Wie Österreich Weltmeister wurde. Ulrich Hesse-Lichtenberger

Wie Österreich Weltmeister wurde - Ulrich Hesse-Lichtenberger


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Rico. Am 23. Januar gewannen die Puerto Ricaner mit 1:0 gegen Barbados. Zwei Tage später unterlagen sie Grenada mit 0:1. Schon hier kommen die eigenwilligen Regeln des Wettbewerbs ins Spiel, denn dieses Tor fiel in der Verlängerung, zählte also doppelt – womit Puerto Rico ein Torverhältnis von 1:2, Grenada eines von 2:0 aufwies.

      Am 27. Januar trafen nun Barbados und Grenada im abschließenden Spiel aufeinander. Barbados konnte noch Erster werden, wenn die Mannschaft mit zwei Toren Unterschied siegte; Grenada reichte eine knappe Niederlage zum Weiterkommen. Barbados ging rasch 2:0 in Führung, aber sieben Minuten vor dem Ende gelang Grenada das wichtige Anschlusstor. In den Reihen der Akteure aus Barbados machte sich nun nicht nur Verzweiflung breit – sondern vor allem große Verwirrung. Würde man in nur sieben Minuten noch das 3:1 schaffen? Oder … Oder wäre es nicht besser, per Eigentor das 2:2 zu schießen, das Spiel in eine 30-minütige Verlängerung zu schicken und auf ein „Golden Goal“ zu hoffen, das dann ja praktisch einen Endstand von 4:2 bedeuten würde?

      Als Grenada nun mitbekam, was das Team von Barbados plante, war man in der misslichen Lage, gleich beide Tore verteidigen zu müssen. Das gelang allerdings nur wenige Minuten lang, dann schaffte Barbados ein absichtliches Eigentor zum 2:2. Damit aber noch nicht genug … Während nämlich die Spieler nun zum Anstoß gen Mittelkreis trotteten, ging dem Team aus Grenada auf, dass die bizarre Situation nach dem biblischen Motto „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ verlangte. Eine 2:3-Niederlage hätte der Mannschaft ja gereicht und wäre besser gewesen als eine Verlängerung. Mit anderen Worten: Jetzt musste Grenada versuchen, ein Eigentor zu schießen!

      Was zu dem Szenario führte, dass es nun die Fußballer aus Barbados waren, die in den letzten Sekunden beide Tore – auch das von Grenada – gegen die Fußballer aus Grenada verteidigten. Sie taten das mit großem Erfolg, denn Barbados rettete das Spiel nicht bloß in die Verlängerung, sondern schoss in der 94. Minute tatsächlich das entscheidende „Golden Goal“ (diesmal ins richtige Tor) und gewann 3:2, also 4:2. (In der Zwischenrunde hielt sich Barbados achtbar, schied aber nach zwei Unentschieden aus, weil man die dritte Partie gegen den späteren Turniersieger Trinidad/Tobago 0:2 verlor. )

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      Eines der ungewöhnlichsten Elfmeterschießen im internationalen Fußball fand am 3. November 1971 in Lissabon statt. Im Achtelfinale des Europapokals der Pokalsieger traf an diesem Abend Gastgeber Sporting auf die Glasgow Rangers. Für die Schotten war dies eine ganz besondere Partie: In Lissabon hatte nämlich vier Jahre zuvor Lokalrivale Celtic den Meistercup gewonnen, außerdem spielte Sporting – wie Celtic – stets in grün-weiß gestreiften Trikots. Dermaßen angespornt, lieferte Rangers den Portugiesen ein großes Match und unterlag erst durch einen späten Treffer in der Verlängerung mit 3:4. Der Gesamtstand lautete somit 6:6, woraufhin Schiedsrichter Laurens van Ravens aus den Niederlanden die Teams ins Elfmeterschießen beorderte.

      Das wurde für die Rangers zu einer äußerst peinlichen Angelegenheit. Sandy Jardine, Colin Stein und Tommy McLean scheiterten alle an Sportings Torwart Damas. Als Dave Smith als vierter Schütze antrat, führte Lissabon bereits 2:0, daher musste der Schotte unbedingt verwandeln. Sein Schuss traf den Pfosten, doch der Schiedsrichter ließ den Strafstoß wiederholen. Beim zweiten Versuch brachte Smith den Ball nicht einmal mehr in die Nähe des Tores und schlich entnervt vom Feld, während die Gastgeber jubelten. Dass die Rangers mit fünf Schüssen vom Elfmeterpunkt nicht ein einziges Tor erzielten, ist sicher ungewöhnlich. Die wahre Pointe des Geschehens ist aber, dass Glasgow in den nächsten Runden des Wettbewerbs den AC Turin und Bayern München ausschaltete, bevor der Klub sechs Monate nach dem Drama von Lissabon schließlich gegen Dynamo Moskau den Pokal holte! Wie konnte das passieren?

