Wie Österreich Weltmeister wurde. Ulrich Hesse-Lichtenberger

Wie Österreich Weltmeister wurde - Ulrich Hesse-Lichtenberger


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Jugoslawe Goran Curko kann kein ganz schlechter Torwart gewesen sein, sonst hätte er nicht für Offenbach, Bielefeld und Reutlingen in der 2. Bundesliga gespielt. Nur mit seinen Nerven, da schien er Probleme gehabt zu haben …

      Am 20. Oktober 2000 traf Bielefeld daheim auf Mannheim. Curko war gerade eben zum dritten Mal vom „kicker“ in die „Elf des Tages“ gewählt worden, durfte also guter Dinge sein. Doch in dieser Partie gegen Mannheim unterlief ihm ein Ausrutscher, der zwar ohne Folgen blieb, aber die hinter seinem Tor stehenden Arminia-Fans gegen den Keeper aufbrachte. Darüber regte sich Curko auf, was wiederum die Zuschauer noch mehr verärgerte und … Nun, so schaukelten sich die Emotionen eben gegenseitig hoch – bis zur 62. Minute. Da hatte Curko genug und marschierte einfach so vom Feld und in die Kabine. Bielefelds neuer Trainer Benno Möhlmann musste in aller Eile Ersatzmann Dennis Eilhoff zwischen die Pfosten schicken. Trotzdem war der Coach gewillt, Curko im Kader zu behalten, doch Bielefelds Präsidium entließ den Spieler wegen „vereinsschädigenden Verhaltens“. (Die Partie endete übrigens 0:0.)

      Knapp zwei Jahre später hatte Curko wieder Probleme mit unruhigen Fans, diesmal in Diensten des SSV Reutlingen. Im Heimspiel gegen Lübeck bekam der unsicher wirkende Keeper drei Gegentore, und die Anhänger forderten seine Auswechslung. Reutlingens Trainer Frank Wormuth sprach mit seinem Torwart und erfuhr, dass Curko bei Spielen manchmal die Konzentration verlor und an alle möglichen Dinge dachte, die nicht so richtig etwas mit Fußball zu tun hatten. Daher verfiel der Coach auf einen Kniff. Beim Spiel in Mainz am 15. September 2002 brachte Wormuth vier rote Zettel, etwas größer als eine Postkarte, an Torpfosten und Tornetz an. Reutlingen gewann 3:1, Curko war der beste Mann. „Ich war voll motiviert und konzentriert“, strahlte er später, „weil ich immer das Rot im Augenwinkel gesehen habe.“

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      Viele Fußball-Moderatoren haben es sich angewöhnt, ihr Wissen um fremde Kulturen unter Beweis zu stellen. Sie sagen dann „Roma“ zum AS Rom, „ManU“ zu Manchester United und betonen das „Zeh Eff“ in CF Barcelona, damit auch jeder merkt, dass dieser Verein, da er spanisch ist, natürlich „Club de Fútbol“ heißt und nicht etwa FC (also „Football Club“). Aber wie das so ist, wenn man ganz schlau sein will: Manchmal – wie im Falle Roms – klappt es, meistens aber nicht.

      Kaum ein Engländer sagt „ManU“, weil das wie das englischen Wort für „Menü“ klingt. Briten kennen den Klub als „Man United“ oder meistens bloß „United“. Nur wer dem Klub Böses will, der sagt „ManU“ und haucht noch einen „R“-Laut hinterher – denn „manure“ bedeutet Mist im Sinne von Dung. Wer von „ManU“ spricht, verrät sich sofort als Kontinentaleuropäer. Das aber ist ein verzeihlicher Fehler. Bei Barcelona stellt sich die Sache ganz anders dar. Zwar heißen fast alle spanischen Klubs in der Tat „CF“ (was normalerweise hinter den Vereinsnamen gesetzt wird, also: Valencia CF oder Real Madrid CF), der Klub aus Barcelona sieht sich jedoch als katalanischer oder sogar internationaler Verein, nicht als spanischer. Er wurde von einem Schweizer gegründet und stand immer auch unter englischem Einfluss, deshalb nennt er sich „Football Club“, FC Barcelona. (Ein anderer baskischer Klub, der aus Bilbao, heißt genau deshalb auch nicht „Atletico“, sondern britisch „Athletic“.)

      Ist es nun so wichtig, ob man „CF“ oder „FC“ sagt? Im Falle Barcelonas schon. Denn eine Zeitlang hieß der Klub tatsächlich „CF“. Unter Francos faschistischem Regime wurde nämlich alles Fremdartige aus den Namen der Vereine getilgt, und Barcelona musste den „Football Club“ in „Club de Fútbol“ ändern. Für die stolzen Katalanen ist also ein solch kleiner Fehler ein Verweis auf schlimme Zeiten, in denen Real Madrid hofiert und man selbst unterdrückt wurde. (In diesem Zusammenhang könnte man auch noch Internazionale Mailand erwähnen. Viele italienische Klubs nennen sich „AC“ – für „Associazione Calcio“ – oder ähnlich, Inter aber ist ein „FC“, ein „Football Club“. Und auch Inter musste für diesen englischen Einfluss unter den Faschisten büßen: Während Mussolini an der Macht war, hieß der Klub „Ambrosiana“ – nach dem Schutzpatron der Stadt, Ambrosius, dessen Namen übrigens auch die berühmte Mailänder Bibliothek trägt, die erste öffentliche Bücherei Europas.)

