Wie Österreich Weltmeister wurde. Ulrich Hesse-Lichtenberger

Wie Österreich Weltmeister wurde - Ulrich Hesse-Lichtenberger


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(Alles innerhalb der Filmhandlung, versteht sich!)

      Wie nun sollte Hedegaard das inszenieren? Er konnte ja schlecht ein ganzes Länderspiel nachstellen, und in Gladbach hätte man es wohl auch nicht verstanden, wenn Simon-sen gesagt hätte, er müsse mal eben ein paar Tage nach Dänemark reisen, um ins Gras zu beißen. Also trat Hedegaard mit der Bitte an Simonsen heran, sich doch bei einem regulären Länderspiel tot zu stellen. (Dass er hinzufügte „Du weißt doch, wie man das im Strafraum macht“, ist nur ein ganz gemeines Gerücht.) Simonsen fand an der Idee Gefallen, und als er bei seinem nächsten Auftritt im dänischen Trikot zu einem Kopfball ansetzte, nutzte er die Gelegenheit, um danach zu Boden zu stürzen und einige Sekunden regungslos auf dem Rasen zu verharren. Hedegaard hatte auch den Reporter Svend Gehrs zur Mitarbeit bewegen können, und im Film sieht man, wie Gehrs in seiner Sprecherkabine sitzt und irritiert auf den Rasen blickt, während mehrere ebenso verwirrte Spieler um den wie leblosen Simonsen herumstehen.

      Das Pikante an dieser Episode ist, dass Simonsen seine Mutter aller Schwalben nicht etwa in einem Freundschaftsspiel auf den Rasen zauberte, sondern im WM-Qualifikationsspiel zwischen Dänemark und Polen am 1. Mai 1977. Als es einen Eckball für die Dänen gab, wollte Simonsen wohl seinen Filmauftritt schnell hinter sich bringen, lief dem Ball entgegen und flog dann abrupt so theatralisch durch die Luft, als hätte er einen Schlag – oder eben einen Schuss – in den Rücken erhalten. Allerdings war ihm etwas Entscheidendes entgangen. Mit seinem plötzlichen Antritt hatte er nämlich seinen Bewacher so überrascht, dass der ihm gar nicht folgte. Als Simonsen seinen Tod vortäuschte, stand er daher elf Meter vor dem Tor völlig frei und hätte die Flanke erreichen können. Wenn er nicht gestorben wäre. So verloren die Dänen die Partie mit 1:2 und fuhren nicht zur WM. Simonsen bekam weder einen Elfmeter noch den Oscar.

      Der Racing Club Buenos Aires ist einer der großen, legendären Vereine Südamerikas. (Eigentlich heißt er „Racing Club Avellaneda“, nach dem Schlachthofviertel von Buenos Aires, aus dem auch der bitterste Rivale des Racing Clubs kommt – Independiente.) Zwischen 1915 und 1918 gewann der Verein viermal in Folge die argentinische Meisterschaft, zwischen 1949 und 1953 sogar fünfmal. Und 1967 holte er schließlich in Montevideo (Uruguay) auch noch den Weltpokal gegen Celtic Glasgow. Aber genau an diesem glorreichen Tag begann der Niedergang des Racing Clubs. Während seine Fans nämlich den Sieg auf den Straßen von Buenos Aires feierten, brachen Anhänger von Independiente in das Stadion ihres verhassten Nachbarn ein, die berühmte „Academia“, und vergruben insgesamt sieben tote schwarze Katzen, um die Stätte mit einem Fluch zu belegen.

      Jahrelang versuchten Offizielle und Fans von Racing Club alles nur Erdenkliche, um die Tierleichen zu lokalisieren. Während sie sich so abmühten, ging es mit dem Verein immer weiter bergab. Nach der 13. (!) Meisterschaft 1966 und dem nachfolgenden Weltpokal quälte sich der Klub durch 35 lange Jahre, ohne etwas zu gewinnen – 1999 stand man sogar vor dem Bankrott. In diesem Jahr fanden sich auch 100.000 Fans in der „Academia“ ein, weil ein Priester einen Exorzismus vornahm, um den Fluch vom Stadion zu nehmen. Das Problem war nämlich, dass der Racing Club im Laufe der Jahrzehnte sechs der toten Katzen gefunden und beseitigt hatte – aber eben nur sechs.

      Anfang 2001 wurde Reinaldo Merlo neuer Chef des Klubs, und eine seiner ersten Amtshandlungen bestand darin, eine großangelegte Suche nach der siebten Katze zu starten. Und „großangelegt“ bedeutet genau das. Selbst Flächen, die irgendwann nach 1967 betoniert worden waren, wurden aufgerissen, um an das Erdreich darunter zu gelangen. Und an einer dieser Stellen, die früher einmal ein Wassergraben gewesen war, fand man tatsächlich das Skelett der letzten Katze. Der Racing Club wurde noch in derselben Saison Meister.

