Evelinas Katzenzauber. Camilla Gripe

Evelinas Katzenzauber - Camilla Gripe


Скачать книгу
zu dem Wäschekorb, bevor die Tür wieder zufällt. Einige Strahlen schleichen sich in den Korb und bringen vier kleine geschlossene Augenlieder zum Zucken.

      Die Augen der Kätzchen haben sich der Welt und ihrer Magie noch nicht geöffnet, aber sie reagieren aufs Licht. Ein lebhaftes Spinnen ertönt von Cora und ein eifriges Schmatzen von den Kleinen an ihren Zitzen. Ihre kleinen himbeerrosa Pfotenballen bewegen sich auf und ab auf Coras wolligem Bauch und locken das lebensspendende, milde Getränk hervor. Die Zeit steht still, und alles, was die Kleinen brauchen, ist bei ihrer weichen, warmen Mutter zu haben; ihre schnullerähnlichen kleinen Zitzen, die ihnen das einzige, was sie an Nahrung verlangen, geben, ihr rhythmischer Herzschlag, der sie in den Schlaf wiegt, und die rauhe Zunge, die sie sauberhält. Es ist Ende März. Die Abende färben sich immer stärker blau, und die Tage werden länger.

      Evelina faltet die duftenden Kleidungsstücke zusammen und steckt sie in Truhen und Schränke. Sie summt die ganze Zeit vor sich hin. Ihre Wangen sind rot, die Augen glitzern frech, und ihre Stirnhaare stehen zu Berge wie eine goldene Quaste. Heute liegen Sonne und Luft in ihrem Haar und in ihrem ganzen Wesen. Nein, heute ist sie nicht fünfundachtzig – eher fünfunddreißig oder noch jünger. Der Rücken ist gerade, die Bewegungen schnell und das Lächeln erwartungsvoll. Sie trillert und redet vor sich hin, mal mit sich selbst, mal mit den Kätzchen.

      „Ach, meine Kleinen, meine lieben kleinen Miezekätzchen! Jetzt haben wir bald Frühling!“

      Evelina geht zu einem gesprungenen alten Spiegel in einem vergoldeten Rahmen, der über einer Schlafbank an der einen Wand hängt. Aus dem Kleiderschrank an der Seite zieht sie einen weichen taubenblauen Wollschal, der mit rosa Rosen bestickt ist, heraus und hüllt sich darin ein. Sie läßt die Hände einige Male vor dem Spiegel kreisen, was ihr Gesicht noch jünger wirken läßt. Ihre Züge scheinen von innenheraus zu leuchten, und ihre Haare knistern wie rotes Gold. Dann nimmt sie die Kaffeekanne von der Herdplatte, stülpt sie um und mustert ihren Boden.

      „Ja freilich muß sie verzinnt werden“, zwitschert sie entzückt. „Und nun sind sie da! Sie sind schon da!“

      Sie gleitet mit ihrem Hauch vom Spätwinter zum Wäschekorb, beugt sich hinüber und hält ihre weiße Hand vor Coras Schauze. Cora leckt höflich ihre Finger als Beweis ihrer Zuneigung. Aber in ihrer Seele flattert die Unruhe.

      Cora weiß, was Evelinas glückliche Laune bedeutet. Heute nacht wird sie nicht zu Hause sein. Nun wird sie ihre Kanne verzinnt bekommen, in das Geheimnis der Kristallkugel eingeweiht werden, in Kaffeesatz und Karten schauen, Gesang lauschen und zur Gitarre tanzen, Mistelwein trinken und ihre Sehnsucht stillen. Das alles braucht seine Zeit, das weiß Cora schon lange. Natürlich ist es ihr vergönnt – aber in der Zeit ist das Haus unbewacht. Jeder kann hineinkommen – auch wenn Evelina sorgsam den Schlüssel zwei Mal im Schloß herumdreht. Jeder, der auch nur über die allerkleinste Fingerfertigkeit verfügt, über Kraft – oder schwarze Magie ...

      „Ihr sollt ja genug zu essen bekommen“, sagt Evelina. Sie füllt eine große Schale mit Rahm, eine andere mit Wasser und eine dritte mit getrockneten Fischchen.

      Dann geht sie zur Tür und wirft einen letzten Blick ins Zimmer. „Mach’s gut Cora!“

      Cora hört, wie die Tür ins Schloß fällt und der Schlüssel umgedreht wird. Plötzlich kommt ihr alles so kalt vor, obwohl noch Glut im Kamin ist und die Ofenklappe offensteht. Es ist der kalte Hauch der Einsamkeit, der durch das Zimmer weht. Der Einsamkeit und der Unruhe. Cora spürt bis in die Schnurrhaare, daß irgendwo da draußen etwas Gefahrvolles und Bedrohliches lauert. Ob sie vielleicht die Kätzchen verstecken sollte? Aber hat das viel Sinn? Wer die schwarze Magie beherrscht, braucht ja nicht zu suchen ...

