Du Unbekannte. Der Roman einer Jugend. Rudolf Stratz

Du Unbekannte. Der Roman einer Jugend - Rudolf Stratz


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Mensch!“

      „Was kolkst du da?“

      „Die Mama und ich haben uns schon so arg g’schämt, dass wir einen Künstler in die Familie kriegen sollen! Kunstmaler sind nix Feines! Die haben lange Haar’ und Ölfleck auf dem Kittel, und in der nobeln Welt, in München oder Stuttgart oder gar in Wien — da findest du sie nit! Ja — zu der guten Gesellschaft gehörst du doch auch, Ernstle! Mei’ Mutter und dei’ Mutter sind doch Schwestern! Geborene Paur zu Rain! So ein Name ist doch ebbes Schmucks!“

      „Und was haben denn die Paur zu Rain durch die sieben Jahrhunderte geleistet? Fortgepflanzt haben sie sich! Schluss!“

      „Du bist halt bürgerlich!“ sprach die Teuthild Drach mit einem leicht fremdartigen Nebenklang in der Stimme. „Es ist arg schad’! No — du kannst ja nix dafür!“

      „Schmeisst mich nur gleich ’raus!“

      „Dich behalten wir!“ Die Teut schlug den Vetter versöhnlich mit den beiden langen mageren Händen auf die Schultern und lachte ihm, ein bisschen errötend und noch hübscher werdend, mit den glänzenden hellbraunen Augen wohlgefällig ins Gesicht. Er merkte, dass er ihr gefiel. „Meinst, die Betterle wachsen hier wild?“ frug sie. „Ach — die Sorť ist rar! Ich bin froh, dass ’mal einer da ist! Und jetzt lass den Kopf nicht mehr hänge! . . . Dich kriegen wir hier schon noch hoch! Jetzt komm mit ’runter und zeig’ dich der Mutter!“

      Erst beim Abstieg über die knarrenden Holztreppen, im Innern des festen Hauses Wunnenstein, sah man, wie wenig Raum eigentlich in dem nach aussen so trotzig ragenden Mauerklotz war. Ein paar Zimmer nur in jedem Turmstock und davon die Hälfte unbewohnt. Ein feiner Modergeruch wehte aus allen Fugen und Ritzen. Im Ahnensaal war schuhhoch der Hafer für den Jörgle auf geschüttet. Mausefallen standen dazwischen, und in der Ecke lagen die ersten Winteräpfel längs der Wände, an denen nur ein spärliches halbes Dutzend Vorfahren — fast alles napoleonische Rheinbundoffiziere — hingen.

      „Hurra, Mama!“ Die Tür oben hinter sich zuknallend, in langen Sprüngen die Treppe hinabfegend, platzte die Tochter mit der grossen Neuigkeit in die Küche. „Hurra! Der Ernst ist in München durchgefallen! Man hat’s bis Studert plumpsen hören! Da ist er!“

      „Hilf lieber die Gickele rupfen, Teuthild, statt so zu schreien!“ sagte die Tante Drach und reichte dem Neffen die Rechte. Sie war noch kleiner als dessen Mutter, rundlich und stämmig, eine Hornbrille auf dem energischen Graukopf. Sie sah in der langen Küchenschürze und den abgetretenen Hausschuhen wie eine gesetzte Wirtschafterin aus. Aber sie war in Sprache und Haltung ganz grosse Dame.

      ,,Das hör’ ich gern, dass du nicht unter das Künstlervolk gehst!“ Sie hielt Ernsts Hand glüdwünschend fest: „Das ist keine Karriere für einen jungen Mann von Stand!“

      ,,Gelt du?“ rief die Teut triumphierend vom Küchentisch her.

      „Du kämst da in München in eine mehr als gemischte Gesellschaft, in der dir alle deine schönen Familienverbindungen nichts nützen würden!“

      „Nein, Tante — weil man da selber was können muss!“

      ,,Er kann aber nix — das Betterle!“ jubelte es hell von hinten. „Da — wie er sich da gleich wieder aufplustert! Warť nur, Ernstle! Ich muss nur schnell die Fressgickele rupfen. Die müssen heuť noch zum Wildbrethändler nach Stuckert! Wir haben keinen Batzen im Haus . . .“

      „Teut!“

      „Meinst du, Mama, das weiss der Ernst nicht, dass ich ein bettelarmes Baronessle bin? Aber deswegen setzen wir ihm doch den Kopf zurecht! In vierzehn Tagen ist das Büble wieder obenauf . . .“

      Der Morgen graute, zwei Wochen später, noch kaum vor den Fenstern des Turmgemachs, in dem Ernst Wachsmuth schlief. Ein Knüttelhieb dröhnte an der Türe. „Ob d’voran machst!“ drohte draussen eine helle Mädchenstimme. „Sonst wird’s zu spät zum Hasenschlagen!“

