Du Unbekannte. Der Roman einer Jugend. Rudolf Stratz

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etwas Scheues . . .

      „Pop Donnderle — wir müssen die Forellen greifen!“ sagte sie vorwurfsvoll, als mahnte eine vergessene Pflicht. „Da ist doch im Tal das Bächle zwischen den Erlen! Was? Das wär’ strafbar? Ach — geh’ mit dem Gebäff’! Guck lieber fleissig nach dem Flurschütz aus! Das ist so ein hagebüchner Kerl!“ Sie platschte im Wiesengrund mit einem Satz bis an die Waden ins Wasser und entschuldigte sich noch, dass sie nicht Schuhe und Strümpfe auszog. „Weisst: Man zerschneidet sich zu arg an den Steinen!“ Dann watete sie lauernd durch den Bach, sah eine kleine Forelle schiessen, bückte sich, langte sie am Schwanz aus einem Erdloch heraus und schlug sie fest mit dem Kopf auf einen Kiesel und reichte sie dem Vetter zur Verwahrung in dem vierzipflig geknoteten Taschentuch.

      „Da hast den Schneiderbockel!“

      Fang dem ollen Baron wenigstens ordentliche Fische aus seinem Bach!“

      „Das ist nit so leicht wie Laugebretzle essen! Da . . da!“ die Teut schwenkte in wildem Triumph ein silbergeschupptes Gezappel durch die Luft. „Der wiegt sein Pfündle unter Brüdern!“

      „Da kann der Greis lachen!“ Ernst Wachsmuth stiefelte am Bachrand weiter. Auf einer kleinen Waldwiese half er der Base aus dem Wasser klettern. Ihre Hände lagen kalt und nass in den seinen. Der Schwung seiner Arme riss die Teut bis dicht gegen seine Brust. Sie standen Aug’ in Aug’. Ihre jungen Züge waren plötzlich tiefernst. Neben ihnen schwatzte vergnüglich der Bach.

      „Du, Teuthild . . .“

      „Ja?“

      „Ich hab’ doch von dir erst einen einzigen Kuss von den dreien gekriegt!“

      „Freile! Den Bäscheschmass . . . gleich am Anfang!“

      „Wann bekomm’ ich denn den zweiten?“

      „Du hast ja noch nie darum gebeten!“

      „Jetzt wär’ so grade der Moment — nicht?“

      Die Teut schwieg.

      „Aber nicht für so ein Kusinenküssle, sondern für einen richtigen Kuss, Teut!“

      Wie wär’ denn der?“ Die Teut machte die Augen zu.

      „Halt’ nur ’mal still! Dann zeig’ ich’s dir!“

      Die Teut stand ergebungsvoll da. Sie hatte die Lider geschlossen und spitzte sanft, voll Erwartung, die Lippen. Der Better beugte sich andächtig zu ihrem roten Mund. Da flog das dunkle Köpfchen vor ihm hastig zu Seite. Die Base hatte drüben, auf dem Landsträsschen, einen roten Kragen bemerkt. Eine Dienstmütze. Der Flurschütz, der jetzt, zur Zeit der Traubenreife, von früh bis spät auf den Beinen war, schrie argwöhnisch herüber:

      „Isch ebber do am Bächle?“

      Die Teut hütete sich zu antworten. Sie zog den Better eilig mit sich in das Dickicht. Gebückt schlichen sie am Erlenrand dahin. Im Laufschritt weiter. Uff! Jetzt war man zwischen den hohen Mauern des Weinbergwegs in Sicherheit. Die Baronesse Drach schöpfte Luft und schüttelte das rote Sacktuch voll Forellen.

      „Mir ist’s ganz zwirbelich! Ich hab’ ’ne Gänshaut übern Buckel kriegt! Uber Gottlob: Der Winzingen hat sein’ Sach’!“

      Als Ernst Wachsmuth zwei Stunden später die Treppe zum Salon hinabstieg, hörte er schon durch die Tür das helle Geschwatz der Teut und dazwischen eine ganz jugendliche Männerstimme. Er trat ein und begriff jetzt, warum die Teut vorhin über ihn gelacht hatte. Da sass der Baron Winzingen — aber kein grosses Tier in Amt und Würden, wie Ernst sich nach den Zurüstungen ihm zu Ehren vorgestellt hatte, sondern ein blonder, etwas langsamer, schwach schwäbisch sprechender junger Herr zu Anfang der Zwanzig, der auch noch einen Freund, einen langen, hageren Grafen, mitgebracht hatte.

      Der Neffe hatte seine Tante Drach noch nie so leutselig gesehen. Sie schien in ihrer um die Hüften gebauschten schwarzseidenen Staatsrobe heute um zehn Jahre jünger. Ihr rotes Gesicht blühte mütterlich wohlwollend unter dem grauen Haar. Sonst pflegte ihr Blick durch die Hornbrille junge Leute streng von Kopf bis zu Fuss zu messen! Heute kam sie aus dem liebenswürdigen Lächeln gegenüber dem schweigsamen, ein wenig schwerfälligen jungen Baron nicht heraus.