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      Es dürfte allgemein bekannt sein, dass die Engländer kein besonders gutes Verhältnis zum Elfmeterschießen haben. Allein in den neunziger Jahren schied die Nationalmannschaft aus gleich drei großen Turnieren auf diese Weise aus (1990, 1996 und 1998). Man könnte nun glauben, das liege daran, dass wahre Sportsleute Strafstöße per se ablehnen. Als die Regel 1891 eingeführt wurde, gab es in der Tat viele Aktive, die lauthals gegen diese Neuerung protestierten, weil sie auf der ungeheuerlichen und absurden Annahme basierte, ein Spieler würde ein Foul begehen, womöglich gar mit Absicht. Die Torhüter des berühmten Amateurklubs Corinthians lehnten sich noch lange Zeit danach bei Strafstößen gegen ihr Team an einen der Torpfosten, um dem Gegner klarzumachen, dass wahre Gentlemen mit solchen Auswüchsen nichts zu tun haben wollten.

      Der wahre Grund, aus dem Engländer aus elf Metern nicht treffen, ist aber wohl in einem Trauma zu finden, das bis heute im kollektiven Unterbewusstsein weiterleben muss. Im Jahre 1899 forderte jemand vier Spieler von Leicester Fosse (heute: City) zu einem Elfmeterschießen heraus, bei dem die Profis keine gute Figur machten. Drei von ihnen verloren sang- und klanglos, der vierte – ein gewisser William Keech – erreichte mit Ach und Krach und mit der Hilfe eines, wie die damaligen Zeitungen schrieben, „Täuschungsmanövers” ein 2:2. Das Peinliche daran war, dass es sich bei dem Gegner der Spieler um einen Zirkuselefanten handelte. William Keech gewann die Revanche ein Jahr später mit 3:2, aber da war die Moral Englands wohl schon gebrochen.

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      In der Bundesliga ist der SC Freiburg der Klub, der die meisten Probleme mit Elfmetern hat. In der Saison 1996/1997 verwandelten Spieler des SC nur vier von acht Strafstößen (davon einen erst im Nachschuss). Alle vier vergebenen Elfmeter gingen übrigens auf das Konto von Harry Decheiver; bei drei von ihnen war der Pfosten im Weg. Doch es kam noch übler für die Breisgauer: In der Spielzeit 1999/2000 führten nur drei von sieben Strafstößen zu Toren, und zweimal brauchte man auch hier einen Nachschuss. Am vorletzten Spieltag wurde die Angelegenheit vollends peinlich, als Alexander Iaschwili gar an einem Aushilfskeeper scheiterte: Kaiserslauterns Verteidiger Michael Schjönberg hatte den verletzten Uwe Gospodarek ersetzen müssen, parierte aber den Elfmeter souverän.

      Doch die Freiburger mögen sich damit trösten, dass es Vereine gibt, die noch schlechtere Erfahrungen mit Strafstößen gemacht haben. Etwa den FC Portsmouth aus England. In der Saison 1982/83 vergab der Drittligist neun Elfmeter in Folge. (Und stieg trotzdem auf!) Sechs verschiedene Spieler halfen, diese einmalige Serie aufzustellen, die erst – und sinnigerweise – während des Osterfestes riss. Allerdings muss man erwähnen, dass der Verein auch schon einmal auf legendäre Weise von der Nervenschwäche eines Gegners profitiert hatte. Das war im September 1973, damals in der 2. Liga, als Aufsteiger Notts County beim FC Portsmouth antrat. Der Gast bekam einen Elfmeter zugesprochen, den er aber vergab. Der Schiedsrichter hingegen befand, der Torwart von Portsmouth habe sich zu früh bewegt, und ordnete eine Wiederholung an. Doch auch beim zweiten Versuch traf der Schütze nicht ins Netz. Zum Glück hatte der Unparteiische den Strafstoß diesmal noch gar nicht freigegeben, und so bekam Notts County eine dritte Chance. Ein Verteidiger namens Brian Stubbs trat an und den Ball in die Wolken. Danach hatte selbst der Schiedsrichter den Glauben an ein Tor verloren, und das Spiel ging mit einem Abstoß weiter. (All diese glücklichen Fügungen nutzten Portsmouth wenig: Notts County gewann 2:1.)

      Als sich Japans Nationalelf für die WM 1998 in Frankreich qualifizierte, konnte man allenthalben hören, dass das Land darüber sehr erleichtert war, weil es doch äußerst peinlich gewesen wäre, als Co-Gastgeber des Turniers 2002 noch niemals an einer Endrunde teilgenommen zu haben. In der Tat spielten die Japaner 1998 zum ersten Mal überhaupt auf der größten Bühne des Weltfußballs. Was aber kaum jemand weiß (vermutlich nicht einmal in Japan selbst), ist, dass sie es eigentlich schon 1994 hätte schaffen sollen. Ja, müssen. Ja, eigentlich schon geschafft hatten …

      In der Qualifikation zu diesem Turnier setzte sich Japan zunächst in der Asien-Vorrunden-Gruppe F gegen die Vereinigten Arabischen Emirate und drei


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