Run and Gun. Sasha Reed
legte dazu ein wenig Make-up auf und band mir die Haare zu einem Zopf. Dass die Jeans meine langen Beine betonte und der V-Ausschnitt ein sexy Dekolleté zauberte, hatte natürlich rein gar nichts damit zu tun, dass ich Zack ab jetzt jederzeit wieder über den Weg laufen könnte. Die Unterhaltung heute Morgen in meinen abgetragenen Klamotten hatte mir gereicht. Ich wollte mich nie mehr so inadäquat vor ihm fühlen.
Wir verließen meine Wohnung und ich zerrte Thea weiter bis zum Treppenhaus, als sie neugierig auf Zacks geschlossene Tür starrte. Sexy Outfit hin oder her, eine Begegnung mit ihm wollte ich vermeiden, bis ich ihm die metaphorische Friedenspfeife reichte.
„Wann wird denn dieser Aufzug endlich repariert?“, fragte sie genervt. „Sport ist ja schön und gut, aber fünf Stockwerke nach oben zu laufen, macht keinen Spaß.“
„Ich glaube, nächste Woche sollen die Handwerker kommen.“ In der Lobby winkte ich Simon zu, der nur desinteressiert zurück nickte. Er war etwa um die siebzig, mit kantigen Gesichtszügen und einer randlosen Brille auf der Nase, die ihm eine zusätzliche Strenge verlieh. Seit ich hier eingezogen war, hatte ich ihn noch nicht ein einziges Mal lächeln sehen. Es war meine selbst ernannte Lebensaufgabe, das zu ändern.
Wir traten auf die Straße und schlugen den Weg Richtung Newbury Street ein. Der Straßenzug war die Shopping Meile Bostons mit unzähligen Boutiquen, kleinen Läden und Cafés. Wenn ich ein Friedensangebot für einen reichen Sportler finden sollte, dann hier.
Der Plan klang gut, je länger wir jedoch durch die Boutiquen schlenderten, desto entmutigter wurde ich. Ich kannte Zack bis auf unsere kurzen Begegnungen im Club und am Morgen auf meinem, oder eher unserem Flur nicht und ein passendes Geschenk zu finden gestaltete sich als verflucht kompliziert.
Wir verließen den fünfzehnten Laden und ich wandte mich zu Thea um. „Ich gebe es auf. Was zum Teufel soll man einem Sportler schenken? Von seinem Gehalt kann er sich wahrscheinlich ein kleines Land kaufen. Er braucht nichts.“
Wir bogen in eine Seitenstraße ein und Thea blieb plötzlich wie angewurzelt stehen.
„Bist du dir da sicher?“ Sie nickte mit dem Kopf zum Ende der Straße, wo ich das Leuchtschild eines Drogeriemarktes erkennen konnte. Es dauerte einen Moment, bis mir ein Licht aufging, doch dann machten wir uns gut gelaunt auf den Weg.
Wie zu erwarten hatten die Neuigkeiten über meinen neuen Nachbarn durch Thea schon die Runde gemacht und als ich am Abend meine Schicht im Spotlight antrat, kam mir Damian auf der Treppe entgegen.
„Erzähl mir alles.“ Begrüßungsfloskeln waren scheinbar nicht mehr relevant, seit Zack Conner in mein Leben getreten war.
„Was gibt es groß zu erzählen? Ich weiß endlich, wer für den Umzugslärm in den letzten Wochen verantwortlich ist.“ Ich zuckte nonchalant mit den Schultern, als wäre es keine große Sache. Tatsächlich war ich immer noch mehr als verwirrt.
„Du kannst mir viel erzählen, aber wir kennen uns lange genug. Sag mir, was wirklich in deinem Kopf vorgeht.“
Wir hatten die letzten Stufen zum VIP-Bereich erklommen und gingen gemeinsam Richtung Personalraum, wo ich meine Handtasche abstellen konnte. Ich zuckte erneut mit den Schultern, diesmal allerdings eher trotzig. Es wäre viel leichter für mich gewesen, wenn Damian mich nicht durchschaut und meine lahme Ausrede einfach akzeptiert hätte. Am liebsten hätte ich alles, was Zack Conner betraf, einfach vergessen, aber das ging nicht, wenn mein bester Freund mich zwang, meine Gedanken auszusprechen.
„Ich weiß nicht, wie wir die nächsten Monate oder Jahre überstehen sollen, ohne dass Zack oder ich oder vielleicht auch beide entweder tot sind oder im Knast landen. Allein seine Anwesenheit bringt mich schon zur Weißglut. Ich mag ihn nicht und ich glaube stark, das beruht auf Gegenseitigkeit. Meine einzige Hoffnung ist, dass er mein Einzugsgeschenk als Friedensangebot wahrnimmt und wir dazu übergehen können, uns zu ignorieren.“ Was ich ausließ, war meine verworrene Gefühlswelt. Ich konnte wirklich nicht behaupten, dass ich Zack Conner gut leiden konnte. Das schien bei meinem Körper aber noch nicht angekommen zu sein.
