Kämpfen im Geiste Buddhas. Jeff Eisenberg

Kämpfen im Geiste Buddhas - Jeff Eisenberg


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mitgegeben. Es ist albern, sich auf der Straße Verletzungen auszusetzen oder mit jemandem zu kämpfen, der uns, wie wir wissen, auf der Matte kaputtmachen wird. Stattdessen sollten wir unseren Stolz einfach hinunterschlucken und uns selbst und anderen gegenüber zugeben, dass wir in diesem Fall nicht kämpfen wollen.

      Zwar liegt mir viel daran, meine Fähigkeiten in einer realistischen Situation zu testen, aber ich werde mich nicht auf einen Kampf mit einem messerschwingenden Psychopathen in irgendeiner dunklen Gasse einlassen, wenn ich das Feld auch räumen kann. Und ich werde auch nicht freiwillig mit einem Mixed-Martial-Arts-(MMA)-Kämpfer in den Ring steigen, nur weil es mir mein Ego befiehlt. Allerdings würde ich einen solchen Kampf bei einer Herausforderung auch nicht verweigern, denn tatsächlich kann man seine Kampfkunst am besten dann verbessern, wenn man dem Gegner unterliegt. Und die praktische Anwendung des Buddhismus verbessert man am besten dadurch, dass man sich allen Widrigkeiten des Lebens stellt.

      Doch statt Haltung zu bewahren und einfach zuzugeben, dass Bruce nicht mit Joe kämpfen wollte, und die Gründe dafür zu benennen, versteckte sich Bruces Lager hinter den uralten Vorwänden, die heute leider immer noch in Umlauf sind. Das galt nicht nur für die globale Organisation Gracie Jiu Jitsu, ein Netzwerk zertifizierter Trainingszentren, das damals Mixed-Match-Challenge-Kämpfe durchführte und später die Ultimate Fighting Championship (UFC) veranstaltete, doch dazu später – sondern auch für alle anderen.

      Solche uralten Vorwände höre ich ständig von Kampfsportlern, in deren Training es nur um choreografierte Routinekämpfe mit entgegenkommenden Partnern geht, die niemals Widerstand leisten. Die am häufigsten vorgebrachten Erklärungen, die mich am meisten zum Lachen bringen, lauten: »In der Kampfkunst besteht die höchste Leistung darin, sie niemals anzuwenden.« (Im Großen und Ganzen verstehe ich das ja, ganz ehrlich. Es macht mir nichts aus, vor jeder Bedrohung, falls möglich, wegzulaufen oder auch Hals über Kopf davonzurennen. Aber heißt das wirklich, sie niemals anzuwenden?)

      Diese Leute behaupten dann als Nächstes, der wichtigste Grund, sich in den Kampfkünsten zu üben, bestehe darin, den eigenen Geist und das meditierende Denken weiterzuentwickeln. Und darauf entgegne ich: »Warum zum Teufel übt ihr euch dann in einer Kampfkunst, wenn es euch vor allem darum geht, keine Kampffähigkeiten zu entwickeln? Ich meine, ihr könnt euer Denken und euren Geist ja auch durch das Zusammenstecken von Blumensträußen oder durch die Teezeremonie schulen. Aber wenn ihr euch in Kampfkunst ausbildet, solltet ihr das tun, um realitätsnahe Fähigkeiten in dem Leistungsspektrum zu entwickeln, das die Kampfkunst lehrt.«

      Und hier liegt auch das eigentliche Problem: Solche Leute müssen rechtfertigen, dass sie nicht kämpfen – genau wie es das Lager von Bruce Lee getan hat –, weil sie sich in Wahrheit gar nicht in einer Kunst des Kämpfens üben, zumindest nicht in einer, deren Ausbildungsprogramm an der Wirklichkeit orientiert ist und sich bei einer realitätsnahen Anwendung bewährt hat. Leider muss ich sagen, dass solche Leute entweder wissen, dass sie die Kampfkunst nicht anwenden können, oder sich ständig fragen, ob sie es tatsächlich könnten. Da sie ständig an ihren Übungen und Fähigkeiten zweifeln, müssen sie sich selbst gegenüber ständig lahme Entschuldigungen vorbringen, statt sich der Wahrheit zu stellen.

      Es gibt nichts Traurigeres als einen Kampfsportler, der dauernd mit der Frage lebt, ob er sich im Fall des Falles wirklich verteidigen könnte! Manche können diese Frage ihr Leben lang nicht beantworten. Und was noch schlimmer ist: Sie merken nicht einmal, dass keine Antwort auch eine Antwort – ihre Antwort – ist.

      Anfangs ging es mir genauso. Erst viele Jahre später begriff ich, welche wertvollen Lektionen der Kampfkunst und des Dharma ich durch alle meine Erfahrungen gelernt hatte. Von Caine und den Kung-Fu-Fernsehshows bis zu den Kung-Fu-Filmen am Samstagnachmittag, von Bruce Lee bis zu Joe Lewis: Meine Reise führte mich von der traditionellen Kampfkunst bis zur modernen Welt der Mixed Martial Arts und durch alle Höhen und Tiefen des Kampfsports.