      Als er hinaustrat, stand da auf dem Flur im Zwielicht ein junger Mann, nickte ihm zu und rutschte geübt rittlings auf dem Treppengeländer hinab ins Erdgeschoss und schrie:

      „Flink, Ernstle! Als hinter mir her! So is’ brav!“ Die Teut sprang unten auf die Beine. „Was visitierst du mich denn so wie ein Gemeindebüttel?“

      ,,Teut — wo hast du denn um Gottes willen die Hosen her?“

      „Ei — von meinem seligen Vater! Ich hab’ sie bloss unten abgeschnitten! Die Jagdjopp’ von ihm ist ja auch ein bissle füllig!“

      Die Teut glich in den viel zu weiten Beinkleidern und dem viel zu grossen Wams, eine alte Schirmmütze auf dem unfrisierten Kopf, einen Eichenknüttel in der Faust, dem Lehrbuben einer Räuberbande. Sie hatte trotzdem noch eine schlenkerige Grazie am Leib, während sie vor Ernst durch das taufeuchte, in weissen Schwaden dünstende hohe Gras nach dem nahen Gehölz stampfte.

      „Wir kriegen doch heuť mittag Gäst’!“ raunte sie gedämpft, um das Wild nicht zu verscheuchen.

      „Euer Nachbar Winzingen — sagst du . . .“

      „Ha freilich! Da muss ein Häsche bei, sonst haben wir ja nie in die Pfann’ zu tun“

      „Hasen schiesst man doch!“

      „Damit’s auch noch knallt? Wir dürfen kein Muckserle tun! Das Wäldche ist doch dem Winzingen selber seine Jagd! Der soll nur heute seinen eigenen Has’ schnabulieren!“

      Die Teut drehte sich unvermutet und spitzbübisch um und fing einen Blick des jungen Mannes hinter sich auf, der sich unbeobachtet wähnte, und ihr frisches, hochmütiges Köpfchen wurde plötzlich blass.

      „Du . . . Ernst . . .“, sagte sie leise und stockend …, „Warum hast du mich denn eben so komisch angeguckt?“

      „Du siehst mich ja jetzt auch so an!“ versetzte der Better langsam und wurde so rot, wie sie farblos war.

      Die beiden jungen Leute schwiegen und blickten verwirrt aneinander vorbei. Drüben im Osten erschien am fahlen Himmel ein erster langer, purpurner Querstreifen. Ein schwacher goldner Schein säumte fern das im Morgennebel dampfende Hügelland. Die beiden standen immer noch. Sie hörten durch die tiefe Stille ihren raschen Atem gehen, der sich in der Morgenkühle zu weissen Wölkchen krauste. Drüben, von der Burg her, krähte ein Hahn. Ernst Wachsmuth rührte sich nicht, andächtig lächelnd in das Bild des wirrköpfigen jungen Mannes mit den zu weiten Hosen und dem Eichenprügel vor ihm versunken. Aber die Teuthild gab sich einen Ruck.

      „Da können wir uns hier noch lange die Absätze krumm stehen! Aber die Hasen hoppeln unterdes ins Feld. Marsch!“

      Sie schlich auf den Fussspitzen am Waldsaum hin — wieder ganz die Alte — den schlanken Oberkörper in der schlottrigen Jagdjoppe des Vaters vorgebeugt, die Keule schlagfertig hoch in beiden Händen, blieb lauernd mit angehaltenem Atem stehen, machte einen Sprung wie die Katze auf die Maus, führte einen Streich. Ein schwaches Quäken. Dann zog die Teuthild einen zappelnden Hasen an den Löffeln aus seinem Lager unter einem Brombeerbusch hervor und machte ihm mit einem Klaps ins Genick den Garaus.

      „Sodele! Jetzt haben wir den Braten!“ sprach sie befriedigt. „Die Forellen stehlen wir dem Winzingen besser nachher, wenn’s Wasser warm von der Sonne ist! No ja — wenn man jemanden einladet, muss man ihm doch Fisch’ geben. Man weiss doch, was sich schickt!“

      ,,Ihr reisst euch ja rein die Beine aus mit dem alten Herrn!“ sagte Ernst Wachsmuth. „Warum lachst du denn?“

      „Ich bin halt so a vergnügts Nüssle!“ sagte die Teut.

      Als er sie vormittags abholte, kniete sie vor dem Stall in ihrem alten Rock, von dessen Saum immer irgendwo unten der Stoss herunterbaumelte, und in der roten Bluse, an der er das talergrosse Loch am linken Ellbogen schon seit acht Tagen kannte, und wiegte einen ganzen Wurf dickköpfiger junger Teckel liebevoll auf dem Arm. Ihr kleines Raubrittergesicht sah viel weicher und weiblicher aus als sonst, wie sie da still in Backfisch-Mütterlichkeit ihre Puppies hätschelte. Ernst schaute stumm auf die knospend-herben,


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