Du Unbekannte. Der Roman einer Jugend. Rudolf Stratz

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bevor der Charley aus der Haut gefahre ist!“

      „Und dabei hat sie e kindlich Silberstimmche, als könnť sie kei’ Wässerche trübe! Steig mir den Buckel nuff, du schlechť Mädche!“

      Der Bruder lief erbittert nach vorn. Er sah da, mit bösem Gewissen, den Primaner Wachsmuth stehen — verträumt, in stiller Seligkeit, mitten in der fremden Menge. Er verkniff schuldbewusst seine spitzen Züge zu einem süsssauren Feixen und gab sich die Marke des heutigen Tages für die junge Kaufmannswelt, das Air des passionierten Sportsmanns.

      „Des war e Renne, Ernst!“ rief er begeistert. „Hab’ ich’s nit den Herre Buchmachern prophezeit: Der Artillerist macht’s! Aber die wolle ja alles besser wisse!“

      „Da hast du wohl viel gewonnen?“ frug Ernst Wachsmuth geistesabwesend. Das Philippche zuckte etwas kleinlaut die Schultern.

      „Gott — eigentlich nit! Ich hab’ doch aus Freundschaft auf den Grafen Rott gesetzt und verlore! Der Artillerist hat halt das bessere Pferd geritte! Aus dem Stall vom Charley da drüben! Wer des is? Der mit den scheppe Ohre zwischen den Offiziere? Ha — der Karlche Badenius, vom Bankhaus Badenius am Rossmarkt. Wir nennen ihn als Charley, weil er drei Jahre Volontär bei Persing Brothers in der City in London gewesen ist. Von dort hat er sich den Hindernisstall mitgebracht! Lauter irische Hunter! Der Charley hat’s gut! Gott . . . da läuft mei’ schwesterliche Liebe . . . Du — hör’ mal!“

      Aber das Dorettche kümmerte sich nicht um ihren Bruder. Sie liess ihn einfach stehen und schlenderte ostentativ mit Ernst Wachsmuth weiter, kameradschaftlich lachend und schwatzend, gerade an der feinen Welt auf den Tribünen vorbei, dass jeder sie beide zusammen sehen konnte — der Charley Badenius in der Klubloge vor allem!

      „Gehen Sie denn jetzt wieder gleich nach München retour?“ frug sie vertraulich. Der Abiturient schüttelte beglückt den dunklen Krauskopf.

      „Nein, gnädiges Fräulein! Jetzt sind ja noch Ferien!“

      „Ich hab’ nur gedenkt, weil Ihr Vater in München Minister ist!“

      „Mein Grossvater war es einmal Anno Tobak . . .“

      „Ach so! Da hat sich das Philippche geirrt! Der hat gesagt, der Baron Paur . . .“

      „Ja — das ist mein Grossvater, aber der sitzt längst beschaulich auf seinem Schloss Frauenmoos in Niederbayern.“

      „Und da fahren Sie jetzt zu der Exzellenz hin?“ erkundigte sich die Dorett’ Gallina, doch in dem stillen Wunsch, den neuen Verehrer nach getaner Schuldigkeit recht bald weg zu wissen.

      „Nein, gnädiges Fräulein! Da ist es mir zu langstielig! Bis es Zeit für die Kunstakademie in München wird, suche ich meine Tante heim — die Schwester meiner Mutter.“

      „Wo lebt denn nachher die?“ forschte das Dorettchen etwas beklommen, in der Hoffnung, ihren Begleiter morgen über allen Bergen zu sehen. Es wurde ihr doch nicht recht wohl in ihrer Haut bei dem Spiel mit dem Feuer. Sie hatte so einen unheilverkündenden Blick des jungen Mannes mit den grossen Ohren von der Klubtribüne drüben aufgefangen . . .

      „Meine Tante Drach?“ Ernst lachte unbefangen. „Wir nennen sie immer so. Es ist eine Baronin Drach von Wunnenstein. Die haust auf ihrer Burg in Württemberg, gerade überm Neckar!“

      „Und da zieht Sie’s mehr hin?“ Die Dorett’ hob harmlos lächelnd ihre dunkeln Wimpern. „Da hat’s wohl in der Burg hübsche Mädchen?“

      „Ach nein, gnädiges Fräulein! Es ist nur eine Tochter da — meine Kusine! Die hab’ ich vor zehn Jahren zuletzt gesehen — und da war es eine mickerige kleine Kröte! Aber malen kann man in Wunnenstein ganz anders als in den Filzen und Mooren in Niederbayern — Rebhügel und den Fluss und Wälder und malerische Nester . . .“ Ernst Wachsmuth blieb stehen. „Und wann maľ ich Sie, gnädiges Fräulein?“ stiess er verklärt hervor.

