Run and Gun. Sasha Reed

Run and Gun - Sasha Reed


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für das Herstellen der Figuren aufs Dach geschlichen hatte? Sein Dach.

      Schon in der Highschool hatte ich mich in die Arbeit mit Holz verliebt und mittlerweile hatte ich mich auf hyperrealistische Stücke spezialisiert. Die ruhige Arbeit war ein perfekter Ausgleich zu den hektischen Nächten im Spotlight. Nach langer Überzeugungsarbeit meiner Familie und meiner besten Freunde hatte ich im Frühjahr eine Bewerbung für den SoWa Open Market losgeschickt. Der Markt fand zwischen Mai und Oktober jeden Sonntag statt und ich wäre fast in Ohnmacht gefallen, als ich meine Zusage erhalten hatte. Die Überwindung wäre jedoch völlig umsonst gewesen, wenn Zack alle Figuren wegwarf. Warum hatte ich meine Werkbank nach Theas Auszug nicht vom Dach geholt und in ihr altes Zimmer gestellt? Was waren schon ein bisschen Sägespäne und Holzstaub? Dämpfe von Farben und Lacken? Damals war das für mich das Totschlagargument gewesen, an der frischen Luft zu bleiben. Jetzt erschienen mir eine dreckige Wohnung, ein paar gesundheitliche Probleme und Halluzinationen fast wie ein fairer Preis.

      Zack und ich waren nur noch einige Schritte voneinander entfernt und etwas blitzte in seinen Augen auf, als er mich von oben bis unten musterte, aber es war so schnell wieder verschwunden, dass ich glaubte, es mir nur eingebildet zu haben. Er ging an mir vorbei und nickte mir zur Begrüßung knapp zu. Fast wollte ich es schon dabei belassen, immerhin war ich nicht gerade scharf auf ein Gespräch mit ihm, aber ich konnte ihn ja auch nicht einfach mit meinen Figuren im Arm davon spazieren lassen.

      „Morgen. Was ist das denn?“ Ich deutete auf seine Arme.

      „Sie sollten über einen Besuch beim Augenarzt nachdenken. Und wenn Sie schon dabei sind, können Sie gleich Ihren Gleichgewichtssinn abchecken lassen. Der scheint einen Knacks zu haben.“ Musste er mich bei jeder Begegnung daran erinnern? Noch dazu, wenn mein Gleichgewicht mich in dieser Nacht vor Schlimmerem bewahrt hatte.

      „Das Einzige, was einen Knacks hat, ist Ihre Auffassungsgabe. Haben Sie jetzt noch vor, meine Frage zu beantworten?“ Er musterte mich einen Moment abschätzig, gab dann aber nach.

      „Die Figuren standen auf meiner Dachterrasse.“ Er zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung, wie die dahin gekommen sind.“

      „Was haben Sie jetzt damit vor?“ Ich bemühte mich, das nervöse Quieken in meiner Stimme zu unterdrücken. Wenn ihm die Frage seltsam vorkam, erwähnte er es immerhin nicht.

      „Keine Ahnung, vielleicht behalte ich sie. Die sind ziemlich cool. Und da ich ja in Ihren Augen ohnehin ein Holzkopf bin, passen sie auch zu mir.“

      „Einsicht ist der erste Schritt zur Besserung“, sagte ich gespielt mitfühlend und tätschelte seine Schulter, wobei ich versuchte, zu ignorieren, wie kräftig sie sich unter meinen Fingern anfühlte.

      Bevor er etwas erwidern konnte, ging ich an ihm vorbei und verschwand in meiner Wohnung. Zack würde sicherlich alle Figuren von der Terrasse räumen, wenn er schon einmal damit angefangen hatte. Und wer wusste schon, was er dann damit anstellte? Dass er sie nur unter Umständen behalten wollte, beruhigte mich nicht im Geringsten. Ich hatte so viel Herzblut und Arbeit in diese kleinen Kreaturen gesteckt. Nicht nur wäre es schrecklich, würden sie alle als Brennholz enden, es würde auch mit sofortiger Wirkung meine Teilnahme am Künstlermarkt beenden. In den wenigen Wochen, die ich bis zu meinem Termin übrig hatte, könnte ich höchstens eine Handvoll Figuren herstellen. Nicht einmal annähernd genug, um einen ganzen Stand zu füllen.

      Ich könnte schnell aufs Dach sprinten und meine Figuren retten, allerdings war ich weder kräftig noch Oktopus genug, um so viele von ihnen auf einmal in meine Wohnung zu verfrachten. Und ich würde innerhalb der nächsten Sekunden die Fähigkeiten eines Ninjas entwickeln müssen, um ungesehen auf die Dachterrasse zu gelangen. Vielleicht könnte ich Thea bitten, Zack in ein Gespräch zu verwickeln, während ich mich auf die Suche nach meinen Babys machte und sie heimlich zurückholte? Die Wahrscheinlichkeit, dass das unbemerkt blieb, lief gegen null, also verwarf ich die Idee schnell wieder.