      Die Schatten werden länger im Zimmer. Etwas Glut knistert im Kamin. Die Kätzchen saugen im Halbschlaf, aber Cora bleibt wachsam. Nach einer Weile, als sie gewaschen und eingeschlafen sind, deckt sie sie mit der Decke zu, springt mit einem Satz aus dem Korb aufs Fensterbrett. Sie schaut über die öde Landschaft. Gespannt verfolgt sie den Schatten der Bäume und die flatternde Silhouette eines vergessenen Schals auf der Wäscheleine.

      Sie zuckt bei einem knarrenden Geräusch von draußen und stößt einen dumpfen Kehllaut aus. Dann aber entdeckt sie, daß die Tür zum Holzschuppen aufgesprungen ist – vielleicht hat Evelina vergessen, sie abzuschließen. Sie bleibt eine ganze Weile sitzen, während es draußen immer dunkler wird.

      Cora kann sich nicht sicher fühlen. Nicht einmal, wenn Evelina zu Hause ist, fühlt sie sich ganz sicher.

      Plötzlich vernimmt sie ein anderes Geräusch – ein Rascheln im Zimmer. Es klingt ein bißchen rattenähnlich. Cora kauert sich fest zusammen, zum Sprung bereit. Auch eine Ratte kann heutzutage verzaubert sein ...

      Etwas bewegt sich dort unter der schützenden Kontur der Schlafbank. Sie ahnt einen schlanken, dunklen Schatten, und zwei Augen blitzen auf.

      Dann hört sie eine dünne, heisere Stimme.

      „Ich bin es nur, Cora. Ich, das Wiesel. Ich habe nichts mit schwarzer Magie zu tun. Das weißt du doch.“

      „Ach so! Du bist’s“, antwortet Cora. „Na, das ist ja beruhigend.“

      Das kleine Wiesel kommt nun hervor und stellt sich unter das Fenster ins helle Abendlicht.

      „Diese Doris ist ja hiergewesen“, sagt es.

      „Ach, das hast du gesehen?“

      „Ja. Und ich habe sie auf ihrem alten Fahrrad nach Hause wanken sehen. Ich bin ihr nämlich ein Stückchen gefolgt, weil ich dachte, daß man solche Leute wie sie im Auge behalten sollte.“

      „Und was hast du gesehen? Was hat sie getan?“

      „Zuerst war sie schrecklich schlecht gelaunt. Fluchte am laufenden Band.“

      „Kann ich mir denken“, sagt Cora. „Es ist wohl nicht so gelaufen, wie sie es wollte. Tut es anscheinend nie, übrigens. Und was ist dann passiert?“

      „Sie war anscheinend auch sauer auf ihren Sohn und auf ihren Kater Napoleon.“

      „Ja, an ihnen hat sie wohl nicht viel Freude.“

      „Aber dann“, fährt Wiesel fort, „schrie sie plötzlich auf und fing an, mit ihrer schrecklichen Stimme zu johlen. Da habe ich kehrtgemacht, das Geschrei ist ja nicht auszuhalten. Ich bin unterwegs vielen ohnmächtigen Freunden begegnet, einem Eichhörnchen, drei Waldmäusen, einem armen Hasen ...“

      „Ja, das kann ich mir vorstellen. Aber was war denn diesmal los, glaubst du? Warum hat sie plötzlich gejohlt?“

      Wiesel schlägt mit den kleinen Pfoten aus.

      „Tja, ich weiß nicht, aber irgendwie schien sich plötzlich ihre Laune zu ändern. Sie war ja zuerst so sauer, aber als sie dann so laut losgejohlt hat, hatte ich das Gefühl, daß sie wieder guter Laune war ...“

      „Verdächtig“, sagt Cora und zischt leise. „Hast du gehört, ob sie irgendwas gesagt hat?“

      „Der Wind hat das meiste verweht, aber sie schrie etwas von Leuten, die weich werden und etwas vermissen würden, glaube ich. Dann konnte ich nichts mehr hören.“

      „Dann hast du also nicht hören können, wen sie meinte?“

      „Nein, aber ihr schien wirklich etwas Aufmunterndes eingefallen zu sein, was sie erheiterte, etwas Böses ...“

      Cora spürt, wie ihr Schwanz dick wird und ihre Nakkenhaare sich aufrichten.

      „Könnte sie herausgefunden haben, daß Evelina weg ist?“

      „Nein, das glaube ich nicht. Aber aus ihr wird man ja nie schlau.“

      „Vielleicht hat sie gesehen, daß die Zigeuner gekommen sind. Da könnte sie ihre Schlußfolgerungen ziehen. Sie weiß bestimmt, daß Evelina sie immer besuchen geht, wenn sie hier sind.“

      „Nein, das hätte ich gemerkt“, meint Wiesel entschieden. „Ich habe ihr Lager gesehen, aber Doris ist nicht vorbeigekommen. Sie hatte etwas anderes vor ...“

      „Vielen


Скачать книгу