      „Sie kriegen noch Post! Durch das Philippche!“ sagte die Kleine neben ihm hastig.

      „Darf ich morgen vielleicht meine Aufwartung machen?“

      „Nei’! Nor net! Fassen Sie sich als in Geduld! Auf Wiedersehen! Ich muss jetzt zu meine Eltern!“

      Das Dorettche trippelte eilig, mit der Wespentaille wippend, in weiss wehendem, langem Glockenrock davon. Ernst Wachsmuth schaute ihr still beseligt nach. Er schwamm in einem silbernen Meer von Glück, über das golden die Abendsonne schien. Er seufzte aus übervollem Herzen, während er, nach Schluss der Rennen, in das Privat-Chaische stieg, das sich das Philippche für diesen Tag gemietet hatte. Der kleine Frankfurter Lebemann sass übellaunig darin und schwieg. Sie fuhren über die alte Mainbrücke. Feierlich ragten drüben im Dämmergrauen die Giebel und Firste Alt-Frankfurts — der Römerberg und das Rund der Paulskirche, der Dom und die Türme von St. Nikolai. Vor dem Rundbild der alten Reichsstadt öffnete sich Ernst Wachsmuths Herz.

      „Du, Philippche! Ich kann nicht mehr an mich halten!“ begann er verzückt und leise, damit der Kutscher auf dem Bock nichts hörte. „Ich muss eine gleichgestimmte Seele für mein Glück haben! Ich bin so glücklich, so namenlos glücklich!

      „Du hast Ursach’!“ sprach das Philippche verdriesslich.

      „Erinnerst du dich, wie ich dir heute nacht sagte: ,Ich hab’ eine Ahnung, dass bald das Weib gewaltig, sieghaft in mein Leben tritt!’ Sie ist da, Philippche! Sie ist schon da!“

      „Ja — fang du nur Maikäfer!“

      „Dir, meinem Freund, muss ich es zuerst sagen! Denn es handelt sich ja um deine Schwester!“

      „Muss er sich auch gleich in den Grasaff’ vergucke!“

      „Und sie in mich!“ Der Primaner legte geheimnisvoll selig mit leuchtenden dunkeln Augen den Bartflaum an das Ohr des griesgrämigen Freundes. „Philippche — ich bin ihr nicht gleichgültig! . . . Beim ersten Blick hab’ ich auf sie gewirkt! Ich hab’s deutlich gemerkt!“

      „Das hat jeder merke müsse!“

      „Nicht wahr . . . ach — ich möchť ja springen und tanzen! Ich muss die ganze Welt umarmen . . .“

      „ . . . weil es jeder hat merke solle . .“

      „Wieso?“ Ernst Wachsmuth machte plötzlich grosse Augen.

      „. . . weil du die Dorett’ net kennst!“ schrie das Philippche erbittert, ohne Rücksicht auf den Kutscher. „Das Oos hat dich ja nur geuzt!“

      „Was?“

      „Die hat dich zum besten gehabt, um den Charley zu ärgern! Mit dem hat sie’s doch schon die längsť Zeit! Den will sie doch heirate! Du bist doch keine Partie für so e Mädche!“

      Der kleine Frankfurter zuckte verächtlich die Achseln.

      „Deswegen hat sie mit dir schöngetan,“ sagte er, „und dann ist ihr die Supp’ zu heiss geworden, und sie ist weggeloffe . . .“

      „Das . . . das ist nicht wahr . . .“

      „Aber ich sag’ ihr morge meine Meinung! Der Gans solle die Ohre klinge!“

      „Das . . . kann nicht sein!“

      „Wann ich dir’s doch sag’! das nixnutzig’ Frauenzimmer hat halt ’en Strohmann gebraucht!“

      „Aber warum denn mich — Gott im Himmel — gerade mich — den sie gar nicht kennt?“

      „Ha — gerad’, weil du ein Ortsfremder bist! Da hat die Sach’ weiter keine Folge! Man lacht halt e bissche über dich, und ’s ist gut! Herrgott: jetzt fängt der grosse Mensch mitten in der Chais’ zu flenne an! Jetzt beruhig’ dich doch! Ernst! . . . Beruhig’ dich nor! Die Frankforter gucke ja her. Hilft nix! Er heult weiter! Komm! Wir steigen da an der Schönen Aussicht aus und laufen eine Streck’ zu Fuss! Dann wird dir schon besser, und nachher soupieren wir am End’ von der Zeil im Hotel und gehen nachher hintenhin spiele! No vergisst du den Aff, die Dorett’!“

      „Die


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