      Lange galt Englands FC Wimbledon als das Paradebeispiel für einen gemütlichen, sympathischen Klub. Erst 1977 gelangte der Verein vom Amateurfußball in die (professionelle) 4. Division, aber schon 1986 stieg man in die höchste Spielklasse auf und gewann zwei Jahre später sensationell den Pokal. All das zwar mit einer sehr rustikalen Spielweise (der walisische Mittelfeldmann Vinnie Jones gab 1993 in dem Video „Soccer’s Hard Men“ detaillierte Hinweise, wie man am härtesten und effektivsten foulen sollte), aber so richtig böse konnte man dem kleinen Klub nicht sein.

      Im Jahre 2002 jedoch wurde aus dem lieben FC Wimbledon der am meisten verachtete Verein in ganz England; auf vielen Webseiten wurde sein Name schon gar nicht mehr erwähnt, sondern durch den herabwürdigenden Ausdruck „Franchise FC“ ersetzt, und Fans hatte Wimbledon eigentlich überhaupt keine mehr. Das kam so: 1997 zog sich Wimbledons Besitzer Sam Hammam vom Fußball zurück und verkaufte seine Anteile an die norwegischen Geschäftsleute Kjell Rokke und Björn Gjelsten. Die machten zwei Jahre später ihren Landsmann Egil Olsen zum Trainer, mit dem Wimbledon prompt nach 14 Jahren in der obersten Klasse aus der „Premier League“ in die „First Division“ abstieg. Eines der Probleme des Klubs, sagten die Norweger, wäre, dass er kein eigenes Stadion besaß, sondern seine Heimspiele im Selhurst Park von Crystal Palace austrug. Da sich weit und breit kein Gelände finden ließ, um ein neues Stadion zu bauen, begannen die Besitzer, an einen Umzug zu denken.

      Zunächst war im Gespräch, den Verein nach Dublin (!) zu verlegen, aber dann erschien den Norwegern und dem von ihnen eingesetzten Vorsitzenden Charles Koppel die Stadt Milton Keynes passender, die etwa 80 Kilometer nördlich von London liegt. Am Anfang untersagte der Fußball-Verband einen solchen Umzug, aber im Mai 2002 wurde dem FC Wimbledon plötzlich eine Ausnahmegenehmigung zugestanden. Nun handelten die Anhänger des Klubs, die einen Umzug immer vehement abgelehnt hatten: Ein im Jahre 2000 von der unabhängigen Fan-Gruppierung WISA („Wimbledon Independent Supporters Association“) gegründeter Fonds wurde dazu genutzt, um am 30. Mai 2002 einen eigenen Verein zu gründen: den AFC Wimbledon. Am 24. Juni 2002 wurde dem neuen Klub gestattet, den Spielbetrieb in der „Combined Counties League“ aufzunehmen, einer Unterdivision der halb-professionellen „Ryman Isthmian League“, und mehr oder weniger als 7. Liga zu bezeichnen.

      Am 29. Juni meldeten sich 230 Fußballer, um für die erste Mannschaft vorzuspielen, am 10. Juli bestritt der neue Klub sein erstes Spiel. Der FC Wimbledon hatte mittlerweile Probleme bekommen, weil der Umzug nach Milton Keynes nicht so reibungslos klappte, wie man gedacht hatte. Vor allem aber, weil der Verein von den Fans boykottiert wurde – sogar von denen der Gästevereine. Am 26. Oktober 2002 spielte der kleine AFC Wimbledon in der 7. Liga gegen Cobham und gewann 4:0. Dieses Spiel sahen 3.377 Zuschauer. Drei Tage später traf der große FC Wimbledon in der 2. Liga auf Rotherham und gewann 1:0. Vor 849 Zuschauern.

      Erstaunlich viele Fußballer, die es zu Ruhm und Ehre gebracht haben, hätten auch in einer Versehrten-Elf auflaufen können. Wilfried Hannes verlor als C-Jugendlicher durch einen Tumor sein rechtes Auge, trotzdem feierte er mit Mönchengladbach Erfolge und war bei der WM 1982 im deutschen Kader. Bei seinem ersten Länderspiel, 1981 gegen Albanien, stand er übrigens nach seiner Einwechselung neben Bernard Dietz in der Abwehr. Dietz, der Europameister von 1980, machte als junger Kerl eine Ausbildung zum Schmied – und verlor dabei zwei Finger der rechten Hand. (Raymond Kopa, 1958 Europas Fußballer des Jahres, wurde übrigens als Bergmann der Zeigefinger der linken Hand zertrümmert und oberhalb des ersten Gelenks amputiert.)

      Aber Hannes und Dietz sind nicht die beiden berühmtesten deutschen Nationalspieler, die nicht mehr so antreten konnten, wie Gott sie geschaffen hatte. Der


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