      Nun, aufmerksamen Lesern wird nicht entgangen sein, dass Sporting 4:3 gewann, der Gesamtstand nach Hin- und Rückspiel aber mit 6:6 angegeben wurde. Daraus ergibt sich, dass die Rangers in ihrem Heimspiel mit 3:2 gesiegt hatten, was wiederum bedeutet, dass sie gar nicht ins Elfmeterschießen gemusst hätten, weil sie nach der Auswärtstoreregel die nächste Runde erreicht hatten. Leider war dies Herrn van Ravens entgangen. Zu seiner Verteidigung muss gesagt werden, dass die Auswärtstoreregelung in den späten sechziger und frühen siebziger Jahren oft für Verwirrung sorgte, weil sie nicht einheitlich galt. Schon 1965 wurde sie etwa im Cup der Pokalsieger angewandt – im Meisterpokal aber erst zwei Jahre später. Und als man die Regel 1969 auf alle europäischen Wettbewerbe ausdehnte, legte die UEFA fest, dass Auswärtstore, die während der Verlängerung geschossen wurden, nicht doppelt gezählt werden sollten! Das sorgte noch in derselben Saison für Chaos: Im Halbfinale des Pokalsiegercups traf AS Rom auf Gornik Zabrze. In Italien trennten sich die Teams 1:1, und so hieß es auch nach 90 Minuten des Rückspiels in Polen. In der Verlängerung trafen beide Mannschaften je einmal, woraufhin die Römer den Einzug ins Finale feierten, denn beim 2:2 hatten sie ja nun zwei Auswärtstore geschossen. Erst in der Nacht erfuhr der Klub, dass der Treffer aus der Verlängerung nicht in die Rechnung einfließen konnte und man sich zu einem Entscheidungsspiel aufzumachen hatte.

      Die Saison 1971/72 war dann die erste, in der auch Auswärtstore aus der Verlängerung bei Gleichstand doppelt zählten – und das war dem guten van Ravens kurzfristig entfallen. Selbst viele Rangers-Spieler waren sich nicht bewusst, dass das Elfmeterschießen völlig unnötig war. Colin Stein versuchte zwar, das seinen Kollegen zu erklären, aber Peter McCloy sagte später: „Ich dachte zwar, dass Stein Recht haben könnte, aber ich meinte auch, wir müssten da jetzt eben durch.“ Noch in derselben Nacht informierte der UEFA-Delegierte Andres Ramirez die beiden Klubs, dass van Ravens einen Fehler gemacht hatte und er dies der UEFA melden würde. Das Elfmeterschießen wurde annulliert, die Rangers standen im Viertelfinale.

      Am 8. November 1975 spielte Werder Bremen daheim gegen Hannover 96. Die langweilige Partie endete torlos, und einer der Beteiligten schien schon früh geahnt zu haben, dass man getrost auf einen Teil der Spieldauer verzichten konnte: Nach ungefähr 30 Minuten pfiff Schiedsrichter Wolf-Dieter Ahlenfelder nämlich bereits zur Pause. Erst nachdem sein Linienrichter ihn überzeugt hatte, dass Halbzeiten üblicherweise eine Viertelstunde länger dauern, ließ sich der Referee dazu herab, noch bis zur 45. Minute weiterspielen zu lassen. (Einige Hannoveraner Spieler hatten sich schon zuvor gewundert, dass Ahlenfelder einem Fotografen die Zunge herausstreckte und dabei streng aus dem Mund roch. „Ein Bier und ein Malteser zum Mittagessen sind ja wohl noch erlaubt“, verteidigte sich der Schiedsrichter später.)

      Ein Ahlenfelder’sches – also eigenwilliges – Zeitgefühl zeichnete auch den walisischen Unparteiischen Clive Thomas aus. Er leitete mal ein Jugendspiel nahe des Ortes Blaengwynfi. (Ja, den gibt es. Das Nachbardorf heißt Abergwynfi.) Jene Partie fand auf einem Platz statt, der auf einen Hügel gebaut war. Jedes Mal, wenn der Ball ins Aus ging, rollte das Spielgerät den Abhang hinab und musste erst mühsam gesucht werden. Thomas notierte sich penibel jede dieser Verzögerungen und ließ deshalb ausgiebig nachspielen – insgesamt fast 45 Minuten lang.

      Einige Jahre später allerdings beendete Thomas eine Partie äußerst pünktlich, und zwar nach 90 Minuten und exakt 3 Sekunden. Das erste Problem war nun, dass der Ball nach einer Ecke noch durch die Luft flog, als Thomas abpfiff. Das zweite Problem war, dass das Leder prompt von einem Spieler ins Tor geköpft wurde, der sich dann natürlich sehr darüber aufregte, dass der Schiedsrichter den Treffer nicht anerkennen wollte. Das dritte – und größte – Problem bestand darin, dass es sich bei diesem Spiel nicht um einen Jugendkick handelte, sondern um die Partie Schweden gegen Brasilien bei der WM 1978. Zicos Kopfball hätte den Sieg für Brasilien bedeutet, aber weil Thomas so pingelig war, endete die Begegnung 1:1 – und Brasilien landete in der schwereren Zwischenrundengruppe mit Gastgeber Argentinien.

      Ach, wird sich Zico später gedacht haben, hätte doch der Franzose Michel Vautrot dieses Spiel geleitet. Der ließ nämlich die erste Hälfte der Verlängerung im Halbfinale der WM 1990 zwischen Italien und Argentinien 23 Minuten laufen – weil er vergessen hatte, auf die Uhr zu sehen. Das kann passieren, wie Referee Leslie Mottram, ein Lehrer aus Wilsontown in Schottland, bestätigen wird. Der war mit der Leitung


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