Du Unbekannte. Der Roman einer Jugend. Rudolf Stratz

Du Unbekannte. Der Roman einer Jugend - Rudolf Stratz


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die beiden Gefährte zusammen.

      „Das ist wieder dem Metzger sei’ Sauwägele!“ rief die Teut und schaute über die Schulter. „So a Esel — a dommer . . .“

      „No stät, Jongferle!“ schrie der Schweineschlächter um die Ecke zurück, und hinterher das junge Mädchen:

      „Saubauer!“

      „Teut! Schämst du dich denn nicht?“

      „Ach! Da kriegt man schon an Zörnle! . . . Da guck’ mal den Gedenkstein, da am Wäldchenrand! Den hat mein Vater vor drei Jahren, kurz vor seinem Tod, setze lasse! An der Stelle habe sich mal der Götz von Berlichingen und ein Drach von Wunnenstein zwei Stunden lang zu Pferd mit den Lanzen umeinander gejagt und zu guter Letzt die Armbrüst’ an die Köpf’ geschmissen! . . . Fein! Gelle?“ Die Teuthild Drach lachte, mehr noch mit den hellbraunen glänzenden Augen als mit dem frischen, etwas grossen Mund, über dem die Nase kühn vorsprang und ihrem blutjungen Antlitz in der Seitenansicht etwas Herbes, Junkerlich-Verwegenes gab. „Was siehst du mich denn so an, wie die Kuh das neue Tor?“

      „Ich bin ganz paff, wie wunderhübsch du geworden bist!“

      „Meinst?“ sprach die schmächtige junge Baronesse befriedigt. „Das ist halt die G’schicht vom Entche! Mir ist’s recht! . . . Du wirst ja Maler! Da musst du mich auch mal malen — oben — für den Ahnensaal! Aber es darf gar nix kosten! Wann gehst du denn jetzt nach München auf die Kunstakademie?“

      „Ja . . . weisst du . . . so ganz genau steht der Zeitpunkt vorläufig noch nicht fest . . .“

      „. . . und bei welchem Professor kommst du denn zuerst in die Klasse?“

      „Gott . . . das ist augenblicklich auch noch nicht entschieden! Es ist eigentlich noch alles in der Schwebe!“

      ,, Ja — wieso denn?“

      „Ach — das kann ich dir nicht jetzt gleich so haarklein auseinanderpolken!“

      „Wie du willst! A Topfguckerle bin ich nit! . . . Da — nimm mal den Peitschenstock — ich muss die Zügel halten — und hau’ dem Jörgle fest grad hinter die Ohren! An der Stelle geht der Jörgle gern durch nach dem Stall, wenn er die Burg da vor sich sieht!“

      Auf einem rebengrünen Kegel, gerade über dem Schlängelband des Neckars im Tal, hob sich der Wunnenstein als ein grauer, hoher Klotz von dem blassblauen Himmel. Er hatte keine Türme und Zinnen. Er war lediglich ein vier Stockwerk hoher, engbrüstig aufgemauerter Steinkasten, der weithin das Württemberger Hügelland beherrschte. Die Erbtochter des kleinen Weinguts, die Freiin Teuthild von Drach, drehte das mittelalterlich streng geschnittene, wie aus einem Ahnenbild entschlüpfte Köpfchen dem Better zu.

      „Jetzt lass doch die Katz aus dem Sack: Was haben denn eigentlich die Herren Professoren in München zu deinen Arbeiten gesagt?“

      „Ja — siehst du . . .“ Ernst Wachsmuth rückte unbehaglich und düster auf der Bank hin und her. „Die Meinungen waren verschieden . . . das heisst eigentlich nicht . . .“

      Die Teut war nicht dumm. Sie blinzelte den jungen Mann spitzbübisch von der Seite an, schnalzte vielsagend mit der Zunge und zog die Stirne kraus. Dann lenkte sie das Wägelchen in den Burghof — einen freien Platz mit weitem Rundblick über das Schwabeländle bis zu den fernen blauen Schatten der Rauhen Alb — rechts neben dem festen Haus die letzten zerbröckelten Steintrümmer einer mittelalterlichen Mantelmauer, zur Linken, nach vorn in drei grossen Schwibbogen sich öffnend, der Kelterraum, mit Presse, Bottich und leeren Fässern an den Wänden, über dem unterirdischen Keller.

      „Frieder!“ schrie die Teut mit heller, durchdringender Stimme. Ein steinaltes Faktotum, halb Küfer, halb Hausmeister, schlürfte hemdärmelig, in grünen Pantoffeln heran. Sie übergab dem weissstoppeligen Greis die Zügel und das Köfferchen und sprang mit einem federnden Satz vom Fuhrwerk hinunter auf die Füsse. Unten schlug sie lachend die Hände zusammen, während Ernst Wachsmuth hinter ihr zu Boden kletterte.