      Lautes Gelächter auf dem Hausflur draußen riss mich aus meinen Gedanken. Es war eine mir unbekannte Stimme und ich hatte schon den ganzen Tag kein lästiges Bohren oder Hämmern aus Zacks Wohnung gehört. Anscheinend hatte die Einzugstortur ein Ende und wenn ich die männlichen Stimmen richtig deutete, würde das in den nächsten Stunden gefeiert werden. Ich griff nach meinem Smartphone und schickte Thea eine Nachricht:

      Ich: Zack feiert seinen Einzug. Wie lautet der Plan?

      Nur einen Augenblick später kam ihre Antwort.

      Thea: Jetzt oder nie! Schnapp dir dein Geschenk, zieh dir hohe Hacken an und geh rüber!

      Ich: Was haben meine Schuhe mit dem Ganzen zu tun?

      Thea: Steigerung des weiblichen Selbstvertrauens. Außerdem: Nenne mir einen Kerl, der deinen Beinen in hohen Absätzen widerstehen kann …

      Ich: Punkt für dich ;) Drück mir die Daumen!

      Ich ging ins Schlafzimmer, zog meine schwarzen High Heels aus dem untersten Fach meines Kleiderschrankes und nahm anschließend das Geschenk von der Kommode neben der Tür. Auf dem Weg nach draußen überprüfte ich noch kurz mein Aussehen im Spiegel im Flur, sprach mir Mut zu und öffnete die Tür. Es würde nur noch Minuten dauern, bis diese Angelegenheit zwischen Zack und mir geklärt wäre und ich endlich damit abschließen konnte. Mit einem Kribbeln im Bauch durchquerte ich den Flur, bis ich schließlich vor Zacks Tür stand und klopfte. Das flaue Gefühl im Magen kam bestimmt nur von der Vorfreude über meinen bevorstehenden Seelenfrieden. Momente später öffnete Zack mir und das Kribbeln verdreifachte sich. Mist. Sein Blick glitt über mich und heftete sich ungeniert auf meine Beine, wo er einen Augenblick verharrte, ehe er zu meinen Augen zurückkehrte. Nur mit Mühe konnte ich ein siegessicheres Lächeln unterdrücken. Thea hatte eine Wunderwaffe gegen meinen neuen Nachbarn gefunden.

      „Ich habe Leute im Hausflur gehört und dachte, dass Sie vielleicht Ihren Einzug feiern“, erklärte ich mein Erscheinen und hielt ihm das Geschenk entgegen. Überraschung blitzte in seinen Augen auf. „Es ist nur eine Kleinigkeit.“

      „Das ist doch hoffentlich keine Briefbombe?“, hakte er zögerlich nach, nahm mir das Geschenk aber ab. Ich nahm es ihm nicht übel, dass er gleich vom Schlimmsten ausging, hoffte aber, dass ihn mein Friedensangebot von meinen guten Absichten überzeugte.

      „Zack“, tönte in diesem Moment eine Stimme aus dem Inneren der Wohnung. „Wer auch immer da an der Tür steht, schwing deinen Arsch hier wieder rein und zeig uns gefälligst, wo du das Bier versteckst.“

      Zack lächelte – ein Ausdruck, der ihm im Gegensatz zu dem mürrischen Blick, den er mir immer schenkte, ungemein gut stand – und öffnete die Tür ein wenig weiter für mich. Jetzt war es an mir, ihn überrascht anzusehen. War das wirklich so leicht mit dem Frieden? Ich entschloss, dass es nicht schaden konnte, in seine Wohnung zu gehen. Ich war neugierig und ich wollte wissen, wohin er meine Figuren verschleppt hatte.

      Ich schlüpfte an ihm vorbei und wartete, bis er die Tür schloss. Währenddessen sah ich mich im großräumigen Flur um, an dessen Wänden sich leere Umzugskartons stapelten. Offenbar hatte ich richtig gelegen und der Umzug hatte ein Ende gefunden.

      „Die anderen sind im Wohnzimmer.“ Er ging voraus in den nächsten Raum. Ich atmete auf, als ich meinen Tiger neben dem gigantischen, dunkelbraunen Sofa stehen sah. Auch ein paar meiner anderen Kreationen standen hier und da im Raum, als provisorische Deko verteilt auf noch nicht eingeräumten Regalen und Schränken, und schienen vorerst sicher vor dem Kamin zu sein, der an der Wand gegenüber stand. Daneben befand sich der Durchgang zu einer modernen Küche, auf der anderen Seite war eine geschwungene Treppe mit kunstvoll verziertem, schmiedeeisernem Geländer, die ins obere Stockwerk führte, das meine Wohnung nicht hatte. Wenn man davon absah, war die Wohnung vom Aufbau her ein Spiegelbild von meiner. Allerdings sah die Küche und das, was ich vom Badezimmer durch die halb offene Tür erkennen konnte, komplett anders und viel neuer aus als in meiner Wohnung. Ich vermutete, dass die Lautstärke der letzten Wochen hauptsächlich von der Renovierung gerührt hatte.

      Erst jetzt realisierte ich, dass wir nicht mehr allein waren. Auf dem L-förmigen Sofa saßen vier Männer, von denen ich immerhin zwei


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