Die Korinther. Nicole Kruska

Die Korinther - Nicole Kruska


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wusste sie genau, dass Talaos ihre Worte sehr wohl gehört hatte und zwinkerte ihm zu.

      „Tja!“, machte er nur, schenkte Kynthia ein breites Grinsen und hob die Schultern.

      „Weiß es Phaistos schon?“ Kynthia hielt Ausschau nach ihm. „Da drüben steht er, siehst du, bei Priska und Aquila. Kommt mit, er wird sich freuen. - Phaistos!“

      Sie lief den beiden voran.

      „Schau mal, wer hier ist. Die beiden lassen sich auch taufen.“

      Phaistos zog die Augenbrauen hoch und begrüßte Danaë und Talaos mit einem Nicken.

      „Ja, ich weiß. Silas hat es mir erzählt.“ Er lächelte schief. Dann fasste er Talaos am Arm. „Kommt, ich bringe euch zu ihm. Vielleicht will er vorher noch einmal mit euch reden. Kommt.“

      Kynthia starrte den dreien fassungslos nach.

      „Was ist jetzt schon wieder mit ihm los? Ich dachte, er würde sich freuen“, murmelte sie, mehr vor sich hin als zu Priska.

      „Vermutlich zweifelt er, ob die beiden es wirklich ernst meinen mit Iesoús. Ehrlich gesagt, teile ich seine Zweifel.“

      Wirklich ernst? So ernst wie Phaistos und Priska und Aquila? Wer meinte es schon so ernst? Wer durfte sich dann überhaupt taufen lassen? War Priska überzeugt, dass sie, Kynthia, es wirklich ernst meinte? Sie sah die Römerin an, schüttelte dann aber die ärgerlichen Gedanken ab. Heute war kein Tag zum Streiten, nicht mit Phaistos und auch sonst mit niemandem. Ein schöner Tag sollte es werden, einfach nur schön. Sie nickte Priska und Aquila zu, murmelte: „Bis später“, und schlenderte in Richtung Ufer.

      Silas und Timotheos waren nirgends in Sicht. Immer noch machte niemand Anstalten, mit der Feier zu beginnen. Ob noch Täuflinge fehlten? Sie könnten doch schon einmal anfangen. Zumindest schon einmal alle auf einem Fleck versammeln und Lobpreislieder singen. Oder was sie auch immer vorhatten. Aber dieses Warten machte Kynthia langsam kribbelig. Sie blickte von der Wiese aus über das schmale Stück Kiesufer, dessen Breite sie mit ihrem Körper hätte ausmessen können und betrachtete das klare Uferwasser. Sie schritt über den Kies, tauchte die Zehen ins Wasser und zog sie gleich wieder heraus. Da sollte sie ganz hineinsteigen? Viel zu kalt! Sei nicht so ein Mädchen!, schalt sie sich. Vermutlich war dieses Wasser das reinste, in dem sie je gebadet hatte. Welches Gewässer könnte einer Taufe wohl würdiger sein?

      „Nicht so schnell, Kynthia!“, hörte sie Phaistos‘ ungewohnt gut gelaunte Stimme hinter sich und drehte sich um. Er winkte ihr lachend zu. „Es ist ja noch kein Täufer im Fluss! – Komm her zu uns, wir fangen an!“

      Paulos sprach ein paar Worte, auch darüber, dass bei aller Freude über jeden einzelnen Täufling nicht vergessen werden durfte, dass die Taufe und die Aufnahme in die Gemeinde auch Pflichten mit sich brachte. Dass niemand diese Entscheidung leichtfertig treffen dürfe. Kynthia schluckte. Aber nein, sie würde nicht noch einmal darüber nachdenken. Sie wollte ganz dazugehören. Paulos fuhr fort.

      „Lasst uns nun noch einmal beten für alle, die heute diesen Schritt gehen wollen. Und wer von euch in diesen Momenten zu dem Entschluss gelangt, dass er doch noch nicht so weit ist, möge einfach den Rest des Tages mit uns feiern und sich dann weiter unterweisen lassen, bis er sicher ist, dass er sein altes Leben im Wasser dieses Flusses dort zurücklassen und ein neues Leben in Christos beginnen möchte.“

      Kynthia dachte an Danaë und Talaos, verbot sich aber, sie mit den Blicken in der Menge zu suchen. Sie würden schon wissen, was sie taten.

      Die Gemeinde stimmte einen Halleluja-Gesang an, während ein Täufling nach dem anderen ins Wasser stieg, wo Silas und Timotheos ein kleines Stück abseits vom Ufer standen und auf sie warteten. Kynthia erblickte Danaë und Talaos in der Gruppe, die Timotheos zugeteilt worden war und winkte ihnen zu. Phaistos erspähte sie ganz am Anfang der Reihe, die bei Silas anstand. Da gehörte er wohl auch hin, nach vorne. Sie kannte niemanden, der diesen Moment so lange herbei gesehnt hatte wie er. Als er wieder auftauchte, sang sie laut und rief mit allen anderen laut: „Halleluja!“ Jedes Mal, wenn ein neuer Mensch in Christos aus dem kalten Wasser auftauchte, wurde er so begrüßt. Bei dem Täufling vor ihr konnte sie Silas‘ Fragen deutlich verstehen: „Willst du Iesoús Christos von ganzem Herzen treu nachfolgen? Bist du bereit, ihm und seiner Gemeinde treu zu dienen? Willst du den Werken Satans ganz und gar den Rücken kehren und als neuer Mensch in Christos leben?“

