern, umgeben von Schatten, die sich regten und nach ihm griffen. Er sollte nicht hier sein.
›Lauf!‹, brüllte Chase immer wieder, bis seine Lungen brannten.
Die geliebte Gestalt rührte sich nicht. Ihre Lippen formten ein Wort und ohne dass ein Ton entstand, hörte Chase einem Urteil gleich seinen Namen. Die Schatten verschlangen die Toten und streckten auch nach Chase ihre Klauen aus, berührte seine Brust. Sie brachen durch seine Rippen und raubten ihm den Atem. Chase schrak aus dem Traum auf und zerteilte die Luft mit einem Hieb. Sein Blick glitt umher, suchte nach den Angreifern. Aber hier war niemand. Nur er. Verschwitzt und einsam inmitten seines Bettes. Mit zittriger Hand fasste er nach seiner linken Brust, unter der schmerzend sein Herz tobte.
Einundzwanzig Jahre war es bereits her und trotzdem ließen ihm die Geister der Toten keine Ruhe. Er hatte geglaubt, dass es im Laufe der Zeit erträglicher werden würde … Doch noch immer wünschte er sich an jenen Tag zurück. Wünschte sich nur einen Versuch, es ungeschehen zu machen.
Er sackte zurück auf das Bett, starrte an die Zimmerdecke, während das Zittern seiner Muskeln seinen Körper gepackt hielt. Ihm blieb nur abzuwarten, bis es von sich aus verschwand.
Die Dunkelheit der Nacht verflüchtigte sich. Schwarz wurde zu Grau und wechselte in Verbindung mit der weißen Tapete zu einem Blauton. Sein ebenmäßiger Atem füllte die Stille in seinem Apartment. Aufstehen, duschen, anziehen, Kaffee. Das sollte er tun. Das tat er jeden Morgen. Nur selten war Chase so verwegen, die Reihenfolge über den Haufen zu werfen. Aber selbst dafür müsste er zunächst die erste Hürde überwinden und die war immer gleich.
Chase verzog das Gesicht, wälzte sich an die Bettkante. Schwerfällig sanken seine Beine aus dem Bett. Er setzte sich auf, stützte sich mit den Unterarmen auf seine Oberschenkel und strich sich fahrig durch die Haare.
Ein verdammter Versuch. Einer langte vollkommen …
Er würde ihn nie mehr bekommen.
Das Bett rief ihn, sich wieder hinzulegen und die Augen zu schließen. Die Welt ihren Lauf nehmen zu lassen ohne Chase. Jede einzelne Faser seines Körpers war erfüllt mit Schwere, die ihn zwingen wollte, zu erstarren. Mechanisch stand Chase auf, überwand die erste Hürde eines weiteren Tags.
Nur mit Boxershorts bekleidet schlurfte er aus dem Schlafzimmer zur Kaffeemaschine, ignorierte das unterschwellige Stechen in seinem rechten Knie. Er angelte eine Tasse aus dem Schrank, stellte sie unter die Ausgabe und betätigte den Knopf. Das Mahlwerk veranstaltete wie jeden Morgen ein ohrenbetäubendes Massaker an den Bohnen, während Chase sich auf der Arbeitsplatte abstützte und wartete, bis der heiße Aufguss endlich seine Tasse füllte. Beiläufig nahm er die beißende Kälte der Fliesen in seinen Füßen wahr, wanderte samt Kaffee zur Fensterfront.
Sein Apartment befand sich unmittelbar unter Butchers Penthaus. Chase hatte die Wahl gehabt: Entweder eine unverbaute Aussicht über den Central Park oder auf die vollgestopften Straßen Manhattans. Die Entscheidung war ihm nach den Erlebnissen in Kanada nicht schwergefallen. Er hasste Ansammlungen von Bäumen. Stattdessen beobachtete er viel lieber das hektische Gewusel der Menschen weit unter sich. Wie sie durch die Straßen irrten und krampfhaft versuchten, etwas zu erreichen, von dem sie nicht ahnten, wie schnell es ihnen wieder entrissen werden konnte. Chase war einer von ihnen gewesen. Vor einundzwanzig Jahren. Schwer lehnte er mit der Schulter an der Laibung. Sein Blick glitt über den Wald an kalten Hochhäusern hin zum Hudson River, versank darin, während er seinen Kaffee trank.
Frisch geduscht und noch genauso motivationslos betrat Chase das Penthaus, passierte die Security und nahm beiläufig deren Bemerkung zur Kenntnis, dass er Butcher im Büro antreffen würde. Hier protzten selbst die Flure, wetteiferten mit den Räumen. Eine Abstimmung aus Weiß und Gold, unterstrichen mit ausgewählten Gemälden und wenn sie nicht von Lampen in Szene gesetzt wurden, dann vom Tageslicht. Alles strahlte förmlich aus, wie wunderbar und luxuriös das Leben war. Chase könnte einfach nur kotzen.
Ohne anzuklopfen, öffnete er die Tür.
»Es ist fad. Es ist langweilig«,