Wie Österreich Weltmeister wurde. Ulrich Hesse-Lichtenberger
Medizinstudent kostete die Bayern 800.000 Mark – zu jener Zeit absoluter Transferrekord. „Den brauchen wir nicht“, grummelte Paul Breitner, aber da wusste er noch nicht, dass Kapellmann nicht allein kommen würde.
Für jene 800.000 Mark bekam der Klub nämlich auch Mister Pitt, einen kleinen Stoffbären. Kapellman tat kaum einen Schritt ohne Mister Pitt und unterhielt sich in der Kabine und auf Busfahrten sehr oft mit ihm – auf Deutsch und wahlweise auch auf Französisch. Eines Tages entführte ein Spieler der Bayern den Bären und legte ihn vor die Räder des Mannschaftsbusses, so dass das unschuldige Tier beim Anfahren einen grässlichen Tod gestorben wäre. Glücklicherweise entdeckte Kapellmann seinen Freund gerade noch rechtzeitig, warf sich vor den Bus und riss Mister Pitt an sich. Wie Franz Beckenbauer in seiner Autobiographie „Einer wie ich“ schreibt, beschimpfte Jupp dann seine Kollegen als „Barbaren“ und wünschte ihnen, sie mögen alle Durchfall bekommen. Kapellmann ist heute Chefarzt für Orthopädie in einer bayerischen Klinik.
Der größte Pechvogel im internationalen Profifußball ist vermutlich der Argentinier Martin Palermo. Man findet seinen Namen nur selten ohne den Zusatz „der einzige Spieler, der je drei Elfmeter in einer einzigen Partie verschoss“. Diese bemerkenswerte Leistung ist in der Tat der Anlass dafür, dass man ihn einen Pechvogel nennen muss – aber nicht die Ursache!
Doch zunächst zu den Fakten: Am 4. Juli 1999 verlor die argentinische Nationalelf bei der Copa America mit 0:3 gegen Kolumbien. Nach torlosen fünf Minuten bekam der Favorit einen Elfmeter zugesprochen, den Palermo über die Latte schoss. In der 76. Minute (es stand inzwischen 1:0 für Kolumbien), durfte es der Stürmer ein zweites Mal versuchen, aber auch dieser Schuss verfehlte das Tor. Danach trafen die Kolumbianer noch zweimal, das Spiel war somit bereits entschieden, als Argentinien in der Schlussminute einen dritten Strafstoß bekam. Palermo glaubte vermutlich, er könne sich nun ohne Nervenbelastung rehabilitieren – aber Torhüter Miguel Calero wehrte den Ball ab. (Wann immer diese denkwürdige Partie an Stammtischen diskutiert wird, vergisst man übrigens meistens, dass an jenem Tag insgesamt fünf Elfmeter verhängt wurden, von denen nur einer zum Torerfolg führte: In der 10. Minute traf Kolumbiens Cordoba vom Punkt aus; in der 47. Minute scheiterte sein Kollege Ricard an Argentiniens Torhüter Burgos.)
Palermo hatte an diesen Elfmetern böse zu knabbern. Er wurde 17 Monate lang nicht mehr für die Nationalelf nominiert, und erst als er mit zwei Toren dafür sorgte, dass die Boca Juniors den 2000er Weltpokal gegen Real Madrid holten, begnadigte man ihn. Aber es war ungerecht, Palermo so hart zu bestrafen. Denn zunächst einmal ist sein Vergehen keinesfalls einzigartig. Es haben schon einige Spieler drei Elfmeter oder sogar mehr in 90 Minuten vergeben. Der deutsche Torwart Bernd Trautmann hielt nach eigenen Angaben an Ostern 1950 vier Strafstöße im Spiel seines Klubs Manchester City beim FC Sunderland, die alle der Verteidiger Jack Stelling schoss. (Bei einem handelte es sich um eine Wiederholung.) Und ein Jahr später parierte Trautmann drei Strafstöße von William Eckersley (Blackburn Rovers).
Außerdem war nicht allein Palermo schuld am Ausscheiden der Argentinier aus der Copa America. Es stimmt, dass die Elf durch die Niederlage gegen Kolumbien den Gruppensieg verpasste und deshalb schon im Viertelfinale gegen Brasilien spielen musste. Es wird aber fast nie erwähnt, dass Argentinien in dieser Partie keinesfalls chancenlos war. In der 77. Minute, beim Stand von 2:1 für Brasilien, bekam die Elf nämlich … einen Elfmeter zugesprochen. Palermo – wer will es ihm verdenken? – winkte ab, und so trat Roberto Ayala an. Brasiliens Torhüter Dida hielt diesen vermutlich wichtigsten von all den Strafstößen, die hier erwähnt wurden.
P.S.: Falls noch jemand daran zweifelt, dass Palermo ein ausgemachter Unglücksrabe ist … Ende 2001 schoss er in der Verlängerung das Siegtor für Villareal in einem spanischen Pokalspiel gegen Levante. Nach dem Treffer rannte er zur Fankurve, wo etwa fünfzig Villareal-Anhänger ihm entgegeneilten. Unter ihrem Ansturm stürzte eine Betonmauer ein, fiel auf Palermo und brach ihm den Knöchel. Deshalb verpasste er die WM 2002.
