Du Unbekannte. Der Roman einer Jugend. Rudolf Stratz

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Knie. „Das langhaarig’ Volk wird net anders! Die derf e Weltmann nit tragisch nehme! Schäm’ dich, Ernst: du guckst als noch daher wie e Leich’ auf Urlaub!“

      „Mir tut das Herz weh, Philippche!“

      ,,Das Herz is e Muskel wie jeder andere! Den muss man nor fleissig üben!“ belehrte der Freund.

      „Philippche . . . Ich versteh’ die Welt nicht mehr!“

      „Die Welt ist rund, und die Weiber sind kraus, und wir sind Männer!“ Philippche Gallina erhob sich. „Wir lassen jetzt die Gäns’ auf’m Kapitol und gehe zu den andern Männern jeuen! Die Anfangsgründ’ vom Bac hab’ ich dir ja erklärt!“

      „Ja. Du hast recht: wir sind Männer!“ Ernst Wachsmuth stand finster auf.

      „Unglück in der Liebe — Glück im Spiel! Hast du e bissche Kleingeld bei dir? Gut! Schlag dir bloss den Zwickel, die Dorett, aus’m Kopf! Das dumm’ Ding ist’s nit wert!“

      „Nein! Wir sind Männer!“

      „Ginge wir sonst jetzt e Jeuche mache — mit der Aristokratie? Da hinte hockt alles vol Adel! Man muss sich als fleissig zur vornehme Welt halte, Ernst. So: Da ist das Frankfurter Monte Carlo!“

      Der Hintersaal des grossen Hotels flammte von bunten Uniformen, schwarzen Fräcken, weissen Hemdbrüsten. Es herrschte andachtsvolle Stille, obwohl die Jeuratten jetzt im Anfang noch solide um Silbergeld tempelten. Das Philippche begrüsste an dem einen Tisch seinen Freund, den pausbäckigen kleinen Husaren, und murmelte, auf Ernst Wachsmuth deutend, undeutlich ein paar Worte der Einführung. Die Herren verbeugten sich achtlos und flüchtig, in das Spiel vertieft. Der Bankhalter, ein Rittmeister, mischte und gab die Karten. Ernst Wachsmuth nahm seine beiden auf. Jetzt allmählich fühlte er eine Erleichterung seines Innern. Das Selbstgefühl kam wieder. Man war nun doch erwachsen. Mitten im Leben. Man sass statt auf der Schulbank am Spieltisch. Ein Mann zwischen Männern. Er fühlte sich leicht an der Schulter berührt. Er wandte den Kopf. Hinter ihm stand der junge Herr mit den grossen Ohren — der von heute nachmittag — und versetzte trocken und höflich:

      „Mein Name ist Leutnant der Reserve Karl Badenius! Darf ich Sie für einen Moment beiseite bitten?“

      Und dann, als sie zusammen in eine Ecke des Saales getreten waren, sehr kühl, sehr schneidig:

      „Ich möchte Sie ersuchen, Ihre Aufmerksamkeiten gegenüber Fräulein Dorette Gallina einzustellen!“

      Der Primaner warf erhitzt den dunkeln Kopf zurück.

      „Ich würde mich den Kuckuck noch um dieses Fräulein kümmern . . .“ begann er schroff.

      „Schön!“

      „. . . aber von Ihnen lasse ich mir nichts kommandieren!“

      „Na — na . . . bitte . . . Vorsicht, junger Mann!“

      „Ich bin nicht Ihr junger Mann! Ich bin gerade so viel wie Sie . . .“

      „Das steht nicht zur Diskussion!“

      „Sie haben mir nicht vorzuschreiben, wie ich mich zu benehmen habe . . .“

      „Ich muss es leider in diesem Fall tun!“

      „Dann ist das eine Frechheit von Ihnen!“

      Der andere sah ihn einen Augenblick aufmerksam an, dann machte er die knappe Andeutung einer Verbeugung, drehte sich kurz um und ging. Ernst Wachsmuth kehrte an. den Spieltisch zurück. Das Philippche zischelte ihm besorgt zu:

      „Was hat denn der Charley von dir gewollt?“

      ,,Ach — nichts! Ich hab’ mir seine Aufdringlichkeiten verbeten! Da ist er ganz still weg! Ohne ein weiteres Wort!“

      Der Abiturient sagte das leichthin. Er setzte sich befriedigt, noch nachträglich heissblütig lächelnd, wieder zu der Tempelrunde. Aber gleich darauf lagen, statt der Spielkarten, ein paar Visitenkarten auf einem Teller vor ihm — mit den Namen „Emil Seidenbusch“ und „Moritz Cahane.“ Der Kellner, der sie gebracht hatte, lispelte:

      „Die Herren möchten Sie draussen sprechen.“

      Ernst Wachsmuth sprang auf und ging hinaus. Auf dem Flur standen zwei junge Frankfurter Dandies vom Schlag des Philippche und verbeugten sich steif. Der eine versetzte förmlich:

      „Wir haben Ihnen eine Forderung des Herrn Badenius zu überbringen, Herr Baron.“

      „Baron?“ frug Ernst Wachsmuth verdutzt.

