Wie Österreich Weltmeister wurde. Ulrich Hesse-Lichtenberger

Wie Österreich Weltmeister wurde - Ulrich Hesse-Lichtenberger


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ebenso vollgekritzelt wie das Notizbuch.

      Ach ja, wenn sich der Leser jetzt am Kopf kratzt und denkt „Aber die DDR stand doch nie in einem WM-Finale und war auch nie Gastgeber“, dann ist dieses Buch das richtige für ihn.

      P.S.: Der 36. Text des vorliegenden Bandes macht sich auf die Suche nach einem Team, das eine noch schlechtere Saisonbi-lanz aufzuweisen hat als Tasmania Berlins 0,23 Punkte pro Par-tie anno 1965/66. Das mag die Spieler des englischen Erstligisten Derby County auf eine Idee gebracht haben. Als nämlich die Erstauflage dieses Buches offiziell erschien, hatten sie gerade ein Unentschieden gegen Fulham errungen, lagen aber mit 11 Punkten aus 32 Spielen weiterhin mehr als nur abgeschlagen auf dem letzten Platz. In den abschließenden sechs Saisonpartien kassierte Derby dann nicht weniger als 22 Tore und ging jedes-mal als Verlierer vom Rasen. Sollte da wirklich eine Art unter-bewusstes Kalkül im Spiel gewesen sein, dann kam alle Anstren-gung zu spät: 11 Zähler aus 38 Spielen ergeben einen Schnitt von 0,29 pro Begegnung. Auch nach der alten Zwei-Punkte-Regel ist Derby noch zu gut, kommt dann nämlich auf 0,26. Der 2:2-Ausgleich gegen Fulham, zehn Minuten vor dem Ende, kostete County einen prominenteren Platz in diesem Buch als nur eine ans Ende des Vorwortes gepappte Fußnote.

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      Seit mehr als 75 Jahren finden Fußball-Weltmeisterschaften statt. Das sind Turniere, bei denen eine festgelegte Anzahl von Nationalmannschaften, die sich in der Regel für diesen Wettbewerb qualifizieren mussten, um den Weltpokal der FIFA streiten. Mal gewinnt dieses Land, mal jenes, aber meistens ist es Brasilien.

      Vielleicht fragt sich der Leser jetzt, warum er gleich am Anfang mit solch banalen Informationen belästigt und ihm die Zeit gestohlen wird. Nun, zum Beispiel, weil er unter Umständen wissen möchte, wer der wahre Weltmeister ist – oder zumindest der andere. Doch zuvor will der Autor dem Leser eine Gegenfrage stellen: Ist es nicht ziemlich blödsinnig, den Fußball-Weltmeister durch solche Turniere in einem Abstand von vier Jahren zu ermitteln? Klar ist es das. Oder lässt sich eine der drei folgenden Thesen widerlegen?

      These eins: Bei diesen Turnieren besteht die Gefahr, dass die eigentlich beste Mannschaft vorzeitig ausscheidet, weil zum Beispiel eine Lotterie wie das Elfmeterschießen zum Tragen kommt – siehe Holland 1998.

      These zwei: Diese Turniere spiegeln möglicherweise gar nicht den aktuellen Leistungsstand wider, weil zum Beispiel ein inzwischen sehr starkes Team Monate zuvor in der Qualifikation gestolpert ist – siehe Holland 2002.

      These drei: Da die Sieger dieser Turniere sich volle vier Jahre Weltmeister nennen dürfen, kann es passieren, dass die beste Elf der Welt den Titel nie holt, weil sie nur zwischen zwei WMs groß aufspielt – siehe Holland 1987 bis 1989.

      Und das sind nur einige der Kritikpunkte. Dazu kämen noch Details wie der Heimvorteil, der schon so manche drittoder viertbeste Truppe zur besten werden ließ, oder die zuweilen etwas bizarren Modi, unter denen etwa eine Mannschaft Meister der Welt werden kann, die nicht ein einziges ihrer ersten drei Spiele gewinnt (Italien 1982).

      So weit, so gut. Nehmen wir einfach mal an, dass der Leser jetzt zwar überzeugt ist, jedoch hartnäckig einwendet, dass es kein besseres Verfahren gäbe, um den Weltmeister zu ermitteln. Nun, zumindest James Allnutt aus Australien würde da vehement widersprechen. Schon vor langer Zeit fragte sich Mister Allnutt, wie die Fußballwelt wohl aussähe, wenn dieser Sport seine Weltmeister so ausspielen würde, wie das etwa im Profi-Boxen der Fall ist oder beim Schach mehr als ein Jahrhundert lang war: Wer den alten Weltmeister schlägt, ist neuer Weltmeister. Ganz einfach. Keine Turniere, keine Qualifikation – und vor allem: keine fragwürdigen Elfmeterschießen. (Wenn sich der Weltmeister und sein Herausforderer unentschieden trennen, verbleibt der Titel eben im Besitz des amtierenden Champions.)