      Endlich war Kynthia an der Reihe. Silas streckte ihr mit einem warmen Lächeln die Hand entgegen. Er war zwar nie ganz untergetaucht, aber bei den sieben Taufen vorher hatte er doch einige Tropfen abbekommen, die jetzt in Bart, Wimpern und Locken glänzten. Kynthia beantwortete seine Fragen mit einem deutlichen Ja! Ja, sie wollte Christos treu nachfolgen, gemeinsam mit all diesen Menschen hier! Die rechte Hand fest von Silas‘ Rechter umschlossen und von seinem linken Arm gestützt, hielt sie den Atem an und ließ sich ins kalte Wasser sinken. Es war kein angenehmes Gefühl, das konnte sie beim besten Willen nicht behaupten, und sie war sehr froh, dass sie schnell wieder auftauchen durfte. Sie wischte sich die nassen Haare aus dem Gesicht und lachte verlegen, aber als sie die jubelnden und klatschenden Geschwister am Ufer sah und hörte, als Silas sie herzlich in den Arm nahm und leise zu ihr sagte: „Jetzt jubeln die Engel im Himmel über dich“, vergaß sie das kalt an ihrer Haut klebende weiße Leinengewand für einen Moment. Priska nahm sie am Ufer in Empfang, reichte ihr das Tuch und den trockenen Chiton, den Kynthia bei ihr gelassen hatte, und umarmte sie fest. Dass Priska schon jetzt fast genauso nass war wie die Täuflinge selbst, schien sie nicht zu stören. Sie ging zu der Gruppe von Schwestern, die für die getauften Frauen Tücher hochhielten, hinter denen sie sich umziehen konnten. Als sie wieder zum Vorschein kam, wartete Phaistos schon auf sie.

      * * *

      Noch vor Sonnenuntergang machten sich alle auf den Heimweg, denn sie wollten zu Hause sein, bevor es ganz dunkel war. Auf dem kurzen Stück des Weges, den Kynthia und Phaistos allein zurücklegten, schwiegen sie. Es war kein unangenehmes Schweigen. Heute nicht. Es war das Schweigen zwischen vertrauten Menschen, die gemeinsames Nichtreden gut aushalten. Wieder einmal sah Kynthia Phaistos neidisch hinterher, als er sich verabschiedete und die Treppe zu seiner eigenen Wohnung hinaufstieg. Wieder einmal würde sie sich in ihr Zuhause schleichen, vorsichtig wie ein Dieb, und hoffen, Kassandra nicht zu begegnen. Sie trat in die Küche und atmete auf. Alle hatten sich schon zurückgezogen. Vermutlich war der Ausflug sehr anstrengend gewesen. Kynthia schenkte sich in der Küche einen Becher voll Wasser ein und setzte sich an den Tisch. Ein Riss im Holz zog ihre Aufmerksamkeit auf sich, und sie begann, ihn mit dem Fingernagel zu bearbeiten. Nach diesem Tag, den sie so sehr genossen hatte, an dem sie in der Gemeinschaft mit ihren Geschwistern so tiefe Freude und Zufriedenheit verspürt hatte, fühlte sie sich hier, in ihrem eigenen Zuhause, das sie mit ihrer Familie teilte, so allein wie wohl noch niemals zuvor. Und wie so oft in den vergangenen Wochen war es ihr plötzlich, als läge in ihrer Brust kein lebendiges Ding, das Leben durch ihren Körper fließen ließ, sondern ein schwerer, toter Stein. Sie hörte sich selbst seufzen. Muss ich so fühlen?, dachte sie und löste den festen Griff vom Becher, legte die Hände übereinander auf den Tisch. Sind meine Gedanken und Gefühle stärker als mein Wollen? Nein. Ab sofort entscheide ich selbst, an wen und an was ich denke.

      Entschlossen stand sie auf und ging ins Schlafzimmer. Aus Leanders Ecke hinter seinem Vorhang hörte sie ihn atmen. Sie legte sich neben Nikos und betrachtete ihren schlafenden Mann; seine Züge, die heute einmal nicht so hart schienen wie an so vielen Abenden, seit er die Anteile an der Ziegelei übernommen hatte. Wie auch immer, gerade jetzt schien er sorgenfrei zu schlafen, und sein Gesicht sah aus wie das des Mannes, in den sie sich im ersten Jahr ihrer Ehe verliebt hatte. Anscheinend hatte er einen schönen Tag hinter sich. Ob er genauso schön gewesen wäre, wenn sie mitgekommen wäre? Sie schüttelte den Gedanken ab und legte sanft den Arm um ihn. Brauen und Nase zuckten kurz, aber die Augen blieben geschlossen. Im Stillen dankte sie Iesoús für das Glück, mit einem Mann verheiratet zu sein, den sie liebte und begehrte. Und der ihr seit ihrem allerersten Ehejahr schon so oft gezeigt hatte, dass auch er sie … nun, jedenfalls mochte und respektierte. Zwei Handwerkerfamilien hatten sich durch die Heirat ihrer Kinder zusammengeschlossen. Kynthia erinnerte sich noch gut daran, dass sie genauso große Angst gehabt hatte vor dem Zusammenleben


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