      „Sie sind doch der Herr Baron Paur?“

      „Nein. Das ist der Mädchenname meiner Mutter! Mein Vater ist der Universitätsprofessor Wachsmuth!“

      Die beiden Kartellträger tauschten einen Blick. Der Wortführer sagte zu dem andern:

      „Das ist doch wieder echt das Philippche: Jemanden unter falschem Namen einzuführen. Sie sind Kunstmaler in München, Herr Wachsmuth?“

      „Nein — ich war noch nie in München!“

      „Da hat also das Philippche wieder gelogen! Wo waren Sie denn bisher, wenn ich fragen darf?“

      „In Giessen.“

      „Bei einem Korps?“

      „Nein!“

      „Aber auf der Universität?“

      „Nein. Auf dem Gymnasium.“

      „Bis wann?“

      „Bis gestern.“

      Die beiden Herren sahen sich wieder an. Dann lachten sie auf einmal, und der erste sagte in gemütlichem Ton:

      „Wir ziehen die Forderung unseres Mandanten zurück, Herr Wachsmuth! Sie sind noch nicht satisfaktionsreif!“

      Die Herren Seidenbusch und Cahane gingen in den Spielsaal. Ernst Wachsmuth stand allein, vor den Kopf geschlagen, in dem Gang. Endlich folgte er den beiden. Er kam gerade zurecht, um auf der Schwelle zu hören, wie der erste Kartellträger zu dem Bankhalter sagte:

      „Also, Herr Rittmeister: Wenn der Knabe wieder kommt, schicken Sie ihn schonend fort!“

      „Na natürlich! Wir können doch nicht hier die Unmündigen auspowern!“

      Der Primaner betrat den Bakkarat-Tempel nicht mehr. Er starrte lange im Flur vor sich hin, dann schlich er wie ein Verbrecher auf den Fussspitzen nach vorn. Er durchschritt den grossen Speisesaal, in dem an allen Tischen jetzt, am Abend des Renntags, die Frankfurter Geldaristokratie tafelte. Gerade am Mittelgang, wo Ernst Wachsmuth auf dem Weg zur Ausgangstür vorbei musste, sass der kleine graubärtige Bankier Johann Gallina. Ein Dutzend Herren und Damen um ihn, das Dorettche mitten darunter. Der Sportsmann mit den grossen Ohren, der Charley Badenius, stand hinter ihrem Stuhl. Es war, als ob er eben einen guten Witz erzählte. Denn alles lachte. Bloss die Dorett’ nicht. Sie hatte vor Ärger feuchte Augen und betrachtete erbittert erst ihren Bruder, das verkniffen unten am Tisch sich duckende Philippche, dann den Mulus Wachsmuth im Gang vor ihr und versetzte tränenschluckend und erbittert:

      „Ach — lasst euch heimgeige, ihr zwei! Das kommt davon, wenn man sich mit Schulbube abgibt!“

      Schulbuben . . . Ernst Wachsmuth stürzte davon. Er lief über die Strasse. Das Wort hallte ihm in den Ohren. Er rannte durch die Gassen nach dem Bahnhof, erreichte eben noch einen Abendzug nach Giessen. Das Städtchen dunkelte in der Mitternacht. Nur aus zwei Fenstern des Elternhauses fiel noch der Schein der Studierlampe seines Vaters. Er wankte in seine im Mondlicht dämmernde Primanerbude, warf sich schluchzend lang in den Kleidern auf das Bett, lag da, das Gesicht in den Kissen.

      Dann erhellte sich plötzlich das Gemach vom Geflacker einer Kerze. Der Professor Wachsmuth hielt sie in der Hand. Er stellte sie bedächtig auf den Mitteltisch und trat vor das Bett des Sohnes.

      „Bist du krank, Ernst?“ frug er. „Ich höre dich in der Nachtstille bis in mein Zimmer stöhnen!“

      „Ich


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