Im englischen Pokalfinale von 1956 spielte der deutsche Torwart von Manchester City, Bernd Trautmann, die letzten siebzehn Minuten der Partie mit einem gebrochenen Halswirbel. Das dürfte allgemein bekannt sein. Weniger bekannt ist wohl, dass Trautmann erst ein paar Tage nach dem Spiel erfuhr, wie schlimm seine Verletzung wirklich war und dass er in der Zwischenzeit sogar einen Chiropraktiker aufgesucht hatte, der – in der Annahme, es handele sich um eine bloße Verrenkung – an dem Torwart gezerrt und geruckt hatte, bis dieser vor Schmerzen schrie.
Aber Trautmann hält nicht den Rekord, was das Spielen mit einer lebensgefährlichen Wirbelfraktur angeht. Diese zweifelhafte Ehre gebührt Billy Marsden von Sheffield Wednesday, der nicht nur 17, sondern gleich 42 Minuten absolvierte, in deren Verlauf er ständig von Lähmung oder sogar Tod bedroht war!
Auch in diesem Fall waren übrigens Deutsche zumindest indirekt beteiligt. Am 10. Mai 1930 spielte die englische Nationalelf in Berlin gegen Deutschland. Das war jene Partie, in der Richard Hofmann zum Volkshelden aufstieg, weil er drei Tore schoss und seiner Mannschaft zu einem sensationellen 3:3 gegen den haushohen Favoriten verhalf. Schon nach drei Minuten stieß Marsden, der erst sein drittes Länderspiel bestritt, mit einem Kollegen zusammen und bekam dessen Knie in den Rücken gerammt. (Bis heute ist nicht völlig klar, ob es sich bei dem anderen Spieler um Frederick Roy Goodall oder Ernest Blenkinsop gehandelt hat, Letzterer ebenfalls von Sheffield Wednesday.) Minutenlang wurde Marsden auf dem Spielfeld behandelt, dann rappelte er sich auf und spielte weiter. Erst zur Halbzeit wurde er aus der Partie genommen, die England mit zehn Mann beendete, weil zu jener Zeit noch keine Auswechslungen vorgesehen waren. Wie eine Röntgenuntersuchung in einem Berliner Krankenhaus später ergab, hatte sich Marsden bei der Kollision einen Halswirbel gebrochen. Er musste zwei Wochen lang in Berlin bleiben, bis er nach Hause reisen durfte. Marsden spielte nie wieder Profifußball.
Schon im November 1945, wenige Monate nach Kriegsende, nahm die Oberliga Süd ihren Spielbetrieb auf und ermittelte einen Meister. Die Umstände waren natürlich abenteuerlich, das Reisen war immer problematisch und die Spielausrüstung oft mangelhaft – Bälle stellten schließlich ein kostbares Gut dar.
Gleich in dieser ersten Nachkriegssaison kam es zu einem Skandal. Am letzten Spieltag trafen in Stuttgart der VfB (Zweiter mit 44:14 Punkten) und der 1. FC Nürnberg (Erster mit 45:13 Punkten) aufeinander. Schon nach drei Minuten wurde ein Nürnberger vom Platz gestellt, und zehn Franken unterlagen mit 0:1, was den VfB zum Meister machte. Doch die Gäste waren über die Rote Karte (und einige andere Dinge) so erbost, dass sie sich weigerten, den Stuttgarter Titelgewinn anzuerkennen. Dabei hätte sich all der Streit vermeiden lassen, wenn Nürnbergs Willy Billmann vorher etwas flinker mit der Nadel gewesen wäre …
Beim Auswärtsspiel gegen den sehr schwachen Karlsruher FV (der in dieser Saison 112 Tore in 30 Spielen kassierte) hatten die Nürnberger nämlich Probleme mit dem leichten Ball gehabt, den die Gastgeber benutzten. Da zu dieser Zeit kaum ein Verein einen Ersatzball hatte, verfiel Billmann auf die Idee, das Spielgerät zu zerstören, damit der Ball der Nürnberger in die Partie kommen würde. Um die Sabotage möglichst unauffällig zu begehen, nahm Billmann bei Einwürfen oder Freistößen vorsichtig die Sicherheitsnadel, die sein Trikot zusammenhielt, und perforierte damit den Karlsruher Ball. Die Methode war clever und erfolgreich – aber zu zeitaufwendig: Als Billmann endlich fertig und das Leder unbrauchbar war, hatten die Karlsruher schon vier Tore geschossen, der FCN verlor 1:4.
Billmann war ohnehin ein offenbar zu zurückhaltender und friedliebender Mensch. Das kostete ihn auch die Teilnahme am Endspiel um die Deutsche Meisterschaft 1948 gegen Kaiserslautern. Im letzten Ligaspiel zog er sich nämlich auf ungewöhnliche Weise einen Kieferbruch zu. „Ich wollte nur einen Streit schlichten“, erinnerte er sich, „und ein Schweinfurter hat mir den Ellbogen voll ins Gesicht gerammt. Dieser Kieferbruch war gleichzeitig