      Der einzige Haken an dieser sensationellen Idee war, dass Allnutt sich in der Folge durch anderthalb Jahrhunderte Fußball-Statistiken quälen musste, um den tatsächlichen aktuellen Weltmeister zu finden, weil die FIFA ja auf ihren wertlosen Turnieren beharrt. Allnutt folgerte zunächst, dass der erste Weltmeister logischerweise im ersten Länderspiel überhaupt ausgespielt worden war: England gegen Schottland am 30. November 1872. Leider lautete das Ergebnis 0:0, also sprang Allnutt zur nächsten Partie. Am 8. März 1873 spielten die beiden Länder wieder gegeneinander, und diesmal siegte England 4:2 – und wurde somit erster Weltmeister. Das Team behielt den Titel aber nur zwei Jahre, dann unterlag es Schottland.

      Da die frühe Fußballgeschichte eine fast rein britische war, wechselte der Allnutt’sche Weltmeistertitel lange Jahre zwischen diesen beiden Mannschaften hin und her, und auch der erste Eindringling stammte aus Großbritannien: Im März 1903 gewann Irland gegen Schottland und kletterte so auf den Fußball-Thron. Erst 1931 wurde zum ersten Mal eine nicht-britische Mannschaft Weltmeister, auf die wir gleich noch zurückkommen werden. Bis 1950 verblieb der Titel in Europa, dann gewannen die USA mit 1:0 gegen England (übrigens bei der FIFA-WM!) und durften sich immerhin drei Tage lang als Weltmeister einer anderen Definition fühlen.

      Manchmal überschneiden sich übrigens Allnutts Weltmeister mit denen der FIFA, so zuletzt bei der WM 1998. Nach diesem Turnier hielt Frankreich beide WM-Titel, den der FIFA und den von James Allnutt. Aber ein Jahr später verloren die Franzosen gegen Russland, das seinerseits zwölf Monate darauf geschlagen wurde – von Israel. Man sieht schon: Allnutts Wertung ist erstens viel demokratischer … und zweitens wahrhaft weltumspannend: In den vergangenen Jahren durften sich zum Beispiel Angola, Georgien und Venezuela Weltmeister nennen. Drittens zeichnet sich Allnutts Liste zudem auch durch etwas aus, was Engländer „poetische Gerechtigkeit“ nennen würden. So gelten nach seiner Wertung einige unbestritten große Teams als Weltmeister, obwohl ihnen die FIFA diesen Titel verwehrt.

      Da wäre zum Beispiel die tolle holländische Elf der Johan-Cruyff-Ära. Sie hielt den inoffiziellen WM-Titel von Mai 1973 bis Juli 1974 (bis er wegen eines Spiels in München an Deutschland ging, übrigens auch offiziell). Und da wäre die so genannte „Wunderelf“ der Österreicher. Sie gewann bei der FIFA-WM 1934 in Italien vor allem deshalb nicht, weil sie im Halbfinale (gegen Italien) vom Schiedsrichter benachteiligt wurde. In Allnutts schöner, neuer Fußballwelt hat dieses Drama einen weniger bitteren Beigeschmack, denn nach seinen Regeln hatten die Österreicher sich schon 1931 mit ihrem legendären 5:0-Sieg über Schottland den Titel des Weltmeisters geholt, als erste nicht-britische Mannschaft, und ihn 19 Monate lang verteidigt. Für einen Weltmeister dieser Rechnung ist das eine sehr lange Zeit – denn er kann sich ja auf seinen Lorbeeren niemals ausruhen.

      (Der Titel ging übrigens später, 1967, noch einmal für kurze Zeit an Österreich. Die Schweiz war 1982 Weltmeister, nach einem Sieg über Italien. Und Deutschland schließlich saß im Juni 2000 zum bisher letzten Mal auf Allnutts Thron. Der Titel wurde durch ein 3:2 gegen Tschechien errungen, ging aber wegen der 0:1-Niederlage gegen England im Rahmen der offiziellen EM bald wieder verloren.)

      Jene Täuschungsversuche, die man als „Schwalben“ kennt, stellen für alle Fußballfreunde ein Ärgernis dar. Und doch fordern einige Exemplare dieser Spezies fast Bewunderung heraus. Ganz besonders gilt dies für eine von Allan Simonsen aufs Parkett gelegte Darbietung – der einst nicht etwa ein Foul vortäuschte, sondern gleich einen tödlichen Schuss aus dem Hinterhalt!

      Simonsens nicht zu Unrecht als „Schauspieleinlage“ bezeichnete Vorstellung hatte in gewisser Weise mit dem größten Erfolg der dänischen Kinogeschichte zu tun, die auch in Deutschland bekannte Spielfilmserie über die „Olsenbande“. Maßgeblich beteiligt am Erfolg der Filme war Tom Hedegaard, der an den frühen Werken als Assistent mitwirkte und später Regie führte. Im Jahre 1977 aber produzierte Hedegaard einen Film unter dem Titel „Skytten“, zu Deutsch „Schütze“, der mit dem Humor der Olsenbande nichts zu tun hat.

      Die Hauptfigur von „Skytten“ ist ein militanter Atomkraftgegner, der überzeugt ist, es täte dem Land Dänemark gut, wenn er wahllos ein paar Leute erschießen würde. Eines seiner Opfer ist Allan Simonsen, Star der Nationalelf und zu jener Zeit in Mönchengladbach


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