Kämpfen im Geiste Buddhas. Jeff Eisenberg

Kämpfen im Geiste Buddhas - Jeff Eisenberg


Скачать книгу
Kind. Er war überall. Es gab Buddha-Statuen im Haus, draußen im Garten, und meine Mutter schien ihn ständig in ihren Gemälden zu verewigen, die in allen Zimmern hingen. Sogar viele Möbel wirkten fernöstlich.

      Ehe ihr anfangt, euch das Bild eines kleinen Blumenkindes auszumalen, das in einem buddhistischen Haushalt einer Hippie-Künstlerin nahe bei Woodstock in den wunderschönen Catskill Mountains aufwuchs oder in irgendeiner Kommune im nördlichen Kalifornien, muss ich euch verraten, dass die Wahrheit noch wesentlich verrückter ist. In Wahrheit wuchs ich in Jersey, unmittelbar außerhalb von New York City, auf und, um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, wir waren nicht einmal Buddhisten!

      Trotz aller Darstellungen von Buddha ringsum erinnere ich mich nicht daran, dort auch nur ein einziges Mal etwas über ihn gehört zu haben, und über keine der Darstellungen wurde jemals gesprochen. Mir ist klar, dass ihr jetzt vielleicht sagt: »Also gut, sie waren keine Buddhisten, aber wahrscheinlich haben sie sich einfach mit Meditation befasst.« Falsch! Mit Medikation, ja, aber nicht mit Meditation!

      Also kam ich zu dem Schluss, dass alle diese Skulpturen und Bilder von dem komisch wirkenden Dicken nur seltsame Dekorationen waren, und beließ es dabei. Als ich älter wurde, merkte ich, dass dieser komisch wirkende Dicke vielen Leuten ziemlich wichtig war. Ich war mir nicht sicher, ob er ihr Gott war oder nicht. Ich spürte zwar eine sonderbare Verbindung mit ihm, hatte aber das Gefühl, dass er nicht mein Gott war. Was mich wiederum zu der Frage bracht, wer eigentlich mein Gott war. Ich kam zu dem Schluss, es müsse der andere Dicke sein, derjenige, der einen roten Anzug trug und uns jedes Jahr die ganzen Geschenke brachte. So musste es wohl sein! Doch trotz dieser Überzeugung gefiel mir der halbnackte, dicke, chinesische Kerl immer noch besser … Ich wusste nur nicht, warum.

      Etwa zu dieser Zeit entdeckte ich die Fernsehsendung Kung Fu. Von dem Moment an, als ich sie zum ersten Mal sah, war ich wie hypnotisiert – völlig gebannt davon. All diese Handlungen, in denen es um Kampfkunst ging, die anschaulichen Bilder des exotischen klösterlichen Schauplatzes mit seinen schönen Tempeln und Gärten, Kerzen und Räucherstäbchen. Die tiefe Stille und Beschaulichkeit, die dort dargestellt wurde! Nie zuvor in meinem Leben hatte ich mich so stark mit irgendetwas identifiziert. Obwohl ich damals nichts über östliche Religionen, östliche Kulturen und klösterliches Leben wusste, fand dies alles tief in meinem Inneren Resonanz, denn es hatte etwas an sich, das ich intuitiv als wohltuend empfand. Viele Menschen berichten, dass sie bei ihrem ersten Aufenthalt in einem Zendo oder Dojo das überwältigende Gefühl einer »Heimkehr« haben. Und genau das empfand ich stets, wenn ich eine Darstellung von Buddha sah, und besonders, als das alles in den Kung-Fu-Filmen zum Leben erwachte.

      Zwar liebte ich die Kampfhandlungen der Filme, aber mich berührten auch die Rückblenden sehr, in denen der verwirrte junge Schüler Caine Rat beim großen Meister Po sucht. Caine sitzt dann meistens vor dem Meister und sucht nach Antworten auf seine tiefen philosophischen Fragen. Meister Po reagiert darauf stets mit einem Rätsel des Koan, das den jungen Caine erst recht verwirrt. Immer endet das Gespräch damit, dass Meister Po laut lacht und der Grashüpfer (Meister Pos Spitzname für den jungen Caine) begreift, dass die Antwort auf seine Frage darin besteht, dass er die falsche Frage gestellt hat. Egal, was passierte: Für Caine schien es schon tröstlich zu sein, wenn er sich einfach bei Master Po aufhalten durfte. Und das löste bei mir den Wunsch nach einem Ort aus, wo ich genauso hingehen konnte wie Caine zu Po. Ich wollte meinen eigenen Meister Po! Vielleicht hatte ich mich ja geirrt. Vielleicht war der komisch wirkende Dicke tatsächlich mein Gott oder hätte es zumindest sein sollen! Wie auch immer: Ich würde meinen Meister Po finden!

      Ich weiß nicht, ob ich meine Eltern um Erlaubnis bat oder sie einfach mein Interesse an den Kung-Fu-Filmen bemerkten und es deshalb übernahmen, mich zu einer Kampfkunstschule zu bringen, jedenfalls ging ich eines Tages zur eigenen Verblüffung dorthin. Das war schon eine große Sache, denn in den späten 1960er Jahren gab es, anders als heute, eine solche Schule nicht gerade an jeder Straßenecke. Während meine Freunde alle in irgendeiner unteren Liga Baseball spielten, karrte meine Mutter mich durch mehrere Ortschaften zu einem winzigen Dojo. Der Leiter war ein japanischer Judomeister, der kaum Englisch sprach.