      „Jetzt reisst er schon wieder die Gucklöcher auf! Du bist mir ein närrischer Vetter!“

      „Ich bin ganz paff! Ich hatte dich ganz klein in Erinnerung! Und hab’ mir die ganze Zeit, wie ich jetzt neben dir gesessen bin, eingebildet, so wärst du geblieben! Und jetzt bist du auf einmal im Stehen beinah so gross wie ich!“

      „Gelt — ich bin ein langer Stecken?“ sprach die Teut geschmeichelt und schaute an ihrer jungenhaft dünnen Rassegestalt herunter. Sie war steil aufgeschossen wie eine biegsame Gerte, noch nicht voll entwickelt, mit ganz schmalen Schultern, magerem Hals und flacher Brust. Ernst sah sie bewundernd an. Sie sagte unbefangen:

      „So, Vetterle! Wenn du magst, kriegst du jetzt ’nen Kusinchekuss von mir! Drei hat die Mama erlaubt: einen zum Willkommen! Einen zum Abschied. Und einen dazwischen, wenn sich’s grad trifft.“

      Ernst Wachsmuth wurde rot. Er drückte verwirrt seine Lippen auf den kühlen weichen Mädchenmund. Die Teut wischte sich hinterher seelenruhig mit dem Handrücken und meinte:

      „Dein Flaum sticht noch nit! Der ist wie ein Butterbrötle ohne Salz! . . . Komm! Die Mama zankt sich eben mit dem Ochsewirt! Der soll uns den Rest vom Wein vom Vorjahr abkaufe und zahlt so bös! Ich zeig’ dir unterdes dein Zimmer! Drei Stiegen hoch! Du darfst unterwegs verschnaufen!“

      Und oben in der grossmächtigen, von uraltem Hausrat erfüllten Stube, von der man beinahe nur den Schwalbenflug am Himmel vor sich sah und um die der Wind wie um einen Kirchturm sang — dort oben setzte sich die Teut auf das wurmstichige Himmelbett, in dem schon vor zwei Jahrhunderten ihre Vorfahren von Hirschhatz oder Hofgunst geträumt hatten, kreuzte die Arme über der Brust und sprach: „Das ist riegeldomm, dass du mir nicht die Wahrheit sagst! Der Mama musst du’s nachher doch beichten, wie’s in München gewesen ist . . .“

      Der junge Mann wandte ihr düster, vom Fenster her, den bleichen Krauskopf zu und lachte wild auf.

      „Du hast ganz recht: einmal muss es doch heraus!“

      „Was ist denn passiert?“

      „Die ganze Welt hat sich gegen mich verschworen!“ schrie Ernst Wachsmuth und stürzte auf sie zu. Sie sprang auf: „Uije! Friss mich nicht!“ Er zuckte höhnisch die Schultern. Er wies verächtlich mit dem Haupt nach der Richtung, wo die Bayernhauptstadt lag. „Dünkel und Unverstand in schönem Bund! Vielleicht sogar Neid! Kannst du dir vorstellen, Teut . . .“ Er fasste die mageren Finger des Mädchens und presste sie.

      „Au! Du!“

      „. . . dass diese sämtlichen drei Idioten von Professoren sich gegen mich zusammengeschlossen haben? Sie haben einstimmig das blödsinnige Urteil abgegeben, mein Talent lange in keiner Weise zum Künstlerberuf! So — da liegt mein Leben in Scherben!“

      „Denn jetzt —“ Ernst Wachsmuth liess sich schwer in einen gichtbrüchig krachenden Biedermeier-Armstuhl fallen, „jetzt muss ich das Versprechen, das ich meinem alten Herrn gegeben hab’, einlösen und Medizin studieren! Er möchte am liebsten in Strassburg, weil ich da von früher her meine Schulfreunde und für das Studium seine damaligen Kollegen zur Hand hab’! Meinetwegen! Mir ist alles gleich! Ich bin ein gebrochener Mann! . . . Ich geh’ von euch hier in vier Wochen nach Strassburg!“

      „Gucket au! Also daher weht der Wind!“ sprach die Teuthild und legte mit offenem Mund die Hände ineinander.

      „Für mich hat das Leben keinen Wert mehr!“

      ,,Ich bin tonträrer Ansicht, Ernstle! Ich find’ das Leben ganz g’spässig!“

      „Ja — du! Da hockt sie auf dem Bett und zieht die Beine bis ans Knie und kichert.“

      „Soll ich plärren?“

      „Roh ist das von dir! Herzlos!“

      „No — da bin ich halt a Galgenstrick! Mei’ Schuzpatronin, die heilige Teuthild, ist mir z’brav!“

      ,,Du kränkst mich . . . mit Absicht . . . pfui . . .“

      „’s


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