      Und ich gelangte dahin, keinen Unterricht mehr zu akzeptieren, der nicht Erfahrungen in der realitätsnahen Anwendung von Kampfkunst vermittelte, und niemandem bloße Worte abzukaufen, ohne zu prüfen, wie er sich eigentlich in der Praxis verhielt.

      Das entspricht dem, was Buddha über die Suche nach Wahrheit gesagt hat: »Sei dein eigenes Licht und glaube niemandem auf ein bloßes Wort hin. Mache deine eigenen Erfahrungen und finde die Wahrheit selbst heraus.« Der Meditierende muss prüfen, ob das, was er in der kontrollierten Umgebung eines Zendos an Erfahrungen sammelt, nur das Ergebnis dessen ist, dass er sich in eben dieser kontrollierten Umgebung befindet. Er muss sich fragen, ob sich die Erfahrungen unter veränderten Bedingungen wandeln.

      Ähnlich heißt es für den Kampfsportler, die eigenen Fähigkeiten beim Kampf gegen einen Widerstand leistenden Gegner in einem realitätsnahen Szenarium zu erproben. Funktionieren die Kampftechniken? Kann man sie praktisch anwenden? Kannst du sie anwenden?

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      Während ich breitbeinig auf der Matte stehe und meinen Gegner fixiere, ist mir klar, dass mein wahrer Gegner ich selbst bin. Ich habe diesen mentalen Prozess im Laufe meiner vielen Jahre im Kampfsport häufig durchlebt. Als praktizierender Buddhist habe ich ihn schließlich als Befreiung von einer Identifikation mit dem Ego und von der Bindung an das Ego verstanden, als Freisein von jeglicher Konditionierung, als Erleben des gegenwärtigen Moments, als Wahrnehmung der Echtzeit, gemäßigt durch die Konzentration auf einen einzigen Punkt – als einen Augenblick, der frei ist von allen festgelegten Vorstellungen und so ungebremste Spontaneität entstehen lässt.

      Während ich in fester Haltung dastehe und meinen Gegner niederstarre, konzentriere ich mich darauf, den Augenblick von allem freizuhalten, was der Verstand beisteuern möchte. Ich lasse den Gedankenstrom an mir vorbeifließen, ohne mich von ihm davontragen zu lassen. Er erinnert mich an meine Verletzungen, daran, wie mein Arm einmal während eines Kampfes aus der Gelenkpfanne gerissen wurde. Ich stoße mit der Linken ein paar Mal in die Luft, und das unmittelbare Erleben, wie ich die schnellen, forschen Hiebe durchführe, zeigt mir, dass jede Sorge, die die Erinnerung bei mir ausgelöst hat, angesichts des jetzigen Zustands des Arms überflüssig ist. Der Arm fühlt sich großartig an und die Erinnerung an die Verletzung verschwindet so schnell, wie sie gekommen ist.

      Dann geht mir durch den Kopf, dass ich fünfzehn Jahre älter bin als mein Gegner, zirka siebeneinhalb Zentimeter kleiner und mehr als neun Kilo leichter als er. Das löst einen Moment lang Selbstzweifel bei mir aus, auf die ich gedanklich sofort und bewusst reagiere. Ich rufe mir meine Erfahrungen ins Gedächtnis, und die Selbstzweifel legen sich. Die geschickten Tritte meines Gegners schüchtern andere Kämpfer ein, und ich habe auch gesehen, wie sie durch seinen Angriff mit diesen kraftvollen Tritten zu Boden gingen. Doch was sie als seine Stärke betrachten, sehe ich als seine Schwäche an.

      Der Kampf beginnt, und innerhalb meines allgemeinen Wahrnehmungsfeldes konzentriere ich mich schnell auf seinen rechten Fuß, den er jetzt fast unmerklich von der Matte hebt und rasch wieder senkt.

      Kaum ist der Fuß unten, schießt er wieder hoch und holt zu einem schnellen, harten Rundschlag aus. Hätte ich die anfängliche Bewegung seines rechten Fußes übersehen, wäre ich auf diesen Rundschlag überhaupt nicht vorbereitet gewesen. Ich habe einen Plan in petto, wie ich auf einen solchen Angriff reagiere, aber ich brauche mich nicht unbedingt an diesen Plan zu halten, denn unterbewusst ist mir klar, dass ich ganz natürlich und spontan reagieren muss. Wenn man an einem Plan für eine mögliche Kampfszene unbedingt festhalten will, bleibt einem nicht die Flexibilität, angemessen auf die reale Situation zu reagieren.

      Meine Taktik sah ursprünglich vor, den Rundschlag von innen her mit einem Fausthieb meiner rechten Hand abzufangen. Doch da ich das anfängliche Hochzucken seines Fußes gesehen habe, konnte ich seinen Rundschlag so abfangen, dass er meinen linken Arm nur mit verminderter Wucht traf. Das erlaubte es mir, sein rechtes Bein mit meinem linken Arm einzuklemmen und sein anderes Bein unter ihm wegzufegen, so dass er auf die Matte krachte.

      Wir beginnen auf der Matte zu ringen. Die meisten Menschen würden das wohl für eine Steigerung des Kampfes halten, doch in Wahrheit verlangt einem das die meiste Geduld


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