      Als ich dieses Dojo zum ersten Mal betrat, war das wirklich ein Erlebnis! Die Dekorationen erinnerten mich an Caines Kloster, ich durfte genau wie Caine einen coolen Kampfanzug tragen, und natürlich gab es auch hier einen hauseigenen Meister Po! Alles war genau so, wie ich es mir gewünscht hatte – das heißt, es war so, bis der Meister damit anfing, uns lauter anzubrüllen, als ich jemals einen Menschen hatte brüllen hören. Und was noch schlimmer war: Ich konnte nicht verstehen, was er brüllte! Nachdem ich während einer höchst anstrengenden Trainingsstunde immer wieder auf die Matte geschleudert worden war, wurde mir klar, dass dieser Meister mir die Antworten auf meine Fragen, falls er überhaupt welche hatte, geradezu einhämmern würde.

      Als ich etwas älter war und mich schon ein bisschen im Kampfsport auskannte, war ich nicht mehr so daran interessiert, einen Meister Po zu finden, sondern vor allem daran, zu einer Kampfmaschine zu werden. Was diesen Wunsch als Erstes nährte, waren die neu entdeckten Kung-Fu-Kinofilme am Samstagnachmittag. Und wieder war ich wie hypnotisiert! Im Vergleich zu diesen Filmen wirkten die Kung-Fu-Fernsehfilme so, als tänzelten die Schauspieler nur herum und machten »Backe, backe Kuchen«. Die Kerle in den Kinofilmen waren unglaublich! (In Wahrheit war das Meiste albern: Großartige Athleten zeigten dort Gymnastikübungen und führten dabei dank der Special Effects spektakuläre, aber nutzlose Kampfkünste vor. Ich war damals erst zehn Jahre alt, also seht es mir nach!) Einem Kind mussten diese Kerle wie übermenschliche Helden vorkommen – direkt den Comicbüchern entstiegen und zum Leben erwacht. Und natürlich wollte ich genau wie sie sein.

      Das heißt … bis ich Bruce Lee sah.

      Bruce war derjenige welcher! Er stellte die Typen aus den Samstagnachmittag-Kung-Fu-Filmen so sehr in den Schatten, dass sie nur noch lächerlich wirkten. Während sie maskenhaft geschminkt waren wie Kabuki-Schauspieler, seidene Pyjamas trugen, die Kimonos ähnelten, Gymnastik und routinierte Tanzschritte vollführten, die als »Kämpfe« durchgehen sollten, platzte Bruce mitten in die Szenerie hinein, stellte einen zähen, bis zum letzten Muskel durchtrainierten Körper zur Schau und brillierte in den echtesten Kampfszenen, die je gedreht worden waren. Er machte einen nicht nur glauben, dass man hier realen Kampftechniken zuschaute, sondern dass man sie sich durch harte Arbeit auch selbst aneignen konnte.

      Bruce Lee zuzusehen war für mich ein erneutes Erlebnis der »Heimkehr«. Dieses Erlebnis war der Katalysator für eine tief reichende, intuitive Erkenntnis, die mich von der Theatralik der Fantasyfilme mit ein bisschen Kung-Fu-Handlung in eine andere Richtung katapultierte – auf den Weg zu einem realitätsnahen Training und zur Suche nach der wahren Kampfkunst jenseits aller falschen Vorstellungen.

      Man muss es Bruce hoch anrechnen, dass er sozusagen im Alleingang und über Nacht einen Riesenaufschwung des Kampfsports bewirkte. Er war hinsichtlich seiner Auffassungen von einem effizienten Training seiner Zeit um Lichtjahre voraus. Lange vor allen anderen hatte er begriffen, dass ein Training in nur einem Kampfstil den Schüler einschränkt und einzig derjenige ein vielseitiger Kampfsportler wird, der sich das aneignet und in sein Arsenal aufnimmt, was funktioniert – egal, zu welchem Kampfstil diese Methode ursprünglich gehört hat. Ebenso war ihm schon frühzeitig klar geworden, wie wichtig allgemeine Fitness ist und welche Rolle sie beim Kämpfen spielt.

      Was Bruce dazu brachte, sich vom herkömmlichen Training zu verabschieden, war ein Kampf, zu dem er herausgefordert wurde – jedenfalls ist das die Legende, die gern erzählt wird. Als Bruce von Hongkong aus zum ersten Mal in die USA reiste, um im Umkreis von San Francisco Kampfkunst zu unterrichten, erboste er die örtliche chinesische Vereinigung der Kampfsportler dadurch, dass er auch nicht-chinesische Schüler annahm. Ein ihm feindlich gesinnter Lehrer war darüber so wütend, dass er Bruce zu einem Kampf herausforderte, und Bruce ging darauf ein. Dieser Kampf wurde zum Wendepunkt in seinem Konzept von Kampfkunst.

      Nach Berichten von Augenzeugen war dieser »Kampf« letztlich nichts anderes als ein alberner Tanz, bei dem die beiden Gegner einander abwechselnd durch den Raum jagten. Er endete, ohne dass einer von beiden einen erfolgreichen Angriff hatte durchführen können. Nicht ein einziger Schlag wurde ausgetauscht. Bruce führte


Скачать книгу