Damian überlegte einen Moment. „Weißt du, ich habe gesehen, wie ihr euch angesehen habt, als er die Treppe zur VIP-Lounge hochgekommen ist.“
„Er war ja auch extrem attraktiv, bis zu dem Augenblick, als er den Mund aufgemacht hat.“
„Wenn du ihn nicht willst, schnapp ich ihn mir.“ Damian folgte mir in den Personalraum.
„Bitte, tu das. Du würdest mir damit einen großen Gefallen tun.“ Wenn Zack nur vergeben wäre, würde das meiner Fantasie endlich einen Strich durch die Rechnung machen. Beim Fremdgehen sah ich Rot, auch wenn ich nicht diejenige war, die betrogen wurde. Ich stopfte meine Handtasche in meinen Spind und band mir die schwarze Schürze mit dem Clublogo um die Hüften.
„Allerdings bin ich nicht derjenige, den Zack so angesehen hat, als würde er mich gleich auf dem Bartresen nehmen wollen.“
Also war es doch keine Einbildung gewesen? Ich schnaubte. Es war besser, der Realität ins Auge zu sehen und sich auf die Gegenwart zu konzentrieren. „Seit diesem Cocktail-Vorfall sieht er mich eher so an, als würde er mich gleich auf offener Straße mit dem Auto anfahren wollen.“ Ich schloss das Vorhängeschloss wieder. „Ich kann nur hoffen, dass Theas Idee mit dem Einzugsgeschenk funktioniert.“
„Mach dir keine Sorgen. Verhaltet euch einfach wie Erwachsene und in Null Komma Nichts seid ihr friedvolle Nachbarn.“
„Dein Wort in Gottes Ohr.“ Diese Sache mit dem Erwachsen-Sein schien in Zacks Gegenwart nicht allzu gut zu funktionieren.
Als ich am nächsten Morgen aufwachte, warf ich einen Blick auf die Uhr. Kurz vor elf. Irgendeine höhere Macht hatte anscheinend Erbarmen mit mir, denn in Zacks Wohnung war es noch immer still. Ich stand auf, duschte und machte mir Frühstück. Der Blick in den Kühlschrank und das Vorratsregal bestätigte mir, dass ich einkaufen musste und so föhnte ich mir die Haare, zog mich an und ging in den nächsten Supermarkt. Als ich gut eine Stunde später mit zwei Tüten beladen wieder mein Stockwerk erreichte, kam Zack gerade die Stufen am anderen Ende des Flurs herunter. Er sah in seinem schwarzen Kapuzenpulli mit dem Logo der Boston Tigers zum Anbeißen aus. Die Ärmel hatte er zurückgekrempelt und ich hatte freie Sicht auf seine muskulösen Unterarme. Seine Haare waren wieder im üblichen Durcheinander und meine Finger zuckten, als ich mir vorstellte, wie sie sich wohl anfühlten. Diese Gedanken verschwanden aber sofort wieder bei seinem mürrischen Gesichtsausdruck, als er mich bemerkte. Seine Selbstsicherheit und diese verdammten Muskeln waren so ablenkend, dass ich für einen kurzen Moment vergessen hatte, wie sehr ich ihn eigentlich nicht leiden konnte. So ablenkend, dass ich beinahe übersehen hätte, was er in den Armen hielt, während er die kleine Treppe hinunter und mir entgegenlief. Wie ich kurz nach unserem Einzug herausgefunden hatte, führten diese Stufen zu einer verschlossenen Tür, die jedoch mit der richtigen Technik aus Kung-Fu und Hulatanz kein großes Hindernis darstellte und den Zugang zur Dachterrasse freigab. Ebenjene Dachterrasse, die zu meinem Nachbarapartment gehörte und damit jetzt offiziell in Zack Conners Besitz war. Ebenjene Dachterrasse, auf der ich – oh nein! Mein Blick zuckte zu seinen Armen und meine schlimmste Befürchtung wurde wahr.
Holzfiguren. Um genau zu sein: meine Holzfiguren. Diejenigen, die ich mit großer Leidenschaft und Liebe zum Detail auf dem Dach angefertigt hatte. Durch die ganze Aufregung um meinen neuen Nachbarn hatte ich komplett vergessen, dass sie noch da oben waren. Theas Hochzeitsfigur für die Torte. Die Figuren, die ich in wenigen Wochen auf dem SoWa Open Market verkaufen wollte. Was hatte er jetzt mit ihnen vor? Panik stieg in mir hoch, während ich hilflos dabei zusah, wie er einen Tiger und einen Spatzen zu seiner Wohnungstür trug. Wenn er sie in seine Wohnung brachte, hieß das doch bestimmt, dass er sie nicht sofort wegwarf, oder? Sonst würde er sich doch nicht extra die Mühe machen, sie hineinzutragen? Der Tiger war ohnehin zu groß für einen normalen Mülleimer. Um alle Figuren wegzuschmeißen, würde er schon einen ganzen Container brauchen. Spekulationen halfen mir allerdings auch nicht weiter. Ich musste sicher sein. Natürlich war es auch keine Option, ihm zu sagen, dass das meine Figuren waren. Ich dachte an Damians Ratschlag zurück, sich wie Erwachsene zu verhalten, aber je weniger Zack über mich wusste, desto weniger