      „Sie sind ein schlechter Nachbar!“ sagte sie. „Kaum acht Tage im Jahr sind Sie drüben auf der Rüdenburg!“

      „Ich studier’ doch in Tübingen!“

      „. . . und zwar wirklich!“ ergänzte sein Freund, der Graf Lauffen, „Ich kann’s als Mitjurist bezeugen!“

      „Und in den Ferien bin ich halt bei den Eltern in Winzingen auf unserm Stammgut!“

      „. . . und wer mal Winzingen erbt, ist aller Sorgen für dies Leben ledig!“ sagte der andere Aristokrat. Die beiden Damen nickten stumm und andächtig, und nun begriff der Mulus aus Giessen, warum den ganzen Tag gesotten und gebraten worden war, und warum die Teut sich auf Geheiss der Mutter stundenlang fein gemacht und die Haare hochfrisiert und ihr bestes, lämmchenweisses Unschuldsfähnchen angezogen hatte. Der blonde, schwäbelnde junge Baron, der da auf dem Sofa neben der Teut sass, war offenbar eine ganz grosse Partie. Die Teut kannte ihn, schien es, von Kindsbeinen an. Sie machte lebhaft mit ihm Konversation, Sie wirkte ganz damenhaft, wie sie schmächtig und wohlerzogen dasass, mit gesittetem Augenaufschlag und einem bescheidenen Lächeln, als könnte sie kein Wässerchen trüben — ganz das Bild der jungen Tochter aus schönem Hause. Nur wenn der Frieder, das greise Faktotum in einer vorsintflutlichen Livree, zittrig Fisch und Braten herumreichte und der biedere junge Winzingen sich arglos bediente, zuckte es dem Bäsche verstohlen um die feinen Nasenflügel, und einmal, als ihr Blick über den Tisch dem Ernsts begegnete, konnte sie nicht an sich halten und platzte heraus und nahm schleunigst das Mundtuch vor und tat, als hätte sie sich an einer Gräte verschluckt, und ihr Nachbar, der Winzingen, klopfte ihr hilfsbereit auf die Schultern und meinte: „Ja. Bei so Forelle muss man aufpasse!“

      „Nicht wahr?“ sprach die Teut mit feuchten Augen und gab, als sie sich ein bisschen erholt hatte, dem Vetter ein unwilliges Zeichen mit dem Köpfchen: ,Sitz doch nicht so unwirsch da! Und schluck deine Eifersucht in dich hinein! Red’ doch auch ein Wörtle!’ Und der Ernst zog als Antwort verächtlich die Augenbrauen hoch. Das hiess: Was weiss ich denn von Schwabenadel und euern Hochzeiten und Kindtaufen und Stuttgarter Hofklatsch!

      Die Teut natürlich — die kannte jeden Spitznamen, die verstand jede Anspielung, die war ganz bei der Sache. Nach einer Weile mahnte wieder ihr stummer. Blick: ,Ernstle — mach’ nicht ein Gesicht wie acht Täg’ Regenwetter!’, und der Better zuckte spöttisch die Schultern. Ihm waren die Ludwigsburger Ulanen ebenso Wurst, wie die Stuttgarter Königsdragoner und die Olga-Grenadiere, deren Rangliste die Teut, wie ihm schien, im Schlaf von rückwärts hersagen konnte. Und kaum war der Kaffee gereicht, so erhob er sich.

      „Du erlaubst wohl, Tante, dass ich mich jetzt zurückziehe! Ich habe dringende Korrespondenzen zu erledigen!“ versetzte er hochmütig, machte eine steife Verbeugung zu den beiden schwäbischen Rittern, nickte der Teut zu und schritt, den Kopf im Nacken, hinaus.

      Der frühe Herbstabend lag schon mondhell über den schwäbischen Hügeln, als die beiden Gäste, der Baron und der Graf, auf einem mit zwei Flinken Juckern bespannten Jagdwagen davonkutschierten, der Rüdenburg zu, die bei Tag in der Ferne selbstherrlich ihren Goliath von Bergfried über die ihr untertänigen Weinhawen, Wälder und Wiesen hob und doch nur ein Nebenerbe des jungen Barons Winzingen war. Das Gerassel seines hochrädrigen, leichten Pirschfuhrwerks hatte sich längst in der stillen Vollmondnacht verloren, als der Mulus finster von seinem vierten Turmstock herabstieg. Er suchte mit unheilverkündender Miene die Teut. Unten in den Wohnzimmern war sie nicht. Nur ihre Mutter, die da eigenhändig das sonst nie gebrauchte Familiensilber mit Putzpulver und Lederlappen bearbeitete. Die Tante Drach schaute sehr ungnädig von den Messern und Gabeln mit dem neunzackigen Drachenwappen auf.

      „Ich weiss nicht, wo die Teut steckt! Was aber dein heutiges Benehmen betrifft, mein lieber Neffe . . .“

      Der junge Mann wartete die Fortsetzung nicht ab, sondern schlenderte trübsinnig und gedrückt in die Nacht hinaus.


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